Elfenzeit 2: Schattendrache. Verena Themsen
ist seltsam unberechenbar«, flüsterte sie David zu, während sie nebeneinander die Stufen hochstiegen. »Etwas so Verspieltes wie dieses Haus hätte ich nicht von ihm erwartet. Außerdem fällt es mir bei ihm ungewohnt schwer, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Alles scheint eng ineinander verwoben, und ich habe den Eindruck, dass er manchmal Wahrheiten bewusst einsetzt, um Lügen zu kaschieren, nicht nur anders herum. So wie er die Goldperle als Elfenwein hat einlagern lassen.«
David sah Rian mit einem schrägen Lächeln von der Seite an. »Du hast dich zu sehr an die Menschen gewöhnt, Schwester«, sagte er. »Er ist durch und durch ein Elf, wie wir sie zu Hunderten am Hofe unseres Vaters haben, ohne dass wir uns jemals viele Gedanken gemacht hätten. Er hat sich nicht so von der Welt der Sterblichen verändern lassen wie Talamand. Talamand hat all seinen elfischen Biss verloren. Alberich hat ihn sich bewahrt, vielleicht sogar noch ein wenig feiner geschliffen. Ich vermute, er benutzt die Menschen für seine Zwecke, aber er hat sich niemals mit ihnen eingelassen, und das macht ihn mir sympathisch.«
»Und wer sagt uns, dass er nicht auch uns für seine Zwecke benutzt?«
»Wahrscheinlich will er das sogar, sonst würde er nicht so viel Aufwand mit uns treiben. Aber das ist gut, denn es heißt, dass wir ihm etwas bieten können, und somit die Basis für einen Handel gegeben ist.«
Rian nickte, aber die Zweifel in ihr blieben.
Am Ende des dunklen Gangs betraten sie einen großzügig ausgelegten und über drei Ebenen verteilten Raum, der an der gegenüberliegenden Seite komplett verglast war. Die Panoramascheiben boten Ausblick auf eine nächtliche Parklandschaft in englischem Stil, die von den gleichen Lampen beleuchtet wurde wie der Vorplatz. Große Schiebetüren gaben Zutritt zu diesem Park, waren im Moment jedoch geschlossen. Der Raum selbst wurde von unzähligen Leuchtpunkten in der hellen Holzdecke und den Wänden in ein warmes, diffuses Licht getaucht. Selbst in den Parkettboden waren an einigen Stellen glimmende Leuchtdioden eingebaut. Die Möbel aus Glas und hellem Holz, die cremefarbene, ausladende Couchgarnitur, sogar der hohe Kerzenständer aus geschwärztem Metall und der riesige Fernseher an einer der Seitenwände warfen nicht mehr als schwache, diffuse Schatten. Als Rian das bewusstwurde, wanderte ihr Blick unwillkürlich zu ihrem eigenen künstlichen Schatten. Er hatte sich unsicher unter ihr verkrochen und waberte hin und her. Sie lächelte.
Alberich stand inmitten des Raums und sah ihnen mit einem erwartungsvollen Gesichtsausdruck entgegen. Kaum dass Rian seinem Blick begegnete, spürte sie auch schon wieder dieses leise Prickeln, das seine Gegenwart in ihr auslöste, und die Bedenken von zuvor rückten in den Hintergrund.
»Nun, was sagen Fanmórs Kinder hierzu?«, fragte er mit einer ausladenden Geste.
»Schön, schön«, antwortete David und sah sich um. Sein Blick blieb an der Bar hängen, die vor der dem Fernseher gegenüberliegenden Seitenwand stand. Die Regale dahinter wirkten gut bestückt, und Rian erkannte einige Flaschen, deren Inhalt vermutlich nicht aus der Menschenwelt stammte. Die Augen ihres Bruders leuchteten auf. »Darf ich?«
»Es wäre mir eine Ehre«, antwortete Alberich und machte eine einladende Geste. David ging ohne zu zögern die vier Stufen hinauf, welche die mittlere Ebene des Raumes von der Seite mit der Bar trennten, und trat hinter die Theke. In diesem Moment klang das Klackern von Pumps auf glattem Boden auf, und alle drehten sich zu einem Durchgang um, der neben dem Fernseher in ein angrenzendes Zimmer führte.
Eine hochgewachsene blonde Frau in einem langen roten Kleid, dessen Ausschnitt mehr zeigte als er verbarg, trat in den Wohnraum. Sie trug ein Tablett mit verschiedenen Schälchen voller süßer und salziger Naschereien. Als ihr Blick auf die Zwillinge fiel, blieb sie stehen, schüttelte mit einer knappen Kopfbewegung ihr welliges langes Haar zurück und lächelte, wobei sich ihre in zum Kleid passendem Rot geschminkten Lippen ein wenig öffneten, als sie David ansah.
»Das ist Angelina, meine Assistentin«, stellte Alberich die Frau vor. »Engelchen, das sind David und Rian Bonet, die beiden, mit denen du gestern telefoniert hast.«
»Erfreut, Sie kennenzulernen«, sagte sie und neigte etwas den Kopf. Ihre Stimme klang in natura noch angenehmer als am Telefon, und auch ihr Aussehen war durchaus angetan, das Interesse jedes Elfen zu erwecken.
