Über den Tod und das Leben danach. Elisabeth Kubler-Ross

Über den Tod und das Leben danach - Elisabeth Kubler-Ross


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ist. Die kleinen Mädchen, die aufgrund der Krebsbehandlung schon alle ihre Haare verloren haben, sagen mir nach einem solchen Erlebnis als Erstes: “Ich hatte meine schönen Locken wieder.” Frauen, denen ihre Brust amputiert wurde, haben nun ihre Brust wieder. Sie sind einfach wieder ganz. Sie sind perfekt.

      Viele meiner skeptischen Kollegen sagen: “Es handelt sich hier um eine Projektion von einem Wunschtraum.” Doch einundfünfzig Prozent aller meiner Fälle waren plötzliche Todesfälle. Und ich glaube nicht, dass jemand zur Arbeit geht und dabei träumt, dass er auch weiterhin über beide Beine verfügt, wenn er zu Fuß die Straße überquert. Doch nach einem schweren Unfall sieht er plötzlich ein von seinem Körper abgetrenntes Bein auf der Straße liegen, und trotzdem ist er im Vollbesitz beider Beine.

      Für einen Skeptiker ist all das natürlich kein Beweis. Und um Skeptiker ein bisschen zu beruhigen, haben wir mit blinden Menschen ein Forschungsprojekt durchgeführt, bei dem wir uns die Bedingung auferlegten, nur Blinde zu berücksichtigen, die seit mindestens zehn Jahren keinerlei Lichtperzeption hatten. Und diese Blinden, die ein außerkörperliches Erlebnis gehabt haben und zurückgekommen sind, können Ihnen im Detail sagen, was für Farben und welchen Schmuck Sie zu jener Zeit, so Sie anwesend waren, trugen, was für ein Muster Ihr Pullover oder Ihre Krawatte hatte und so weiter. Sie verstehen, dass es sich hierbei nicht um etwas handelt, das man phantasieren kann. Sie können diese Sachverhalte ganz gut beweisen, wenn Ihnen die Antwort keine Angst macht. Wenn sie Ihnen jedoch Angst macht, dann mögen Sie zu mir kommen wie jene Skeptiker, die mir sagten, dass jene außerkörperlichen Erlebnisse das Resultat eines Sauerstoffmangels seien. Ja, wenn es sich hierbei nur um Sauerstoffmangel handelte, würde ich allen meinen Blinden Sauerstoffmangel verordnen. Verstehen Sie? Wenn jemand eine Tatsache nicht wissen will, dann kommt er mit tausend Gegenargumenten. Und das ist eben wieder sein Problem. Sie müssen nicht versuchen, andere Leute zu bekehren. Wenn jene sterben, wissen sie es ja sowieso.

      Auf dieser zweiten Stufe merken Sie auch, dass kein einziger Mensch allein sterben kann. Wenn man aus dem Körper tritt, befindet man sich in einem Sein, in dem es keine Zeit mehr gibt, wo also die Zeit einfach nicht existiert, ebenso wie man dort auch nicht mehr von Raum und Distanzen in unserem Sinne sprechen kann, da diese ja irdische Phänomene sind. Stirbt zum Beispiel ein junger Amerikaner in Vietnam und denkt daraufhin an seine Mutter in Washington, so überbrückt er mittels der Gedankenkraft jene Tausende von Kilometern und befindet sich im Nu bei seiner Mutter. Auf jener zweiten Stufe gibt es also keine Distanzen. Dieses Phänomen hat sich schon sehr vielen Irdischen präsentiert, als ihnen auf einmal bewusst geworden ist, dass jemand, der weit entfernt wohnte, plötzlich bei ihnen war. Und einen Tag später erreichte sie ein Telefonanruf oder es kam ein Telegramm, in dem ihnen mitgeteilt wurde, dass der Betreffende Hunderte oder Tausende von Kilometern weit weg gestorben war. Solche Menschen sind natürlich sehr intuitiv, denn normalerweise nimmt man solche Besuche nicht bewusst wahr.

