Katzenfische. Mila Roth
kurze braune Haar, wie um durch die leichte Kopfmassage seine Lebensgeister zu wecken. In seinem Schoß lagen ein Knäuel weinrotes Häkelgarn sowie die passende Nadel. Während langwieriger Überwachungsjobs beschäftigte er sich mit Handarbeiten. Die auf diese Weise entstandenen Decken, Kissenbezüge, Taschen und Stofftiere verkaufte seine Frau in ihrem kleinen Laden in der Bonner Innenstadt.
»Mhm, geht mir ähnlich.« Sein Kollege Dirk Kellermann reckte sich ein wenig im Fahrersitz des dunkelblauen Audis, mit dem sie auf dem Waldweg in Sichtweite des ehemaligen Gutshofes Stellung bezogen hatten, um Janna und ihre Familie im Auge zu behalten. »Hier sagen sich aber auch wirklich Fuchs und Hase gute Nacht. Bernstein hätte keinen besseren Platz als Versteck für das Paket finden können. Darauf kommt garantiert kein Mensch.« Er betrachtete die schicke kleine Handtasche, an der Alfred bis eben gearbeitet hatte. »Wie weit bist du?«
»Fast fertig. Zu Hause muss ich noch die weißen Perlen aufnähen. Dazu fehlt mir hier das Licht.«
»Meine Freundin ist ganz heiß auf solchen Schnickschnack.« Nun fuhr sich auch Kellermann durch sein dunkelblondes Haar und rieb sich danach über den Dreitagebart. »Nächste Woche ist unser Zweijähriges. Hast du die Tasche bis dahin fertig?«
»Aber sicher doch.« Alfred nickte grinsend. »Tina macht dir auch einen Sonderpreis.«
»Danke, sehr freundlich.«
»Wie ist es eigentlich, willst du mit Anne-Lena nicht mal bald Ernst machen?«
Dirk hielt einen Moment inne, bevor er nickte. »Ich schätze schon. Aber ich weiß noch nicht so richtig, wie ich es anstellen soll.«
»Wie wäre es mit auf die Knie gehen und fragen: Willst du mich heiraten?«
»Pffff, das sagt sich so leicht.«
»Ich wüsste nicht, was daran schwierig sein sollte. Bei mir hat es jedenfalls funktioniert.«
Dirk warf seinem Kollegen einen unsicheren Seitenblick zu. »Meinst du wirklich, ich soll das so machen? Ist das nicht reichlich kitschig?«
»Frauen fahren darauf ab. So wie ich Anne-Lena einschätze, wäre sie bestimmt hin und weg.«
»Sie soll nicht hin und weg sein, sondern ja sagen!«
Alfred lachte. »Das ist bei hin und weg inklusive.«
»Na ja, ich überleg’s mir. Vielleicht fällt mir ja noch was Besseres ein.« Dirk öffnete die Tür. »Ich trete mal kurz aus.«
»Lass dich nicht von einem Dachs beißen – oder was auch immer nachts hier herumkreucht und -fleucht.«
Während sein Kollege sich vom Wagen entfernte, um sich zu erleichtern, knipste Alfred die winzige LED-Lampe wieder an, in deren Lichtschein er zuvor an der Häkeltasche gearbeitet hatte. Die Deckenbeleuchtung ließ er ausgeschaltet, da sie zu auffällig war. Zufrieden konstatierte er, dass ihm die Handarbeit wieder einmal hervorragend gelungen war. Wenn erst die kleinen weißen Perlen aufgenäht waren, würde die Tasche ein Prachtstück sein. Er sah jetzt schon Anne-Lenas begeisterte Reaktion auf das Geschenk vor sich.
Nachdem er das Garnknäuel und die Häkelnadel in eine kleine Box auf dem Rücksitz gelegt und die Tasche in einer Plastiktüte verstaut hatte, drehte er das Radio an, jedoch nur mit geringer Lautstärke. Er spürte, wie die Müdigkeit allmählich, aber mit Macht in ihm aufstieg. Den ersten toten Punkt hatte er vor etwa zwei Stunden überwunden, nun stand offenbar der nächste an. Vielleicht sollte er sich auch kurz die Füße vertreten, wenn Dirk zurückkam. Wo blieb er überhaupt?
Alfred öffnete die Beifahrertür einen Spalt weit. »Dirk? Bist du bald fertig? Ich muss auch mal für kleine Königstiger.« Er lauschte in die kalte Herbstnacht, doch außer dem Ruf eines Nachtvogels war nichts zu hören. Alarmiert blickte Alfred sich um. Seine Hand zog automatisch die Pistole aus dem Halfter unter seinem grauen Parka. »Dirk?«, rief er noch einmal leise. »Komm schon, solche Scherze kann ich um kurz nach drei in der Früh nicht vertragen.«
Als sein Kollege weiterhin keinen Mucks von sich gab, griff Alfred nach der Stablampe im Fach der Autotür, schaltete sie ein und stieg vorsichtig aus dem Wagen. Seine Waffe hatte er entsichert. Schritt für Schritt umrundete er den Audi und leuchtete die Umgebung ab. »Verdammt, was soll das?«, murmelte er und überlegte bereits, ob er Verstärkung anfordern sollte. In dem Moment sah er in einiger Entfernung Dirk am Boden liegen.
