Die Tote im Stadl. Stefan Maiwald
man forsche in alle Richtungen.
Mirko hörte aufmerksam zu und nickte dabei langsam. »Ich bleibe hier, bis aufgeklart«, sagte er schließlich, was ein verständlicher Wunsch war, bei Kerschbaumer aber aus einem unbestimmten Grund Unbehagen auslöste.
»Es kann dauern, bis wir greifbare Ergebnisse bekommen. Machen Sie sich keine Umstände. Außerdem ist Slowenien ja nicht weit. Auch bei der Überführung Ihrer Schwester können wir helfen, damit wir nicht …«
»Danke, lieber hier.«
Das roch nach Komplikationen, aber Kerschbaumer konnte Mirko das Bleiben in Bad Kleinkirchheim schlecht verbieten.
Nachdem Mirko sich mit einem recht nachdrücklichen Nicken verabschiedet hatte, blickte der Chefinspektor aus dem Fenster auf den Parkplatz und sah dort nur ein einziges Auto mit slowenischem Kennzeichen: einen mit Goldfolie verklebten Golf R. Tatsächlich stieg Mirko in den Wagen ein. Höher motorisiert bekam man das Wolfsburger Modell nicht, wusste Kerschbaumer, mit seinen dreihundert PS und dem geringen Gewicht konnte er es mit jedem Porsche aufnehmen. Es musste Mirko gejuckt haben, mit quietschenden Reifen vom Polizeiparkplatz davonzuschießen, aber er beherrschte sich.
Am Nachmittag, zur Identifizierung der Leiche im Krankenhaus Spittal, kam Mirko nicht allein. Zwei Männer etwa in seinem Alter saßen mit im Auto. Bizarrerweise saßen sie beide im Fond, der Beifahrersitz blieb frei. Nur Mirko stieg aus; an der Seite von Kerschbaumer erledigte er im grell ausgeleuchteten Untergeschoss der Klinik die leidige Pflicht, seine Schwester zu identifizieren. Die Spuren der Obduktion verhüllte das Leichentuch, nur der Kopf war abgedeckt. Mirko blieb ruhig und hatte die ohnehin schmalen Lippen im Kühlraum noch weiter zusammengekniffen, sodass sie wie ein schwacher Strich wirkten. Mit einem Nicken bestätigte er, dass es sich um Swetlana handelte; der zuständige Arzt ließ ihn anschließend ein paar Formulare ausfüllen, um eine Überführung der Toten in ihre Heimat in die Wege zu leiten.
Als sie endlich wieder vor die Tür traten, blinzelte Kerschbaumer durch die kühle Dezembersonne, die sich durch die Wolken stahl und den goldenen Golf besonders hübsch funkeln ließ. Die beiden Passagiere waren inzwischen ausgestiegen, lehnten am Auto und rauchten. Mirko fuhr sie scharf an, woraufhin sie hastig ihre Zigaretten wegwarfen und wieder auf dem Rücksitz verschwanden. Sie waren beide von ähnlicher Gestalt, nicht groß und nicht klein, von blasser Gesichtsfarbe und einer Physiognomie, die man schnell vergessen hatte.
»Wer sind die beiden?«
»Freunde.«
»Aha.«
»Tschip und Tschop.«
Mehr Mitteilungsbedürfnis hatte Mirko nicht, und Kerschbaumer ließ ihn davonfahren. Die beiden Burschen im Fond hatten quer über ihre Stirn das Wort »Ärger« tätowiert.
9.Journalistenauftrieb
So etwas hatte Bad Kleinkirchheim noch nicht gesehen: Bei der Pressekonferenz waren gleich acht, nein, fast zehn Journalisten anwesend, also sozusagen die ganze Welt. Sogar echte Fernsehkameras wurden aufgebaut. Ein Urlaubsblogger aus Spittal mit dreihundertzweiundachtzig Followern auf Instagram filmte außerdem mit einer Handykamera. Volker Feiersinger hatte sich eine Krawatte umgebunden, die aber so schlecht saß, dass sie den obersten Knopf seines Hemdes freigab. Hilde Hofgärtner überspielte ihre Aufgeregtheit, indem sie Wasser und Saft verteilte sowie eine frische Kanne Kaffee und Gebäck aus der Bäckerei Weissensteiner heranbrachte. Sie stammte aus einer alteingesessenen Wirtsfamilie, außerdem hatte sie ein Gespür dafür, dass nur satte Journalisten zufriedene Journalisten waren. Das galt auch für Chefinspektoren, doch Kerschbaumer hielt sich aufgrund seiner Diätbestrebungen zurück. Schon bald wurde munter gemurmelt und gescherzt, neidisch beäugt von Kerschbaumer.
Kärntens Polizeipräsident Lutz-Heiko Heil sprach sich mit Kerschbaumer ab. Er teilte dem Wiener im Wesentlichen mit, dass er selbst alles Wichtige zu sagen gedenke, was Kerschbaumer mehr als recht war, denn Pressekonferenzen waren, wie generell alle öffentlichen Auftritte, noch nie seine Stärke gewesen.
