Elfenzeit 2: Schattendrache. Verena Themsen
knurrte der im hinteren Fußraum hingekauerte Grog auf, als Ninas Körper gegen ihn rutschte. Pirx hatte sich schon beim Einsteigen neben ihm zusammengerollt, und Rian vermutete, dass der Pixie sich mit seinen Stacheln in der Fußmatte verankert hatte und schlief.
»Keine Gewohnheit, auf die ich großen Wert lege«, antwortete David in abwesend wirkendem Tonfall.
Rian kramte ohne hinzusehen in ihrer Tasche und zog die Karte von Worms heraus. Sie reichte sie nach hinten.
»Mach dich nützlich und finde heraus, wo ich langfahren muss. Das hier ist Heppenheim, und wenn ich mich richtig erinnere, sind wir bald da.«
Grogs haariger brauner Arm tauchte hinter Rians Rückenlehne auf und griff nach der Karte.
»Das mache besser ich«, brummte er. »David ist mit den Gedanken woanders.«
Erneut warf Rian einen besorgten Blick in den Rückspiegel. Es stimmte, David wirkte in stärkerem Maße abwesend, als dadurch zu erklären war, dass er mit seiner Energie gegen die Kälte in Ninas Körper ankämpfte. Aber jetzt war nicht die Zeit, sich darüber zu wundern.
Schweigend rasten sie weiter durch die Nacht, bis sie Worms erreichten. Hier krabbelte Grog an einer Ampel auf den Beifahrersitz. Rian half ihm, sich notdürftig anzuschnallen, und er dirigierte sie dann anhand der Karte zu einem auf der anderen Seite des Stadtkerns gelegenen Krankenhaus. Rian fuhr ununterbrochen hupend und aufblendend bis vor die Tür, und als David ausstieg und Nina aus dem Wagen hob, kam ihnen bereits jemand vom Klinikpersonal entgegengerannt. Sie wurden direkt in ein Behandlungszimmer dirigiert, wo David Nina auf einer Untersuchungsliege ablegte. Dann scheuchte eine Schwester die beiden aus dem Raum und zur Aufnahme, während ein Arzt begann, Nina zu untersuchen.
Am Empfang gaben sie Ninas Daten an, die sie dem Ausweis aus ihrer Handtasche entnehmen konnten, hinterließen ihre Namen und den ihres Hotels. Dann schickte die Schwester sie ins Wartezimmer.
Etwas später kam der Arzt, der Nina untersucht hatte, zu ihnen. Er blieb vor ihnen stehen, strich sich sein kurzgeschnittenes dunkelblondes Haar zurück und musterte die Geschwister mit einem etwas ratlos wirkenden Blick seiner braunen Augen.
»Wie geht es Nina?«, fragte Rian sofort.
»Den Umständen entsprechend gut, wie man so sagt«, antwortete der Mann. »Was eigentlich ein Wunder ist, denn sie ist dermaßen unterkühlt, wie ich es noch nie zuvor gesehen habe. Als wäre sie stundenlang in einem Gefrierhaus gewesen. Dennoch hat sie Glück gehabt, es wird keine bleibenden Schäden geben.« Er musterte Rian und David scharf. »Wie konnte das passieren?«
»Um ehrlich zu sein, wir wissen es nicht«, antwortete Rian. »Wir haben sie so gefunden, im Wald, nahe bei einem Bach. Wir sind Freunde von ihr, und wir haben gemeinsam einen Ausflug in den Odenwald gemacht. Sie war eigentlich im Auto geblieben, als mein Bruder und ich einen langen Spaziergang unternahmen. Als wir zurückgingen, fanden wir sie plötzlich am Weg.«
Der Arzt kniff etwas die Augen zusammen. »Wir werden sie gründlich untersuchen, um herauszufinden, was passiert ist. Sie müssen verstehen, dass wir die Polizei hinzuziehen werden, falls sich ein Verdacht auf eine Straftat ergibt.«
»Sicher.« Rian nickte.
»Die Schwester sagt, Sie haben eine Adresse im Hotel angegeben, und Sie klingen nicht, als wären Sie von hier. Darf ich Ihre Ausweise sehen?«
Rian nickte und zog zwei der Zettel aus ihrer Tasche, auf denen Nina Notizen für sie gemacht hatte. Sie strich kurz darüber.
»Wir sind David und Rian Bonet«, sagte sie. »Wir kommen aus Frankreich, aus Paris. Die Adresse auf den Ausweisen stimmt.«
Der Arzt musterte die Zettel kurz und nickte dann. Er glaubte, völlig normale französische Ausweise in der Hand zu halten.