Während Angelina die drei Stufen zum mittleren Teil des Raums hinunterstieg, sah Rian zu David, der sich mit beiden Unterarmen auf die Bar aufgestützt hatte und jede Bewegung der Frau genau beobachtete. Dann schweifte ihr Blick wieder zurück zu Alberich. Die Aufmerksamkeit des Nibelungen ruhte auf ihr. Rian straffte sich unbewusst etwas, als ihre Augen seinen begegneten, und drückte die Schultern zurück. Ihre Bewegung brachte ihr von Alberichs Seite ein leichtes Heben der Augenbrauen und einen anerkennenden Blick über ihren Körper ein. Sie spürte ein angenehmes Kribbeln ihre Wirbelsäule hinaufwandern und lächelte.
Angelina stellte die Schälchen auf dem Tisch ab und wandte sich dann David zu. »Darf ich Ihnen an der Bar helfen, Monsieur Bonet? Ich kann Ihnen zeigen, was wo steht.«
»Gern.« David stieß sich von der Bar ab, trat einen Schritt zurück und lächelte sie an. »Aber nennen Sie mich doch einfach David.«
»Und Sie mich Angelina, oder Engelchen, wie Sie mögen.«
Die Art, wie Angelina Davids Lächeln erwiderte, hatte etwas Laszives. Rian fiel auf, dass sie David mit voller Absicht mit ihren Brüsten streifte, als sie sich an ihm vorbei hinter die Bar schob. Das würde ihrem Bruder sicher guttun und ihn aus seiner Niedergeschlagenheit reißen.
Als sie sich abwenden wollte, um zu Alberich zu gehen, stellte sie fest, dass er bereits hinter ihr stand. Er berührte einen ihrer langen Strassohrringe und ließ die Fingerspitzen dabei ihren Hals streifen, ehe er die Hand in einer auffordernden Geste vor ihr verharren ließ.
»Wollen wir uns nicht setzen?«
Sie neigte etwas den Kopf und legte ihre Hand in seine. »Warum nicht.«
Während er sie zur Couch führte, spürte sie noch immer die kurze Berührung seiner Finger auf ihrer Haut, als habe er dort eine Spur aus kleinen Flämmchen gezogen. Die Weichen des Abends waren gestellt.
Mit halbgeschlossenen Augen ließ Alberich sich etwas tiefer in die Polster der Couch zurücksinken und schwenkte in der einen Hand das Cocktailglas, das David ihm gegeben hatte, als er und Angelina von der Bar zur Couch gekommen waren. Sein anderer Arm ruhte auf dem Rückenpolster, gegen das Rian sich lehnte, und die Hand glitt mit den Fingerspitzen Rians Halsbeuge entlang und wanderte von dort aus langsam tiefer.
Rian nahm einen tiefen Schluck von ihrem Cocktail, rutschte mit einem zufriedenen Seufzer etwas zur Seite und lehnte den Kopf an Alberichs Schulter. Sie war gespannt darauf, was nun kommen würde.
»Als sie den Schatz brachten, eingenäht in die Haut meines toten Bruders«, sagte Alberich, »war das der Anfang vom Ende für die Nibelungen.«
Seine Finger erreichten den Ausschnitt von Rians hautengem Oberteil und fuhren spielerisch daran entlang. Er sprach elfisch, und Rian nahm an, dass Angelina ihn nicht verstehen konnte. Das schien die Frau jedoch nicht allzu sehr zu stören. Sie war zufrieden damit, über die andere Couch hingebreitet zu liegen, den Kopf auf Davids Schoß, und ihm alle Einblicke zu bieten, die er sich wünschen konnte. Der Prinz nutzte das Angebot gern und ließ seine Hände seinen Blicken in der Erkundung ihrer Körperformen folgen.
»Wir stritten uns Tag und Nacht«, fuhr Alberich fort. »Vater wollte, dass wir mit dem Schatz so umgingen wie mit allem anderen – ihn aufbewahrten und dann nutzten, wenn wir ihn brauchten. Mein Bruder Fafnir und ich hingegen forderten die Aufteilung. Wir waren es leid, stets von ihm gegängelt zu werden, wollten unsere eigenen Entscheidungen treffen, vielleicht eigene Söldnertruppen gründen. Doch er blieb hart, und eines Abends beendete er den Streit kurzerhand, indem er den Schatz in einer mehrfach gesicherten Truhe verschloss und den Schlüssel verschluckte.« Alberichs Mundwinkel verzogen sich zu einem sarkastischen Lächeln, während sein Zeigefinger auf dem Seidenstoff von Rians Bluse eine Wanderung um ihre Brust herum aufnahm.
»Es war nicht die Beste seiner Ideen. Fafnir und ich waren uns einig, dass wir uns für Vaters Betrug rächen und uns den Zugang zum Schatz verschaffen