BEUTEZEIT - Manche Legenden sind wahr. Lee Murray

BEUTEZEIT - Manche Legenden sind wahr - Lee Murray


Скачать книгу
studierte die Berichte; Diagramme, Tabellen und Scherzoneninformationen geophysikalischer Beobachtungen. Die Resultate enthielten noch nicht die Luftbilddaten – das verhinderten erschwerte atmosphärische Bedingungen – und außerdem waren ja ihre zwei australischen geologischen Touristen vor Ort. Es bestand kein Grund, die Regierung eines Landes in Alarmbereitschaft zu versetzen, weil man im Grünen nach Schürfplätzen recherchierte. Besser, man sammelte seine Informationen unauffällig. Sie steckte sich eine blonde Haarsträhne in ihren Haarknoten zurück. Wenigstens sahen die Resultate vielversprechend aus. Gut genug, um darin zu investieren. Angesichts der Wirtschaftskrise und der schlechten Presse, die sich negativ auf GeoTechs Aktienkurse auswirkten, käme ein lukrativer Vertrag gerade recht. Womöglich ließen sich die Dinge ja sogar ein wenig beschleunigen?

      Durch einen Anruf vielleicht …

      Kapitel 4

       Militärbasis der New Zealand Defence Force, Waiouru

      James Arnold starrte aus dem staubigen Fenster des Büros und betrachtete die Trainingsbasis – ein weitläufiges, grasbewachsenes Ödland. Da war es wieder, das kurze Aufflackern von Sonnenlicht, das in der Ferne von irgendetwas reflektiert wurde. Ein Zielfernrohr? Wahrscheinlich eher irgendein Trottel mit einer Sonnenbrille auf der Nase. James knurrte. Er würde den Vorfall mit dem Ausbildungsleiter besprechen müssen. Vor nicht allzu langer Zeit und unter der grellen Mittagssonne in Afghanistan hätte eine solche Unachtsamkeit einem Soldaten und seiner gesamten Einheit einen All-inclusive-Flug nach Hause beschert – in Leichensäcken.

       Ein Soldat und seine Einheit. In Leichensäcken.

      Ein Klopfen an der Tür ließ ihn kurz zusammenzucken.

      Private Karen Dawson und ihr perfekter Hintern. Die offizielle Bezeichnung dafür lautete wohl Knackarsch, überlegte James. Er nahm den Blick von dem Fenster.

      »Sergeant McKenna vom One Battalion in Linton ist eingetroffen, Major«, verkündete Dawson mit einer Stimme wie schmelzende Schokolade. Wäre James an ihr interessiert gewesen … wäre er trotzdem noch pflichtbewusst genug gewesen, um eine professionelle Distanz zu wahren. Mit seinen sechzig Jahren war sich James darüber im Klaren, nicht unattraktiv zu sein, in seiner khakifarbenen Uniform und dem Regenbogen aus Abzeichen, den silbernen Strähnen an den Schläfen und selbst den Falten auf seiner Stirn, die ihm einen gewissen Sean-Connery-Look verliehen, den Frauen anziehend fanden. Doch er gab nur selten seinen Gelüsten nach. Als Brenda vor sechzehn Jahren an Brustkrebs gestorben war, hatte er nicht das Interesse an weiblicher Gesellschaft verloren, aber man kletterte auch nicht die Karriereleiter hinauf, ohne sich in Zurückhaltung zu üben.

      Er lächelte. »Führen Sie den Sergeant doch bitte herein.«

      »Natürlich, Sir«, sagte Dawson. Sie lief zur Tür und gestatte James, nochmals einen flüchtigen Blick auf ihr prachtvolles Fahrgestell zu werfen.

      »Sie können hereinkommen, Sergeant McKenna«, sagte sie, trat beiseite und bedachte den Junior-Offzier, der das Büro betrat, mit einem hinreißenden Lächeln.

      James konnte es ihr kaum übelnehmen. Mit vierunddreißig Jahren war Taine McKenna etwa in ihrem Alter, und mit seinen stählernen Augen väterlicherseits und einer Haut wie poliertes Rimu-Holz – die er seiner Māori-Mutter verdankte – war er ein verdammt gutaussehender Bastard. Außerdem besaß der Junge die Kraft und Geschicklichkeit eines Mittelfeldspielers der All Blacks, mit den dazu passenden Bauchmuskeln. James konnte sich nicht einmal mehr erinnern, wann er seine eigenen das letzte Mal gesehen hatte. Heute war McKennas Muskulatur jedoch unter einer Standarduniform verborgen.

      Vor dem polierten Kauri-Holztisch nahm er Haltung an. »Major Arnold.«

      Dawson schloss die Tür und James winkte bei dem Ehrensalut des jungen Mannes ab. »Rühren, McKenna. Setzen Sie sich.«

      »Boss«, erwiderte McKenna, der die Kurzform des SAS für seinen befehlshabenden Offizier verwendete. Mit überraschender Anmut ließ er seinen Zwei-Meter-Körper auf einen Stuhl sinken.