»Scheiße!« Mit wenigen Schritten war er bei dem Agenten, sah sich dabei wachsam um, doch alles war vollkommen still. Als er sich prüfend über Dirk beugte, wurde er von hinten gepackt. Ehe er reagieren konnte, presste ihm jemand ein Stück Stoff vor Mund und Nase. Er erkannte den süßlichen Geruch sofort und versuchte sich zu befreien. Aber da war es bereits zu spät. Seine Muskeln erschlafften, es wurde schwarz um ihn.
Der Angreifer ließ seinen leblosen Körper achtlos zu Boden gleiten, gab dann einer zweiten Person, die sich hinter einem Baumstamm versteckt gehalten hatte, ein Zeichen. Ohne weiter auf die Agenten zu achten, schlichen die beiden in Richtung des Gutshofes.
***
Außenbezirk von Rheinbach
Gut Tomberg
Dienstag, 25. Oktober, 3:14 Uhr
»Autsch!« Verschlafen rieb Janna sich den schmerzenden Nacken. Sie lag auf ihrer Couch, den Kopf auf der Armlehne; auf dem dunklen Bildschirm ihres Fernsehers rotierte eine blaue Raute mit der Inschrift DVD. Sie hatte sich, da die Kinder fort waren, ausnahmsweise einen Abend mit romantischen Hollywood-Komödien gegönnt und war offenbar irgendwann während E-Mail für dich eingeschlafen. Gähnend griff sie nach der Fernbedienung und schaltete Fernsehgerät und DVD-Player aus. Dann tastete sie sich im Dunkeln in Richtung Treppe. Die Umgebung war ihr so vertraut, dass sie darauf verzichtete, Licht einzuschalten. Müde schleppte sie sich ins Obergeschoss hinauf. Als sie auf halber Höhe an einem der beiden Fenster des Treppenhauses vorbeiging, weckte ein kleiner Lichtpunkt ihre Aufmerksamkeit. Irritiert blieb sie stehen und schaute hinaus in die nächtliche Dunkelheit. Da war er wieder! Ein heller Punkt, nein, ein Lichtkegel, der sich von der Hecke, die das Grundstück umgab, auf das Haus zubewegte.
Jannas Herzschlag nahm unvermittelt an Geschwindigkeit zu. Da schlich jemand über den Hof! Sie umklammerte das Fensterbrett und versuchte angestrengt, mehr zu erkennen.
Das Licht der Taschenlampe hielt kurz inne, dann flammte ein zweites auf. Beide Lichter bewegten sich weiter auf das Haus zu, bogen dann aber in Richtung des Schuppens ab.
»O nein!« Sie bemerkte kaum, dass sie laut gesprochen hatte. Alles, woran sie denken konnte, war das Päckchen, das sich im Schuppen befand. Sie hatte lange überlegt, wo sie es deponieren sollte. Markus hatte von einem sicheren, unauffälligen Ort gesprochen. Da sie nicht wusste, was sich in dem Paket befand, hatte sie es schließlich hinüber in den Schuppen gebracht. Man konnte ja nie wissen. Was auch immer der Inhalt war – wenn man ihn schon hier bei ihr versteckte, weil dieser Ort im Institut offenbar als sicher galt, würde erst recht niemand vermuten, dass sie das Päckchen im Schuppen zwischen den Altpapierkartons abgelegt hatte. Lediglich Herrn Kellermann und dessen Kollegen hatte sie davon erzählt.
Als sie am frühen Abend mit Bella, der Hündin ihrer Eltern, einen kleinen Spaziergang gemacht hatte, waren die zwei Agenten außer Sichtweite des Hauses aufgetaucht und hatten ihr versichert, dass ihr Haus und die Umgebung bis zu Markus’ Eintreffen am folgenden Morgen von ihnen überwacht werden würden. Doch wo steckten die beiden jetzt? Dass es sich bei den beiden Gestalten, die soeben im Inneren des Schuppens verschwunden waren, nicht um Kellermann und seinen Kollegen handeln konnte, war ihr klar. Die beiden waren zuverlässige und vertrauenswürdige Agenten, sonst hätte Walter Bernstein sie nicht zu ihrer Überwachung abgestellt. Ganz abgesehen davon, dass sich der gute Leumund Dirk Kellermanns erst vor drei Wochen während der Aufklärung eines anderen Falles als zweifelsfrei erwiesen hatte. Ein Terrorist hatte es so aussehen lassen, als sei Kellermann der gesuchte Maulwurf im Institut, doch diesen Verdacht hatten sie glücklicherweise ausräumen können.
Wenn also jemand heimlich nachts hier herumschlich, konnte das nur bedeuten, dass Fremde hinter dem Päckchen her waren. Und sie