Eisernes Verderben. Franziska Franz

Eisernes Verderben - Franziska Franz


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Ich war guter Dinge, voller Elan und plante, einen Ausflug mit dem Rennrad zum Langener Waldsee zu unternehmen. Wenn ich mich am Ironman beteiligen wollte, dann sollte ich das Gebiet und den See zumindest einschätzen können.

      Vom Nordend aus waren es circa sechzehn Kilometer bis zum See, wie ich dem Routenplaner und den Informationen im Internet entnommen hatte – wenn man über Sachsenhausen fuhr und von dort aus den Weg durch den Stadtwald wählte. Die ebene Strecke führte über die Isenburger Schneise. Da ich es nicht eilig hatte und es bereits nach elf war, machte ich einen kurzen Umweg über die Oberschweinstiege, ein beliebtes Ausflugslokal, das, wie ich wusste, um elf Uhr öffnete und mitten im Wald lag. Seit das Lokal vor ein paar Jahren umgebaut worden war, saß ich dort besonders gern bei einem leckeren Essen mit Blick auf den kleinen idyllischen Waldsee, im Volksmund „Vierwaldstättersee“ genannt, um meine Seele baumeln zu lassen und das Treiben der Menschen zu beobachten. Ich blieb an diesem Tag jedoch nur für einen schnellen Kaffee, um dann zu meinem eigentlichen Zielort weiterzufahren. Ich fuhr Richtung Neu-Isenburg, durchquerte den Ort auf der Hauptstraße und fuhr weiter über Dreieich in Richtung Darmstadt. Unterwegs gab ich ordentlich Gas und brauchte nicht einmal eine Stunde, abgesehen von der Pause, die ich mir gegönnt hatte, und fühlte mich noch immer fit, wie ich zu meiner Genugtuung feststellte.

      Gegen den Langener Waldsee wirkte der „Vierwaldstättersee“ wie eine Pfütze. Ich war überrascht, als ich den Austragungsort des Ironmans erreichte – ein wirklich bezauberndes Ausflugsziel, beinahe wie ein Ort, an dem man gern Urlaub machte. Der Wald reichte an verschiedenen Stellen direkt bis ans Ufer des riesigen Baggersees, während an der gegenüberliegenden Seite ein felsiges Hanggelände lag. Ein riesiger Sandstrand erinnerte an einen Urlaubsort irgendwo im Süden. Für die Daheimgebliebenen durchaus ein kleines Paradies. Ich stellte mein Fahrrad am Eingang in einen Ständer, schulterte den Rucksack, den ich zuvor auf den Gepäckträger geschnallt hatte, erstand eine Eintrittskarte und sah auf die Uhr. Es war halb eins.

      Nicht wenige Sonnenanbeter okkupierten bereits den Strand. Ich warf den Rucksack auf einen freien Platz im Sand in direkter Ufernähe. Da ich die Badehose bereits trug, musste ich nur noch meine Trainingshose und das T-Shirt loswerden, um schließlich mit Anlauf einen Sprung ins kühle Wasser zu machen. Ich schwamm mit kräftigen Zügen. Auch wenn Schwimmen nicht zu meinen Leidenschaften gehörte, kraulte ich recht schnell und gut, fragte mich jedoch, ob ich es mit Hohmeister aufnehmen konnte. Immerhin trainierte er bereits seit mehreren Wochen. Mit Erstaunen stellte ich fest, dass mir das Schwimmen Freude bereitete. Vielleicht sollte ich mit Hohmeister gemeinsam trainieren. Ich nahm mir vor, ihn später anzurufen.

      Ich schwamm noch zwei Runden, dann legte ich mich zum Trocknen in die Sonne. Nicht weit von mir entfernt hatten es sich zwei junge Blondinen auf Handtüchern bequem gemacht. Ich war Ziel ihrer neugierigen Blicke, aber das kannte ich ja schon. Irgendwie kam mir die eine bekannt vor. Sie hatte dunkelblondes Haar und ihre Haare zu einem strammen Pferdeschwanz gebunden. Ihr Gesicht verbarg sie hinter einer großen Sonnenbrille. Wo hatte ich sie nur schon mal gesehen? Ich kam nicht darauf, und wahrscheinlich täuschte ich mich. Später fiel mir ein, dass Lena gerne große Sonnenbrillen getragen hatte – damals. Offenbar hatte mich die Vergangenheit wieder eingeholt.