»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Kopien mache?«
»Nein, das ist schon in Ordnung.«
Der Arzt verschwand, kam nach einer Weile wieder und gab Rian die Zettel zurück.
»So. Ich denke, Sie beiden sollten jetzt in Ihr Hotel zurückgehen. Frau Eberts ist bei uns in guten Händen, und zumindest Ihr Bruder sieht so aus, als könne er selbst ein wenig Ruhe vertragen.«
Rian erhob sich und gab ihm lächelnd die Hand. »Ich danke Ihnen, Doktor …«
»Haag. Tilmann Haag.«
»Dankeschön, Doktor Haag. Geben Sie uns Bescheid, wenn Nina aufwacht?«
»Natürlich.« Er nahm Rians Hand und drückte sie einmal fest. »Und kommen Sie zu den Besuchszeiten wieder vorbei.«
Rian nickte, David stand ebenfalls auf. Schweigend verließen die Geschwister das Krankenhaus und gingen zum Auto.
Die Fahrt zurück zum Hotel verlief bis auf den kurzen Bericht an Grog und Pirx über Ninas Zustand in völliger Stille. Sie ließen das Auto vor der Tür stehen. Rian ging mit den Feenkobolden direkt nach oben, während David einen Abstecher zur Bar machte. Rian warf sich seufzend auf die Couch, schaltete den Fernseher an und wenig später wieder aus, und starrte dann Pirx und Grog an, die auf dem anderen Sofa saßen und Trübsal bliesen.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte sie.
Grog hob die Schultern und schüttelte den Kopf. In diesem Moment kam David. Er hielt mehrere Flaschen in den Händen, schob die Tür hinter sich mit dem Fuß zu und blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann kam er in den Raum hinein und stellte die Flaschen auf dem Couchtisch ab. Grog sprang auf und holte Gläser aus dem Schrank neben der Minibar, dankbar dafür, etwas zu tun zu haben.
»Einen Brunnen haben wir noch auf der Liste«, sagte Rian und beobachtete David dabei, wie er eine Flasche öffnete und den goldbraunen Inhalt in ein Glas halbhoch einschenkte. »Wir sollten ihn morgen anschauen.«
David lachte auf, ließ sich neben Rian auf die Couch fallen und nahm sein Glas.
»Sechs so genannte Siegfriedbrunnen haben wir angeschaut, und an keinem haben wir auch nur den kleinsten Hinweis auf den Quell des Lebens gefunden. Es ist uns lediglich gelungen, fast dem Getreuen und seinen Helfern über die Füße zu stolpern, und dabei eine unschuldige Menschenfrau in Gefahr zu bringen, die nicht die leiseste Ahnung davon hat, worum es geht.«
»Ich hatte dich gewarnt«, sagte Rian und griff nach einer Flasche mit Schokoladenlikör. »Obwohl es mir in diesem Fall lieber gewesen wäre, nicht Recht zu haben.«
David stürzte den Inhalt seines Glases herunter, lehnte sich dann in die Couch zurück und schloss die Augen.
»Wir werden nie nach Hause zurückgelangen«, flüsterte er. »Es ist vorbei.«
»Nein!«, fauchte Rian. »So schnell gebe ich nicht auf. Ich fahre morgen zu diesem letzten Brunnen, mit dir oder ohne dich, und wenn ich dort nichts herausfinden sollte, suche ich so lange weiter, bis ich auf Hinweise stoße. Und Pirx und Grog werden mir helfen!«
Ihre beiden Freunde nickten heftig, und Pirx schenkte Rian ein vorsichtiges Lächeln.
»Macht ihr doch, was ihr wollt«, sagte David und drehte den Kopf zur Seite. »Aber lasst mich in Ruhe damit.«
»Wie kannst du dich nur so hängen lassen? Du bist eine Schande für unser königliches Geblüt!«, erregte Rian sich. »Du hast weniger Mumm in dir als die Menschen, die uns geholfen haben! Diese Feiernden, Nina, Robert und Nadja – sie kneifen nicht gleich den Schwanz ein, wenn es mal Schwierigkeiten gibt! Und dabei haben sie mit unseren Problemen nicht das Geringste zu tun!«
Davids Kopf ruckte hoch, und er funkelte seine Schwester an. »Halt einfach den Mund, ja? Halt den Mund und lass mich in Ruhe.« Er stand auf, nahm zwei Flaschen, ging in sein Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.
Verwirrt starrte Rian ihm hinterher. »So habe ich ihn noch nie erlebt«, sagte sie mit einem ratlosen Kopfschütteln. »Was ich von ihm fühle, ist unglaublich verwirrend. Nina wird sich doch wieder erholen.«
Grog räusperte sich. »Ich denke, da steckt mehr dahinter«,