Rudern. Arno Boes
2.1RUDERN IM ALTEN ÄGYPTEN UND IN DER ANTIKE
Über Rudern als Freizeitvergnügen und vor allem als körperliche Ertüchtigung wird in den Aufzeichnungen der Ägypter berichtet. Etwa 1500 Jahre vor Christus, in der Zeit des Pharaos Amenophis, ließ sich die Oberklasse über den Nil zu Ausflügen rudern. Auch der Pharao selbst legte sich in die Riemen und hielt sich wohl so körperlich für die kriegerischen Auseinandersetzungen mit seinen Feinden und Widersachern fit.
Die Kriege und der Handel der Antike wurden im Mittelmeer um 500 v. Chr. durch die großen Schiffe der Griechen und Römer geprägt. Sie entwickelten die Technik ihrer Gefährte immer weiter, setzten einige hundert Ruderer in die Bäuche ihrer Schiffe, um immer mehr und längere Ruderriemen für die Geschwindigkeit einsetzen zu können. Gefürchtet waren dabei die Römer, die als Erste ihre Schiffe mit Rammspornen am Bug ausrüsteten, um ihre Gegner auf dem Wasser bewegungsunfähig machen und dann versenken zu können.
Die Phönizier und die Griechen perfektionierten diese Bauform der Schiffe, setzten gleich zwei und drei Reihen von Ruderern übereinander mit versetzt eingebauten Rudern, was ihren Schiffen eine immense Geschwindigkeit verlieh. So überfuhren sie quasi ihre Gegner, zu denen u. a. die Perser gehörten, die den griechischen Schiffen weit unterlegen waren.
Entgegen der Darstellung in manchen Historienfilmen saßen an den Ruderriemen keine Sklaven, sondern extra ausgesuchte starke Männer, die speziell ausgebildet waren, ständig trainierten und auch gut entlohnt wurden. So stellten die Feldherren dieser Zeit sicher, dass sie sich auf die Antriebskraft ihrer Ruderer in jeder Situation verlassen konnten. Zum Training gehörten Wettkämpfe der Schiffsbesatzungen untereinander und alle vier Jahre wurden zu Ehren der Stadtgöttin Athene große Ruderrennen im Hafen des heutigen Piräus ausgetragen.
Doch nicht nur zur Kriegsführung, auch zur Entdeckung der damalig bekannten Welt wurden die Ruderschiffe eingesetzt. Es ging bis zur afrikanischen Küste in das Reich der Araber und in den Norden bis nach Britannien. Und so begegnete man immer wieder anderen Völkern, die ebenfalls das Rudern als Antrieb für ihre Schiffe nutzen, etwa die Wikinger, die mit ihren Horden, vom Norden kommend, den Kontinent heimsuchten und dabei für ihre Erkundungs- und Raubzüge, vom Meer her kommend, die breiten und noch nicht kanalisierten Ströme wie etwa Rhein und Elbe nutzten.
2.2RUDERN ALS PRUNKFAHRT, BERUFSSTAND UND SPORT
Ganz anders kam das Rudern vor etwa tausend Jahren im heute norditalienischen Venedig zur Geltung. Dort gab es natürlich in den Kanälen tausende kleiner und größerer Boote, die von den Gondolieri gerudert wurden und für den täglichen Transport von Menschen und Gütern sorgten.
Herausragend waren aber die Prozessionen der Boote an den Feiertagen. Da waren große Boote mit vielen Ruderern an Bord geschmückt und herausgeputzt unterwegs. Es entstanden regelrechte Prunkfeste, die von den Stadtoberen zu vielen Anlässen angeordnet wurden. Und etwas davon hat sich bis zum heutigen Tage erhalten.
An jedem Pfingstwochenende findet bis heute die „Voga Longa“ auf den Kanälen der Lagunenmetropole statt. Dann gehören die großen und kleinen Kanäle ganz den muskelbetriebenen Wasserfahrzeugen, tausende Ruderboote, begleitet von Kajaks und Kanus, fahren durch die Stadt entlang ihrer Sehenswürdigkeiten. Immer wieder gibt es Staus und waghalsige Manöver an den engen Brückendurchfahrten. Ganz ohne Beschädigungen geht es selten ab. Und dennoch treffen sich alljährlich die Wassersportler aus ganz Europa mit den einheimischen Venezianern, um beim Pfingstfest die große Rudertradition der Stadt eindrucksvoll wiederzubeleben.
Wie kam es nun von diesen ganzen ruderischen Aktivitäten zur Sportart Rudern? Deren Wiege stand, wie bei vielen anderen sportlichen Disziplinen auch, auf der britischen Insel. Der Süden Englands war von vielen Flüssen und deren Nebenarmen durchzogen und um die zu überwinden, brauchte es Fähren. Das Rudern war im 18. Jahrhundert die effektivste Antriebsform und bald hatte sich eine eigene Zunft, die „Watermen“, etabliert. Die hatte strenge Regeln und achtete darauf, dass nicht einfach jedermann mit einem Boot selbst über die Gewässer rudern konnte. Da musste man harte Prüfungen ablegen, um in die Zunft aufgenommen zu werden und nur dann durfte man auch seinen Lebensunterhalt als professioneller Fährmann an den jeweils zugewiesenen Stellen eines Flusses verdienen.
