Rudern. Arno Boes
von den Gezeiten – englisch Tide – beeinflusst, der Abschnitt des Rennens wird deshalb auch der Tideway genannt. Dieser Umstand sorgt dafür, dass als Datum immer ein Wochenende zwischen Ende März und Anfang April festgelegt wird, bei dem das auflaufende Wasser des Flusses zwischen Vormittag und spätem Nachmittag seinen Höchststand erreicht. Nur dann ist die Themse dort breit genug, um genügend Platz für die meist spannenden Bord-an-Bord-Kämpfe auf den gefahrenen 6,8 Kilometern zu bieten. 165 Rennen gab es bisher, 84-mal gewann Cambridge, 80-mal Oxford. Und das eine Unentschieden ist der Legende geschuldet, dass der Zielrichter 1877 wohl zu betrunken war, um am Ende ein Ergebnis festzulegen.
Inzwischen fahren auch die Frauen der beiden Universitäten ihre Rennen auf dem Tideway aus. Wie heute noch die Leichtgewichtsmannschaften und Ehemaligen der Universitäten starteten sie bis 2011 in Henley auf dem dortigen, etwa 2.250 Meter langen Regattakurs. Dort findet bis heute eine legendäre Regatta statt mit königlichem Status. Dazu auch später etwas mehr.
Von der britischen Insel aus verbreitete sich der Rudersport in Richtung europäisches Festland. Schon 1830 gründeten englische Kaufleute, die mit ihren Kollegen in Hamburg eifrigen Handel unterhielten, in der Hansestadt den ersten Klub auf deutschem Boden. 1836 hatten sie die Hamburger Kaufleute so sehr für das Rudern begeistert, dass diese den ersten deutschen Klub gründeten. Er zählt auch wegen seiner Historie noch heute unter dem Namen „Der Hamburger und Germania Ruderclub“ zu den erfolgreichsten und bedeutendsten Rudervereinen in Deutschland.
Die Austragung von Regatten stand an erster Stelle des Vereinszwecks und bald gründeten sich weitere Vereine und Regattainitiativen unter anderem in Berlin, Frankfurt und Mannheim. Gefördert wurde das nicht zuletzt durch das Kaiserhaus in Berlin, wenn auch mit einem eher unsportlichen Hintergrund. Da Rudern den ganzen Körper in Anspruch nimmt und die Disziplin unter dem Kommando eines Steuermanns eine große Rolle spielt, betrachteten die Monarchen und ihre militärischen Berater den Rudersport als eine gute körperliche und moralische Grundausbildung kommender Soldatengenerationen. Wohl auch deshalb ist hier die Grundlage für viele Vereinsgründungen von Ruderklubs in Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts zu suchen.
Doch der sportliche Gedanke kam nicht zu kurz. Sport braucht Regeln und um diese zu vereinheitlichen, damit man landesweit gegeneinander Wettkämpfe austragen konnte, gründete sich 1883 der Deutsche Ruderverband (DRV), unter dessen Dach die Vereine und Regattaausrichter sich koordinierten und sich auf einheitliche Austragungsformen von Ruderrennen verständigten. Der DRV gilt damit als der älteste deutsche Sportverband. Heute hat er seinen Sitz in Hannover, rund 500 Vereine, Regattaverbände und Schülerrudervereinigungen sind in ihm zusammengeschlossen. Insgesamt sind über die Vereine rund 83.000 Einzelmitglieder dem Verband mittelbar angeschlossen, von denen der größte Teil das Rudern vor allem als Freizeit- und Breitensport zur eigenen Fitness ausübt. Nach wie vor gehört aber der Wettkampfsport, aus dessen frühen Anfängen mal alles entstand, zu den prägenden Verbandsaufgaben.
Auch in anderen europäischen Staaten hatte inzwischen das Rudern an Stellenwert im Sport gewonnen, nicht zuletzt gefördert durch die höheren Schichten der Gesellschaft. So kam es dann 1892 zur Gründung des internationalen Ruderverbandes durch die Schweiz, Frankreich, Italien, Belgien und die damals eigenständige Region am nordöstlichen Mittelmeer. Da Französisch in diesen Staaten die gebräuchliche Amtssprache war, einigte man sich auf den Namen Fédération Internationale des Sociétés d'Aviron, kurz FISA genannt. Diese internationale Föderation der Ruderverbände gilt als ältester Sportverband der Welt, dem heute 155 nationale Verbände angeschlossen sind und der seinen Sitz in Lausanne/Schweiz hat.
