Zu viele Putzfrauen. El Awadalla
Wieder der Zivile, er stellt sich vor, »Kowarik«.
Sie besteht darauf, zuerst zu duschen und sich etwas Frisches anzuziehen; das darf sie unter der Bedingung, dass der Uniformierte vor der Badezimmertür Wache hält.
Ingrid gefällt ihr Spiegelbild gar nicht. Heute ist Aschermittwoch, denkt sie, reiner Zufall.
Dragica macht ihre Kinder für die Schule und den Kindergarten fertig, sie zieht der Kleinen gerade die Schuhe an, als es vor ihrer Tür laut wird.
»Aufmachen, Polizei!«
Pumpern und Läuten, sie macht mit der Kleinen auf dem Arm die Tür auf und schaut in einige Gewehrläufe und maskierte Gesichter; die Maskierten stürmen an ihr vorbei in die Wohnung, einer fragt: »San Se de Jowanowitsch Dragica?«
Sie ist erschrocken, zittert, kann nicht antworten, die Kleine brüllt, aus dem Wohnzimmer hört sie auch die beiden anderen Kinder schreien.
»Ich muss die Kinder bringen«, sagt sie.
»Des geht net!«, brüllt eine Maske sie an, die drei Kinder schreien immer lauter.
Dragica muss sich am Türstock anhalten. Polizisten in Zivil kommen in die kleine Wohnung, sie reißen die Kastentüren auf, einer durchwühlt den Mistkübel unter der Abwasch.
»Bitte, die Kinder, bitte, sie müssen in die Schule und in den Kindergarten.«
»Is eh besser, waun s’ weg san«, sagt einer der Kieberer.
Dragica hat das Gefühl, mindestens zwanzig Männer rennen und schreien in ihrer Wohnung.
»Nana, se bleim do«, sagt der Polizist und räumt die Schultaschen der Kinder aus.
Schließlich dürfen sie doch in die Schule gehen.
Die beiden Großen müssen die Kleine in den Kindergarten bringen, der ist gleich ums Eck von der Schule, also kein großer Umweg.
Dragica darf nicht hinaus, sie muss sich in der Küche auf eines der zwei Stockerl setzen, das andere nimmt sich einer der zwei zivilen Kieberer.
»Und«, fragt er, »woastas?«
Dragica hat keine Ahnung, was der von ihr will. Was?
»Gib’s zua, du host de Oide umbrocht!«
Was, wer sei umgebracht worden?, fragt sie.
»Dua ned so«, schreit der Polizist, »du woastas!«
Sie fängt an zu weinen, aus dem Wohnzimmer hört sie Geräusche. Dort wird die Beute gesucht, es war ein Raubmord. Der Kaffee in der Filterkaffeekanne verbreitet den grauslichen angesengten Geruch, den Kaffee immer annimmt, wenn er zu lange auf der Wärmeplatte steht. Sie hätte gerne einen Schluck, heiß und schwarz, aber sie traut sich nicht, irgendetwas zu sagen.
»Gib’s zua, du woastas, mia kenna eich Tschuschngsindl, gib’s zua! Samma schnölla featich.«
Dragica muss mitfahren. Fingerabrücke, DNA-Abstrich, Einvernahme, Protokoll. Erst auf dem Wachzimmer erfährt sie, wer umgebracht worden ist: die alte Frau Auinger.
Sie weint gleich wieder, eine so liebe Frau! Dragica hat für sie eingekauft, ihr im Haushalt geholfen, manchmal auch geputzt, ist mit ihr zum Arzt gegangen, weil die alte Dame nicht mehr gut gesehen hat und nicht mehr gut auf den Beinen war.
Tot?
Die arme Frau Auinger; mehrere Kieberer versuchen gleichzeitig und abwechselnd, ihr ein Geständnis abzuringen. Einer geht hinaus, kommt zurück, sagt: »Mia haum Beweise, gib’s zua.«
Das ganze Verhör dauert, bis es Zeit ist, die Kinder von der Schule abzuholen.
Die Polizei weiß schon alles: Die Frau Auinger ist ermordet worden. Ihr Sohn hat sie gefunden, Geld ist gestohlen worden und irgendetwas Wertvolles. Alles ist voller Blut.
Franziska Auinger, 82, alleinstehend, wurde mit einer Krücke erschlagen, durch mehrere Schläge auf den Kopf.
