Die Tote im Stadl. Stefan Maiwald

Die Tote im Stadl - Stefan Maiwald


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caffè espresso. Der Norden war auf dem Papier zum Scheitern verurteilt, punktete aber durch weitgehende Wartungsresistenz, wohingegen die Filterflüssigkeit für die Entkalkung der Nespresso-Maschine bestellt, aber noch nicht eingetroffen war. Also regierte vorerst die Privileg-Filtermaschine. Kerschbaumer entkam ein schweres Seufzen.

      »Sind die Angehörigen schon verständigt worden?«, fragte er schließlich und schob die Tageszeitungen zusammen, die von dem Mord berichteten.

      »Wir haben schon mit den slowenischen Kollegen gesprochen. Viele Verwandte gibt es nicht«, referierte Feiersinger. »Der Vater ist schon vor vielen Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, die Mutter ist mit schwerer Multipler Sklerose ans Bett gefesselt und nicht nur körperlich, sondern offenbar inzwischen auch geistig angeschlagen. Einen Bruder gibt es, Mirko, wir haben ihm eine Nachricht auf seiner Mailbox hinterlassen. Er hat sich noch nicht gemeldet.«

      Kerschbaumers neue Kollegen machten einen angenehmen Eindruck. Sie hatten ihm sogar eine kleine Ecke des Doppelschreibtischs freigeräumt und einen der Computer dort platziert.

      Revierinspektor Volker Feiersinger, ein hagerer, kleiner Kerl um die dreißig, nickte stets freundlich und bewegte die Lippen, wann immer Kerschbaumer etwas sagte, als wollte er dessen Worte in seinem eigenen Mund auf Tauglichkeit überprüfen oder sie im Gaumen auf ihre tiefere Bedeutung schwenken wie einen Schluck Rotwein. Er trug eine Frisur, der man ansah, dass man sie ihm irgendwann mit zwölf Jahren verpasst hatte und dass er sie bis zu seinem Lebensende nicht mehr zu ändern gedachte.

      Inspektorin Hofgärtner trug ihr Haar zusammengebunden in einem Pferdeschwanz und eine schwarz geränderte Brille, hinter der hellblaue Augen neugierig in die Welt blickten. Ihre helle, völlig makellose Haut schimmerte wie Porzellan. Kerschbaumer besah sich ihre Figur, aber nicht aus sinnlichem, sondern aus sportlich-diätetischem Interesse. Redete er sich ein. Definitiv athletisch, dachte er anerkennend und strich sich über den eigenen, definitiv unathletischen Bauchansatz.

      »Gut. Gibt es irgendetwas über das Opfer, das wir wissen müssen?«

      »Nein, keinerlei Einträge bei Interpol, eine blitzsaubere Akte. Der Bruder hingegen – na, sehen Sie selbst.«

      Kerschbaumer beugte sich über Hofgärtners Schulter und freute sich über das angenehme Parfüm, das irgendwie vanillig roch. Er war diesbezüglich kein großer Experte, aber es duftete gut. An den Bewegungen ihrer schmalen Hände bemerkte er, dass sie ihren Computer beherrschte.

      Bruder Mirko jedenfalls, acht Jahre älter als Swetlana, war in seinem nur neunundzwanzigjährigen Leben schon vier Mal verurteilt worden, zwei Mal wegen Fahrens ohne Führerschein und zwei Mal wegen Hehlerei. Auch die Strafen wegen Hehlerei, je sechs Monate Haft und beim zweiten Mal sechs Monate Hausarrest obendrauf, hatten mit Autos zu tun. Er hatte es offenbar mit Motoren.

      Es hatte an der Tür geklingelt, eine Empfangsperson besaß die Wache in Bad Kleinkirchheim jedoch nicht. Also drückte Revierinspektor Feiersinger auf den Summer, und schwer atmend stand bald ein Mann im ersten Stock in der Tür der Polizeiwache. Hofgärtner bot ihm einen Platz auf dem Besucherstuhl an. Noch im Dankesagen plumpste er in die Plastikschale, die für Gäste vorgesehen war und von wackligen, verchromten, wenig Vertrauen einflößenden Streben gehalten wurde.

      Alles an dem Besucher war üppig: die fleischigen Lippen, die geplatzten Äderchen rund um die dicke Nase, die großen, hervorstehenden Augen, das bürstendichte, rotstichige Haar. Der Besucher war nicht dick, eher von oben bis unten breit, wie eine Litfaßsäule. Er trug eine Zehntausend-Euro-Uhr, was Kerschbaumer seit dem Raubmord im vierten Bezirk sofort abschätzen konnte, und wie immer bei solchen Uhren fragte man sich unwillkürlich, ob dieser Mann sehr gut oder sehr schlecht mit Geld umgehen konnte.