      Als ich gegen sechzehn Uhr heimgekehrt war und ausgiebig geduscht hatte, beschloss ich, Hohmeister anzurufen. Seine Nummer hatte ich längst gespeichert.

      Er nahm beinahe sofort ab. „Harald, das ist ja super, dass du dich meldest!“, rief er geradezu ausgelassen in den Hörer. „Ich habe mit meiner Frau gewettet. Sie meinte nämlich, du würdest höchstwahrscheinlich nicht anrufen, hättest sicher Besseres zu tun. Verena!“, hörte ich ihn rufen. „Ich habe gewonnen! Harald ist am Apparat, du bist mir ein Glas Wein schuldig! Kommst du mal bitte? Warte einen Moment, Harald, ich gebe sie dir.“

      „Moment, ich … hallo? Ich wollte doch nur …“, protestierte ich, doch ich vernahm zunächst nur ein leises Rascheln und ein Knacken, dem eine angenehme weibliche Stimme folgte.

      „Hallo Harald. Entschuldigen Sie, dass ich Sie beim Vornamen nenne, aber Jan hat mir bereits von Ihnen erzählt, und nun bin ich neugierig. Ich bin Verena.“

      „Hallo Verena“, begrüßte ich sie. „Eigentlich wollte ich Sie gar nicht stören, ich wollte doch nur … Ach, egal. Schön, so eine sympathische Stimme zu hören. Ich hoffe, er hat nichts allzu Schlechtes über mich gesagt – Ihr Mann, meine ich.“ Ich lachte.

      Auch Verena lachte. „Aber nein, ganz im Gegenteil. Harald, ich habe da eine spontane Idee. Wissen Sie, Jan und ich gehen heute Abend zum Essen ins Größenwahn, da wäre es doch nett, wenn Sie dazustoßen würden. Wissen Sie, was Jan gerade macht? Er hebt den Daumen. Hätten Sie Lust?“

      Mein Gott, diese Stimme, so ungewöhnlich melodisch! Vor meinem geistigen Auge sah ich eine bezaubernde Frau. „Das ist wirklich eine nette Idee, Verena. Ich wollte Ihren Mann sowieso treffen, und zwar wegen des Projektes Ironman, von dem er mir erzählte. Also zu Ihrer Frage: Ja, wenn es Ihnen nichts ausmacht, dann geselle ich mich heute Abend gerne zu Ihnen. An welche Uhrzeit dachten Sie denn?“

      „Schatz!“, rief sie. „Wäre dir neunzehn Uhr recht? Okay, ihm ist es recht“, sagte sie zu mir. „Passt Ihnen das?“

      „Ich bin einverstanden.“

      „Prima, ich reserviere einen Tisch. Bis heute Abend also.“ Sie legte auf, bevor ich mich verabschieden konnte.

      Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Mein Blick ging ins Leere. Was für eine Frau mochte zu einer solch melodischen Stimme gehören? Aufgrund meines Berufes interessierten mich Stimmen ebenso sehr wie deren Besitzer. Ich malte mir eine Blondine mit langen, seidigen Haaren aus. Bestimmt war sie sehr weiblich. Dieser Mann hatte offensichtlich, was Frauen betraf, ein glückliches Händchen. Für einen winzigen Moment bereute ich es, Single zu sein. Wieder dachte ich an Lena. Ich hatte sie sehr geliebt und tat es womöglich noch immer. Manchmal ertappte ich mich dabei, auch weiterhin davon überzeugt zu sein, dass sie eines Tages vor meiner Tür stand. Was würde sie wohl sagen? „Hallo Schatz, hat etwas länger gedauert, aber da bin ich wieder“? Nein, nach all den Jahren würde sie sich gewiss nicht mehr bei mir melden.

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