      James setzte sich ebenfalls. »Ich habe einen Job für Sie, McKenna. Direkt aus der Aitkens Street«, erklärte er, womit er sich auf den Hauptsitz der Verteidigungsstreitkräfte bezog. Nicht, dass es in diesen Tagen noch viel zu verwalten gab, wo die Streitkräfte auf ein Minimum reduziert worden waren. Das Werk kurzsichtiger Anzugträger in der Regierung – jene Alles-Wird-Gut-Typen, die glaubten, dass dem Land schon nicht passieren würde, nur weil es am Arsch der Welt lag …

      James räusperte sich und fuhr fort. »Eine ministeriale Spezialeinheit wird sich in die Ureweras begeben, um dort Erkundungen zur Mineralgewinnung anzustellen. Sie und Ihre Jungs werden sie begleiten.«

      »Eine Spezialeinheit, Boss?«

      James schnaubte. »Das ist die Formulierung der Minister, nicht meine«, sagte er kopfschüttelnd. »Die haben als Kind wahrscheinlich zu viel Thunderbirds gesehen.«

      McKenna lächelte.

      »Sie wird hauptsächlich aus Regierungswissenschaftlern und ein paar Zivilisten bestehen und von Dr. Christian de Haas der New Zealand Petroleum and Minerals geleitet werden … zumindest offiziell.«

      »Ein Babysitter-Job.«

      »So in etwa.«

      McKennas Gesicht verfinsterte sich. »Und die Befehlskette?«

      »Dr. de Haas besitzt absolute Vollmacht.«

      »Ein Zivilist.« Sein Kiefer zuckte.

      James fuhr mit seinen Fingern über die Akte auf seinem Tisch. Die Armee verfügte über allen Schnickschnack, was digitale Technologien anbelangte, doch solange eine gewisse Verschwiegenheit gewahrt blieb, zog James eine gedruckte Version vor. Brenda hatte immer ihre Witze darüber gemacht, dass er zwischen den Zeilen lesen könne. Vielleicht hatte sie damit gar nicht so unrecht.

      »Ich weiß, es ist nicht ideal, aber wie es aussieht, könnte diese zivile Expedition uns eine nötige Tarnung bieten.«

      McKenna schwieg und wartete darauf, dass James ins Detail ging.

      James ließ seine Ellbogen auf dem Tisch ruhen, legte die Fingerspitzen aneinander und holte langsam und tief Luft, bevor er begann. »In den letzten drei Monaten haben die Parkwächter der Urewera-Region vermehrt Berichte über Personen erhalten, die in den Wäldern vermisst werden. Sehr viele. Vierzehn«, erklärte er. »Und sie sind auch nicht nach ein paar Tagen wieder aufgetaucht.«

      Er öffnete die Akte und blätterte ein paar Seiten um.

      »Campbell Edwards, 29, und Terry Hubner, 28, beide aus Johnsonville«, las er laut vor. »Die beiden wurden als Erstes vermisst gemeldet. Sie brachen am 26. März von Ruatahuna aus auf. Aus den Unterlagen der Rasthütten lässt sich entnehmen, dass sie in den ersten drei Tage der Route folgten und dann plötzlich verschwanden. Edwards Schwester informierte die Polizei, nachdem die beiden nicht wie geplant wieder auftauchten. Sie wartete sogar eine Woche mit ihrem Anruf – nur für den Fall, dass die beiden es sich in den Kopf gesetzt hatten, ihren Urlaub in Queenstown zu verbringen.«

      »Und einfach zu verschwinden ist untypisch für die beiden?«

      James schüttelte den Kopf. »Nein. Aber die Schwester beteuert, dass es selbst für die beiden ungewöhnlich ist, sich so lange nicht zu melden.«

      »Das muss nicht unbedingt etwas bedeuten, Sir. Den Fluss zu überqueren kann gefährlich sein, wenn man nicht weiß, was man tut.«

      »Da stimme ich Ihnen zu, und ich würde auch dazu neigen, die beiden Jungs als unglückliche Abenteurer abzutun und der Familie eine florale Beileidskarte zu schicken. Aber sie sind nicht die einzigen Urlauber, die verschwunden sind.« Die hölzerne Armlehne knarzte, als James in seinem Stuhl herumrutschte. »Nur eine Woche, nachdem Edwards Schwester die Behörden informiert hatte, verirrte sich ein deutsches Pärchen in den Flitterwochen. Dieselbe Region. Parkschützer fanden ihre Rucksäcke, intakt und fein säuberlich am Rand des Weges abgestellt, aber von ihnen selbst fehlte jede Spur. Dann


Скачать книгу