      Wilhelm Wiedehopf war Bayer und Stammgast im Hotel Pulracher. Er war auf geschmacklose Art teuer angezogen, mit Loden und Hirschleder behangen, was ihn wie den Laiendarsteller eines alpinen Paten wirken ließ. Allerdings kullerten aus seinen Glupschaugen Tränen. Dicke, fleischig wirkende Tränen.

      Kerschbaumer trank Orangensaft, den er sich von der Bäckerei geholt hatte. Er schmeckte, als wäre jemand eine Wette eingegangen, dass er Orangensaft machen könnte, ohne eine einzige Orange zu benutzen.

      »Ach, Swetlana«, schluchzte die Litfaßsäule.

      »Kannten Sie sie näher?«, fragte Feiersinger einfühlsam.

      »Sie war so süß, sie war so zart … Wie ein Engel, so ein unschuldiges, rührendes Ding …«

      »Demnach waren Sie miteinander gut bekannt. Haben Sie einen Verdacht, wer …?«

      »Ach, und im Bett, ich sag’s Ihnen«, Wiedehopf tupfte sich die Tränen mit einem weiß-blau karierten Stofftaschentuch aus den Augen, »da war sie eine Granate, wie ich nie eine hatte.«

      Der Löffel, mit dem Feiersinger seinen Kaffee umgerührt hatte, verharrte in seiner Position. Hilde Hofgärtner schluckte, aber die Luft blieb ihr auf halbem Weg im Hals stecken. Die Plastikmoleküle in Kerschbaumers Orangenersatztrank hielten kurz in ihrem schändlichen Treiben inne. Die Wolken zogen nicht mehr vorbei, die Erde hörte auf, sich zu drehen. Das gesamte Universum riss die Augen auf und zog die Brauen empor.

      »Äh?«, fragte Revierinspektor Feiersinger, und Kerschbaumer fand, dass dies genau die passende Reaktion war. Eine bessere wäre ihm auch nicht eingefallen.

      Die hübsche Swetlana habe nebenbei noch etwas hinzuverdient, berichtete Wilhelm Wiedehopf. Er habe sie zwar sehr gemocht, sei aber nicht der Einzige gewesen, erklärte er bedauernd. Ihre Tarife konnten mit großstädtischen Escort-Damen der höheren Ränge mithalten, aber Bad Kleinkirchheims Touristen – und die Einwohner, die von ihnen lebten – seien ja auch eine wohlhabende Gruppe.

      Sie war bildhübsch und sie wusste es, wie ihr Instagram-Account verriet, den Feiersinger sofort am Bildschirm aufrief. Sie posierte vorzugsweise und sehr gekonnt im Bikini. Wenig passend zur Jahreszeit, aber eindeutig überzeugend. Im Pulracher traf sie zudem auf zahlungskräftige Kundschaft, die sich darüber hinaus in Urlaubs-, also Spendierlaune befand.

      »Und darum bin ich bereit, zehntausend Euro aus eigener Tasche für Hinweise auszuloben, die zur Aufklärung dieses furchtbaren Verbrechens führen«, erklärte der rustikale Bayer. Ansonsten könne er aber leider nur wenig Hilfreiches aussagen, war er doch erst am Vortag angereist. Er habe sich schon sehr auf Swetlana gefreut, die er zuletzt im Sommer gesehen hatte, in Zimmer 203, wie er zwinkernd hinzufügte.

      »Sechs Knöpfe links, einer fehlt«, murmelte Feiersinger wie zu sich selbst, nachdem der Bayer gegangen war. Er meinte offenbar den Lodenmantel des spendierfreudigen Zeugen.

      »Machen Sie sich nichts draus«, flüsterte Inspektorin Hofgärtner, »er hat einen Zahlentick.«

      Kerschbaumer nickte. »In einem Agatha-Christie-Krimi wäre das im Lauf der Ermittlungen vielleicht irgendwann sehr nützlich.«

      7.Schnipsel & Notizen

      »Ich denke, ein bisschen was haben wir herausgefunden«, schnarrte Kriechnitz aus dem Telefonlautsprecher. »Zunächst die Tatzeit: ziemlich genau Mitternacht, plus minus eine Stunde.«

      »Ist die Hütte oder der Weg dorthin beleuchtet?«, fragte Kerschbaumer seine mithörenden Kollegen.

      Hofgärtner schüttelte den Kopf.

      »Die Schuhspuren, die zum Tatort und auch von ihm weg führen, gehören zu Stiefeln der Marke Timberland, Größe siebenundvierzig.«

      »Das ist groß und definitiv männlich.«

      »Ja, auch die Tiefe des Stichs spricht für einen männlichen Täter, sagt unser Doc. Ziemlich sicher Rechtshänder außerdem.«

      »Hmmm«, schrieb Kerschbaumer mit.

      »Eine kleine Überraschung habe ich dann doch noch für Sie«, frohlockte Kriechnitz. »Swetlana ist nicht erstochen worden.«

      »Wie bitte?«

      »Unter dem Schal waren heftige Würgespuren,


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