Sehr ausgeprägt war auf der britischen Insel die gesellschaftliche Ordnung, dominiert vor allem durch den Adel. Der wollte nicht vom Zunftgebaren der freien Watermen abhängig sein, sondern nahm viele der Fährleute in seinen ganz persönlichen Personalstamm auf. So war für die Fährleute sichergestellt, dass sie ein festes Einkommen hatten und die Adeligen konnten jederzeit sich ihrer Dienste ohne langes Warten bedienen.
Ende des 18. Jahrhunderts entstand daraus ein Wettbewerb, wer denn wohl die schnellsten und stärksten Watermen in seinen Diensten hatte. Bald fuhren die Fährleute gegeneinander, versuchten, ihr jeweiliges Adelshaus, so gut es möglich war, zu repräsentieren. Die Adeligen selbst zeigten sich dann auch großzügig, setzten Preise und Prämien für diese Rennen der Watermen aus, was für die Ruderer natürlich ein willkommenes Zubrot für ihren meist kargen Lohn war. Nicht weit war es von dort aus bis zu den ersten Wetten des Adels und immer mehr entwickelte sich der eigentliche Fährbetrieb zu einem Freizeitvergnügen, bei dem sich die Sprösslinge der Earls und Lords auch selbst in die Boote setzten, um sich miteinander zu messen.
Bald wurde das zu einem Volkssport, besonders gepflegt und betrieben an den Eliteschulen der höheren Gesellschaft. Die bekannteste davon befindet sich bis heute nahe dem Stammhaus der amtierenden Königsfamilie in Windsor. Nur ein paar Kilometer davon entfernt liegt am Themseufer Eton mit seinem weit über die Grenzen des kleinen Städtchens hinaus bekannten College. Bis heute verfügt die Schule über riesige Bootshallen, in denen Hunderte von Ruderbooten liegen, die im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert von den männlichen Nachkommen der Adelsfamilien gerudert wurden. Jeder hatte seinen eigenen Einer, was die hohe Anzahl von Booten erklärt. Hier liegen die Wurzeln der bis in unsere moderne Zeit andauernden Bedeutung des Eton Colleges für den Rudersport.
Ganz in der Nähe befindet sich der Dorney Lake, ein künstlicher, quasi rechteckiger See, umgeben von vielen Wiesen und Ländereien der dortigen Familien. Er gehört dem Eton College, das 1996 mit den Bauarbeiten für eine moderne Regattastrecke mit der Wettkampfdistanz von 2.000 Metern begann und an dessen Kopfende ein umfassendes Leistungszentrum für den Wassersport mit allen Räumen und Einrichtungen entstand. Nach Welt-Cup-Regatten und der Weltmeisterschaft 2006 wurden hier die Rennen der Olympischen und Paralympischen Spiele 2012 der Ruderer und Kanuten ausgetragen.
Kurz zurück zu den Watermen: Nach den ersten Rennen, bei denen es bereits um prestigeträchtige Abzeichen und Geldprämien ging, wurde schon 1831 eine erste „Weltmeisterschaft“ ausgetragen. Die „Welt“ des Ruderns als Wettkampf war halt noch im Vergleich zu heute sehr begrenzt und der Umgang mit solchen großen Titeln eher lax. Dass es noch mehr als 120 Jahre dauern sollte, bis erstmals Ruderweltmeisterschaften im heutigen Format ausgetragen wurden, gehört auch zu den Eigenarten der Sportart. Darüber aber mehr im fünften Kapitel dieses Buches.
2.3RUDERN WIRD POPULÄR UND EROBERT DEN KONTINENT
Trotzdem entwickelte sich das Rudern als Freizeitvergnügen und Sportart schon bald nach den ersten Anfängen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Das wohl bekannteste Rennen ist der Universitätenwettstreit zwischen Oxford und Cambridge, der erstmals 1829 ausgetragen wurde.
Zwei Freunde (Charles Wordsworth und Charles Merrivale) hatten die Idee dazu. Beide kamen aus Oxford, Merrivale ging aber nach Cambridge zum Studium, besuchte weiterhin regelmäßig seinen Freund, der in seinem Heimatort studierte und ruderte. Irgendwann hatten sie dann die Idee zu einem größeren Rennen und steckten damit auch ihre Professoren an den beiden Hochschulen an. So kam es am 10. Juni 1829 zum ersten „Boat-Race“. 1845 zog man dann auf die noch heute genutzte Strecke der Themse zwischen den Londoner Stadtteilen Putney und Mortlake. Seitdem haben nur die beiden Weltkriege und im Jahr 2020 die Corona-Krise für einen Ausfall des legendären Wettstreits gesorgt.
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