Joseph Roth: Gesamtausgabe - Sämtliche Romane und Erzählungen und Ausgewählte Journalistische Werke. Йозеф Рот

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und weil in der Welt der Branche eine Hand die andere in der Öffentlichkeit wäscht – was eine der wenigen Tugenden dieser Welt ist –, schämte sich Zipper gar nicht, im Kaffeehaus oder im Klub zu erzählen, daß er »Coups contrecarrierte« und »Chosen deichselte« im Interesse seiner Frau, mochte sie auch noch so wenig interessiert sein an dem, was Arnold tat.

      Denn sie kümmerte sich nicht um ihn. Sie wohnte außerhalb der Stadt, im Westen natürlich, der vornehmen Himmelsgegend, dort, wo eine Kolonie gutbezahlter Künstler den Bankdirektoren nahe war, den Politikern, den Industriellen. Sie wohnte mit drei Freundinnen, zwei Windhunden, die damals sehr modern waren, an Potsdam erinnerten und mit ihrer zerbrechlichen, dummen Grazie Eindruck machten, einem Gärtner und einem Chauffeur in einer Villa – – selbstverständlich in einer Villa. Die Buddhas begannen schon in der Halle und setzten sich bis ins Schlafzimmer fort. Eine ihrer Freundinnen war Morphinistin – des guten Tons halber – und besaß ein Grammophon, das sie in den Schlummer sang. Es spielte den ganzen Tag, man hörte sein fernes Ächzen, mit dem es die Melodien begleitete, durch alle Türen und das sanfte Quietschen der Kurbel, wenn man es aufzog. Oben, in einem Zimmer, das nur Sofas und Windhunde und Buddhas enthielt, lebte Arnolds Frau, wenn sie nicht im Atelier war.

      Zu Hause trug sie des Morgens einen Kimono, zum zweiten Frühstück, das sie um vier Uhr nachmittags einnahm, ein sogenanntes »Déshabillé« aus durchsichtiger und plissierter Seide, und sie glitt aus diesem Gewand – das ja ihre Tageszeit war – sofort in den Abend hinein, das heißt: in die »Toilette«. Dann empfing sie Gäste.

      Es waren ihre Kollegen aus den benachbarten Villen, lauter Lieblinge des Publikums, dämonische, sarkastische, lyrische, Verführer – und plebejische Typen, Schwerenöter und unwiderstehliche Bezwinger des Schicksals. Ach, wie sahen sie gleichmäßig aus und harmlos! Sie waren nicht geschminkt, es leuchteten keine Lampen, es befahl kein Regisseur. Sie hatten niemandem zu gehorchen als der Sitte, die ihnen befahl, zweimal innerhalb von fünf Jahren zu heiraten und dreimal in einem Jahr bestohlen zu werden. Wenn man sie sah, wie sie Karten spielten, Buki-Domino, wie sie panierte Schnitzel aßen und nach den wehenden Blättern des Salats schnappten, wie sie Liköre mischten und zum Grammophon tanzten, so verstand man nicht, was sie eigentlich dazu trieb, Schauspieler zu sein, durch weite, von Lärm erfüllte, wüste Ateliers zu hasten, in merkwürdigen Kostümen, was sie veranlaßte, Tränen zu vergießen und Throne aus Pappendeckel zu besteigen, auf Pferden zu galoppieren und auf Schiffen unterzugehen; weshalb sie ferner ihr privates Leben in den Glasvitrinen ausstellten, in den Zeitungen druckten, Biographen mitteilten, einen Klatsch um sich selbst erzeugten, logen und dementierten, sich verliebten – ohne an die Liebe zu glauben – und sich trennten, ohne an die Trennung zu glauben. Ach! weshalb waren sie nicht wie ihre Väter Zigarrenhändler, Börsenmakler, brave Uhrmacher und Bankbeamte? Weshalb spielten sie so ein lustiges Künstlervölkchen und trieben Opposition gegen ihre Nachbarn, die Bankdirektoren, die Fabrikanten und die Grundbesitzer? Waren sie alle zur Schauspielerei gekommen wie Fräulein Erna Wilder?

      Einmal in der Woche, nämlich am Sonntagnachmittag, durfte Arnold seine Frau besuchen. »Den Sonntag kann ich nicht ausstehen!« sagte Erna. »Volk ist eine ganz gute Sache, aber ein Volk am Sonntag geht mir auf die Nerven! Es ist doch gut, daß die meisten Menschen arbeiten.« Infolgedessen ging sie am Sonntag nicht aus. »Zu Hause bin ich nur am Sonntag!« kündigte sie einigen Leuten an, die sie außerhalb des offiziellen Mittwochs sehen wollten. Und Arnold ging zu ihr jeden Sonntagnachmittag.

      Es war das einzige Mal in der Woche, daß er ein Auto nahm; denn er brachte seiner Frau Blumen, und er war zu schüchtern, um jemanden sehen zu lassen, daß er Blumen trage. Er zog einen eleganten Anzug an – er hatte jetzt einige. Denn in der mondänen Welt, in der er jetzt lebte, mußte man besser angezogen sein, als man aß. Sogar ein Monokel trug Arnold in der Westentasche. Legte er es an, so lag es in seinem traurigen Gesicht wie ein vereister See in einer herbstlichen Landschaft. Aber er mußte es anziehen, bei Schönheitskonkurrenzen und auch, weil er kurzsichtig war.