Der Polizeipräsident – Kerschbaumer kannte ihn bereits von einigen gemeinsamen Sicherheitstagungen – war ein blutjunger Jurist, der auf dem Ticket der Regierungspartei eine rasche Karriere gemacht hatte. Mit seinen zurückgegelten Haaren sah Lutz-Heiko dem Politiker Sebastian Kurz nicht unähnlich, hatte aber ein nicht ganz so windschnittiges Gesicht. Er wirkte insgesamt eher wie ein Investmentbanker, allerdings überraschenderweise wie einer, dem man vertrauen konnte. Und das waren ja gemeinhin die gefährlichsten.
Die Pressekonferenz wurde im zweiten Raum der Polizeiwache abgehalten, der von den Büroplanern einst optimistisch als »Konferenzraum« bezeichnet worden war, nun aber mangels Konferenzen oder sonstiger Besprechungen in größerer Runde als Rumpelkammer diente und unter anderem ausrangierte Computermonitore und Feiersingers Skiausrüstung beherbergte. Feiersinger hatte alles in eine Ecke geschoben und notdürftig unter Wärmedecken versteckt. Außerdem hatte er einen Tapeziertisch aufgebaut, der für den Zweck eigentlich gut geeignet schien, bis sich herausstellte, dass die Platte zu dünn war, um die Mikrofonklemmen zu halten.
Von links nach rechts saßen jetzt Feiersinger, Kärntens Polizeipräsident Heil, Kerschbaumer und Hofgärtner am Tapeziertisch vor den Journalisten, die im Halbkreis von links nach rechts das Krone Hitradio, die beiden Tageszeitungen Kleine Zeitung und Krone, das neue Magazin Österreich Heute Aktuell und den Regional-TV-Sender ORF Kärnten repräsentierten. Ein Mann mit Standkamera, auf der ORF stand, filmte das Geschehen, was den Reiseblogger mit der Handykamera um seine Exklusivrechte brachte. In einem nachgeordneten Mini-Halbkreis hatten eben dieser Reiseblogger und eine Redakteurin von Radio Kärnten Eins Platz genommen. Zudem war ein Vertreter der APA da, der Austria Presse Agentur, der für eine Verbreitung der Meldung in nachgeordneten Medien sorgen dürfte. Der Bürgermeister Bad Kleinkirchheims, an dem die farbige Brille auffiel, war ebenfalls hereingekommen, hielt sich aber im Hintergrund, ebenso sein Stellvertreter, ein älterer, massiger Mann, der die Journalisten so abschätzig anblickte, als wären sie ein Wiener Schnitzel aus Schweinestatt aus Kalbfleisch.
Der Investmentbanker hatte die Meute ganz gut im Griff. Lutz-Heiko Heil berichtete kurz, was es zu berichten gab, und er blieb geschickt dürr, sachlich und souverän. »Sie werden verstehen, dass wir aus ermittlungstechnischen Gründen zu diesem Zeitpunkt keine weiteren Angaben machen können«, schloss er. Die Journalisten nickten verständnisvoll. Manche konnten auch nicht anders als nicken, weil sie die Backen voller Kekse hatten. Ach, das war hier doch etwas anderes als in Wien.
»Aber ob es einen Verdacht gibt, können Sie doch sicher sagen, ohne konkret zu werden?«, schnitt eine Zwischenfrage scharf durch die harmonische Blase.
»Nein.«
»Nein, dass es keinen konkreten Verdacht gibt, oder nein, dass sie es nicht konkret sagen können?«
All diese Fragen kamen vom Vertreter von Österreich Heute Aktuell, jener neuen, ambitionierten Zeitung, die ausschließlich mit klugen Reportagen und spektakulären Enthüllungen glänzen wollte und sich in der Werbekampagne neckisch ÖHA! abkürzte, stets mit aufdringlichem Ausrufezeichen (aktueller Slogan: »ÖHA! Für das tägliche AHA-Erlebnis!«). Die Reportagen waren flott geschrieben, doch der große Pflock im Boden, der das Magazin dauerhaft etablieren konnte, war bislang noch ausgeblieben. Fragesteller Franz Ferdinand Kluibnschädl, knapp über dreißig Jahre, hatte helle Haut, die leicht fiebrig wirkte. Er sah aus wie jemand, der viel zu lange in seinem Leben auf einen Computerbildschirm geblickt hatte. Im Mundwinkel flammte ein Pickel auf, an dem er sich offenbar schon ein wenig mit den Fingernägeln abgearbeitet hatte. Aber nun hatte er ja die Pressekonferenz, die seine gesamte Energie beanspruchte und rote Flecken auf seiner Haut produzierte.
»Letzteres«, antwortete ein leicht irritierter Heil.
»Fassen wir zusammen: Der Mörder läuft also noch frei herum, und in ein paar Tagen beginnt die Skisaison?«
10.Ein