An dieser Stelle soll es zunächst mit der Schilderung der Historie des Ruderns genug sein. Auf weitere Begebenheiten und Entwicklungen des Rudersports wird noch in späteren Kapiteln des Buchs eingegangen. Eines aber soll hier noch erwähnt werden: Vergleicht man das Rudern mit anderen heute populären Sportarten, wird man feststellen, dass die gesellschaftliche Entwicklung genau entgegengesetzt gelaufen ist. Stand das amateurhafte Freizeitvergnügen bei vielen Sportarten zunächst im Vordergrund, bevor es zu professionellen Formen des Sports mit heutigem Ausmaß kam, war es beim Rudern genau umgekehrt. Handel, politische Interessen und Lebensunterhalt standen bei den antiken Völkern und dann den Watermen im Vordergrund, als sie zu den Ruderriemen griffen.
Vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als Europa nach und nach friedlicher wurde, entwickelte sich das Rudern zur Sportart mit ausgeprägtem amateurhaften Charakter. Und auch wenn heute vor allem im Hochleistungssport die rudernden Akteure durch berufliche Absicherung in staatlichen Institutionen oder Sponsoren in der Zeit ihrer sportlichen Karriere finanziell abgesichert sind, gibt es keinen professionell ausgeübten Rudersport auf der Welt. Einige Topathleten haben nach ihrer Karriere hier und da die Möglichkeiten, ihre sportlichen Erfahrungen, verbunden mit entsprechenden Studienabschlüssen, auch weiterhin beruflich einbringen zu können. Aber das sind die Ausnahmen mit denkbar größtem Abstand zur heutigen professionell betriebenen Sportausübung in den populären Sportarten unserer Zeit.
GRUNDLAGEN
Rudern sieht für den Laien, von außen betrachtet, eher leicht aus. Sich im Boot hin und her bewegen und dabei die Ruder durch das Wasser ziehen, kann ja so schwer nicht sein. Aber, Vorsicht: Rudern ist eine komplexe Sportart, bei der die Bewegungsabläufe genau passen müssen. Deshalb gibt es auch zunächst einiges zu lernen, wenn man in diesen Sport einsteigt.
3.1BEGRIFFSERKLÄRUNGEN
Dazu gehören einige Fachbegriffe, auf die wir in diesem Kapitel eingehen wollen. Eine umfangreiche Erklärung des Vokabulars im Rudersport ist im Anhang als Wörterbuch zu finden.
3.1.1Die Seiten des Boots
Vier Himmelsrichtungen gibt es, vier Seiten hat auch ein Boot. Zwei laufen meist spitz zu, die beiden anderen sind dafür umso länger. Es ist die typische Form eines Boots oder Schiffs, die sich für das Befahren von Gewässern durchgesetzt hat.
Vorne am Boot, ausgerichtet auf die gewünschte Fahrtrichtung, befindet sich die Spitze, fachmännisch der Bug genannt. Er läuft bei Ruderbooten meist spitz zu, damit er möglichst wenig Widerstand bei der Fahrt durchs Wasser bildet. Auf der gegenüberliegenden Seite ist das Heck, also hinten am Boot. Bei den motorgetriebenen Wasserfahrzeugen befindet sich dort meist der Antrieb, einerlei, ob am kleinen Sportboot oder am großen Ozeanriesen. Beim Ruderboot findet man dort zumindest ab der Größe für einen Zweier eine Platte aus Holz oder Kunststoff. Diese Platte heißt Steuer, sie ist über Leinen oder über Drahtseile mit den Aktiven im Boot verbunden, die darüber die Fahrtrichtung des Boots beeinflussen, also steuern können.
Rechts und links am Ruderboot befinden sich die langen Seiten, an denen die Ruder befestigt sind, mit denen die Aktiven das Boot bewegen. Die sind je nach Bootstyp und Anzahl der Ruderer unterschiedlich lang. Die Begriffe rechts oder links sind aber bei allen Booten und Schiffen nicht gebräuchlich. Vielmehr spricht der Fachmann von Backbord und Steuerbord. Dabei wird die Backbordseite mit roten Markierungen versehen, die Steuerbordseite mit grünen. Das ist ebenfalls in der gesamten Schifffahrt international so festgelegt und gilt entsprechend in Ruderbooten.
Und genau dort kann man auch gut nachvollziehen, warum man diese Benennung der Seiten so festgelegt hat und nicht von rechts und links spricht. Ruderer sitzen, auch das wird der Laie schnell festgestellt haben, mit dem Rücken zur Fahrtrichtung. Der Steuermann aber schaut in Fahrtrichtung, sitzt also genau umgekehrt. Würde er nun ein Kommando geben, dass z. B. auf der rechten Seite etwas kräftiger gerudert werden muss, um dem Boot eine andere Fahrtrichtung zu geben, wüssten die Ruderer nicht, „welches Rechts“ denn nun gemeint ist. Das des Steuermanns, der ja in Fahrtrichtung sitzt, oder das der Ruderer,