Die Frau muss jemandem die Tür aufgemacht haben. Es gibt keine Einbruchsspuren. In der Küche wurden zwei Kaffeehäferl gefunden, mit den Fingerabdrücken der Toten und einer unbekannten Person.
Aus dem Wohnzimmerkasten fehlt Bargeld, eine mindestens vierstellige Summe und die Münzsammlung ihres längst verstorbenen Mannes. Diese Sammlung könne gut über hunderttausend Euro wert sein. Das sagt zumindest der Sohn der Toten, der sie auch gefunden hat.
Es sieht so aus, als habe der Täter oder die Täterin genau gewusst, wo er oder sie suchen musste. Das lenkt den Verdacht freilich auf die Putzfrau, oder auf den Sohn, oder auf die geschiedene Frau des Sohnes, aber die Putzfrau ist die Einzige, die aus einem kriminellen Umfeld kommt. Einer ihrer Brüder sitzt gerade eine Gefängnisstrafe wegen Autodiebstahls und anderer kleinerer Delikte ab, ein zweiter ist erst seit Kurzem auf freiem Fuß.
Sie haben Autos nach Serbien gebracht, dort aus zwei oder drei Unfallwägen ein neues gebaut, das sie später in Wien verkauften. Wie oft sie das gemacht haben, weiß niemand. Aber in einigen Fällen ist ihnen Betrug nachgewiesen worden. Es waren auch gestohlene Autos darunter. Doch gestohlen haben andere, die Brüder haben nur den Transport und den Umbau erledigt.
Nachdem die Kinder gegessen haben, ruft Dragica Ingrid an, sie wissen voneinander noch nicht, dass sie beide verdächtigt werden. Am Nachmittag werden sie sich im Huberpark treffen, weil sie Angst haben, dass die Polizei ihre Telefone abhört. Dragica geht mit der Kleinen gerne in den Huberpark, ihre Kinder nennt sie anderen gegenüber immer nur die Kleine, die Größere und der Große.
Im Park wissen offenbar auch schon alle Bescheid. Keine von den wenigen Müttern setzt sich zu ihnen auf die Bank, aber alle schauen sie mehr oder weniger verstohlen an.
Es ist kalt und trüb und windig, sie bleiben nicht lange.
Dragica putzt auch bei Ingrid und bei einer Reihe ihrer Freundinnen, sie wohnt gleich im Nebenhaus. Ihr geht es finanziell ziemlich schlecht, gemeinsam mit ihren Brüdern hat sie einen Gebrauchtwagenhandel betrieben, bis die Brüder wegen Betrugs und Hehlerei eingesperrt wurden. Sie ist dann mit dem Geschäft in Konkurs gegangen, mit nachfolgendem Privatkonkurs. Darum ist sie auf das bisschen Geld aus ihrer Schwarzarbeit angewiesen, na ja, Arbeit … mit den alten Leuten zum Arzt oder zur Friseurin oder zur Fußpflege oder für sie einkaufen zu gehen, das ist mehr eine Trinkgeldgeschichte, das reicht gerade für das Allernötigste. Der Große hat als Einziger in seiner Klasse kein Smartphone. Einer ihrer Brüder, der Älteste, ist vor drei Wochen aus dem Gefängnis entlassen worden, der andere, der Mittlere, sitzt noch. Der Ältere wollte sich gleich bei ihr einnisten. Sie hat ihn hinausgeschmissen.
Bevor er gegangen ist, hat er ihr ein paar Detschn gegeben.
Ingrid und Dragica beraten, was sie tun können, kommen auf keinen grünen Zweig, auch weil sie zu wenig über die ganze Geschichte wissen. Frau Auinger war eine freundliche Frau, hat gerne auf einen Kaffee eingeladen und getratscht. Als Ingrid einmal im Rausch über die Stiege gefallen ist und sich dabei die Lippen blutig gehaut hat, hat Frau Auinger sie zu sich hineingeholt, auf ihren Diwan gelegt und verarztet. »Kinderl«, hat sie gesagt, »trink net so viel, Kinderl.« Dragicas Kinder haben immer zum Geburtstag oder zu Weihnachten einen oder zwei Geldscheine mit einem Mascherl drumherum gekriegt.
Wer kann eine so nette Person umbringen? Und war sie wirklich so reich? Großzügig war sie, ja, aber reich? Ihr Mantel zum Beispiel war recht alt und abgewetzt.
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