      Seine Kleider kamen aus einem jener teuren und kleinen Schneiderateliers, die der großen Welt noch nicht bekannt sind, die noch vor einem Jahr für Briefträger arbeiteten, plötzlich von einem Schauspieler einen Auftrag bekamen und nichts mehr zu sorgen hatten. Irgend jemand sagte im Nachtlokal der Künstler:

      »Ich bin dem Tschipek tausend Mark schuldig.«

      »Wer ist Tschipek?« fragt ein Neugieriger.

      »Sie wissen nicht, wer Tschipek ist?«

      Und der andere begann nachzudenken, ob es nicht möglich wäre zu sagen, man kenne ihn, ehe man laut zugeben mußte, man kenne ihn nicht.

      »Tschipek ist der beste Schneider von Europa!« sagte der Schuldner (und wenn er witzig war, so sagte er: »von Europa und Umgebung!«). Dann rückte man mit den Stühlen und betrachtete den Anzug.

      Es gab da verschiedene verborgene, raffinierte Feinheiten, die nur Kenner zu schätzen wußten und die man auf den ersten Blick gar nicht eruieren konnte. So wurde man von den Wissenden ausdrücklich belehrt, daß die Knopflöcher jungfräulich geschlossen waren, obwohl sie so aussahen, als könnte man eine Blume in sie stecken. Die Taschen waren innen grau und nicht weiß. Die Hose hielt ohne Gürtel und Hosenträger, und die Weste hatte keine Schnalle. Die inneren Rocktaschen hatten Klappen, und das Unterfutter des Rocks ließ am unteren Rand eine hohle Stelle fühlen, eine Falte, damit der Stoff nicht »gezogen werde«, wie man fachmännisch sagte.

      Bei Tschipek, der seit einigen Jahren von Mund zu Mund empfohlen wurde, ließ auch Zipper »arbeiten«, wie er sagte. »Alle nähen jetzt bei Tschipek«, erzählte er. Er zeigte mir manche verborgenen Feinheiten, die anderen Kunden fremd waren und wohl ewig unbekannt bleiben würden. So erinnere ich mich an eine Weste, die so zauberhaft geschnitten war, daß man sie »tief« und »hoch«, das heißt: mit einem kleinen und einem weiten Ausschnitt tragen konnte, je nach der Farbe des Gewandes, das man gerade angelegt hatte.

      Wie weit lag die Zeit zurück, in der Arnold einen groben Anzug aus gefärbtem Militärtuch getragen hatte! Er hatte Geschmack an vielen kostbaren Spielereien gefunden, mein Freund Arnold Zipper. Seine Krawatten waren mustergültig, selbst Leute, die ihm übelwollten, mußten es zugeben. Seine Schuhe waren nach Maß gearbeitet und handgenäht, und vor Warenhäusern hatte Zipper einen Abscheu wie ich vor Abdeckereien.

      Manche zerbrachen sich den Kopf über sein Verhältnis zu seiner Frau.

      »Was macht sie mit diesem Mann?« fragten die Boshaften.

      »Was macht er mit dieser Frau?« fragten die Gutmütigen.

      »Warum ließen sie sich nicht scheiden wie alle Welt?« fragten die Neutralen.

      Erna aber hielt es für eine besondere Note, auf eine so merkwürdige Weise verheiratet zu sein. Fragte man sie, so gab sie Aufklärung:

      »Wir sind katholisch verheiratet, der gute Arnold und ich. Wir können nicht voneinander los.«

      Und ich war doch ihr Zeuge beim Standesamt gewesen. Erna sagte es aber auch, wenn ich da war.

      Daß sie ihn den »guten« Arnold nannte, schien mir beinahe ihrer selbst unwürdig. Warum? Sie hatte es doch nicht nötig, ein so abgenutztes Eigenschaftswort anzuwenden. Sie hätte sich doch schon etwas Mühe geben können, eine originellere Bezeichnung zu finden. Arnold aber lächelte, wenn sie ihn »guter« nannte. Sprach sie direkt zu ihm, so sagte sie sogar: »Bester«. Er lächelte wie einer, der es besser weiß und der, mögen die anderen auch glauben, er sei nur ein Guter, auch Stunden kennt; in denen ihm andere Eigenschaften zugemutet werden.

      Weshalb sie Arnold behielt, das fragte auch ich mich. Aber sie war klug und bitter genug, auch an die Stunden des Unglücks zu denken, die einmal kommen könnten. Aus manchen ihrer Reden glaubte ich auch entnehmen zu können, daß sie abergläubisch war und daß sie ihren Mann behielt, so wie man etwa einen Glücksaffen vor den Motor seines Autos stellt, um Zusammenstöße zu verhüten. Aber hinter diesem Aberglauben lag ihr Heimweh, von dem sie selbst nicht wußte, das frierende Stückchen Seele, das der Mensch nicht kennt, wenn es im Zimmer warm ist, das verborgene bißchen Armseligkeit, das man niemanden sehen läßt und selbst nicht sieht, wenn man reich ist, die zitternde


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