      Auf dieser Stufe merken Sie auch, dass kein Mensch allein sterben kann, nicht nur, weil der Verstorbene in der Lage ist, jeden beliebigen Menschen zu besuchen, sondern auch deswegen, weil Menschen, die vor Ihnen gestorben sind und die Sie gern und lieb hatten, immer auf Sie warten. Und da die Zeit eben nicht existiert, könnte jemand, der mit zwanzig Jahren ein Kind verloren hat, nach seinem Tod mit 99 immer noch sein Kind als Kind antreffen, da für diejenigen auf der anderen Seite eine Minute beispielsweise die Dauer von hundert Jahren unseres Zeitgeschehens haben kann.

      Auch was die Kirche den kleinen Kindern hinsichtlich ihrer Schutzengel erzählt, beruht auf Tatsachen, denn es ist ebenfalls bewiesen, dass jeder Mensch von seiner Geburt bis zu seinem Tod von Geistwesen begleitet wird. Jeder Mensch hat solche Begleiter, ob Sie daran glauben oder nicht, ob Sie Jude oder Katholik oder ohne Religion sind, es spielt überhaupt keine Rolle. Denn Gottes Liebe ist bedingungslos, weshalb ein jeder Mensch dieses Geschenk eines Begleiters erhält. Es handelt sich um jene Begleiter, die meine kleinen Kinder “Spielgefährten” nennen. Ganz kleine Kinder sprechen mit ihren “Spielgefährten” und sind sich dessen völlig bewusst. Doch sobald sie in die erste Klasse kommen, sagen ihre Eltern zu ihnen: “Du bist jetzt ein großer Bub. Du gehst nun in die Schule. Jetzt spielt man nicht mehr solche kindischen Spiele.” Somit vergisst man, dass man “Spielgefährten” hat, bis man auf dem Sterbebett liegt. Und dann sagt plötzlich eine sterbende alte Frau zu mir: “Hier ist er wieder.” Und weil ich weiß, wovon sie spricht, frage ich diese Frau, ob sie mit mir das soeben Erlebte teilen könne. Alsdann erklärt sie mir: “Ja, wissen Sie, als ich ein ganz kleines Kind war, befand er sich immer bei mir. Aber ich hatte ganz vergessen, dass er überhaupt existiert.” Und einen Tag später stirbt sie ganz beglückt, weil jemand, der sie unsagbar gern gehabt hat, wieder auf sie wartet.

      Im Allgemeinen werden Sie immer von der Person erwartet, die Sie am meisten geliebt haben. Diese Person begegnet Ihnen immer zuerst. Im Falle von ganz Kleinen, bei zwei-, dreijährigen Kindern zum Beispiel, deren Großeltern, Eltern und übrige ihnen bekannte Verwandte noch auf Erden weilen, ist es meistens ihr persönlicher Schutzengel, der sie empfängt, oder sie werden auch von Jesus oder einer anderen religiösen Figur empfangen. Ich habe es dabei allerdings noch nie erlebt, dass ein protestantisch getauftes Kind in seinen Sterbeminuten Maria sah, während diese aber von sehr vielen katholischen Kindern wahrgenommen wurde. Es handelt sich hierbei nicht um eine Diskriminierung, sondern Sie werden ganz einfach auf der anderen Seite von denen erwartet, die für Sie die größte Bedeutung gehabt haben.

      Ist man sich auf dieser zweiten Stufe seines wiederhergestellten Körpers gewahr geworden und durfte man seinen Geliebten begegnen, so wird einem bewusst, dass das Sterben nur ein Übergang ist in eine andere Form des Lebens. Die irdischkörperlichen Formen hat man zurückgelassen, weil man diese nicht mehr braucht. Und bevor Sie Ihren Körper ablegen und daraufhin die Form annehmen, die man in der Ewigkeit besitzt, gehen Sie durch eine Übergangsphase, die ganz und gar von irdischkulturellen Faktoren geprägt ist. Es kann sich hierbei um das Durchschreiten eines Tunnels oder Tores oder um das Überqueren einer Brücke handeln. Ich als Schweizerin durfte einen Alpenpass mit Alpenblumen überqueren. Jeder bekommt den Himmel, den er sich vorstellt. Und für mich ist natürlich die Schweiz der Himmel, in welchem sich selbstverständlich Berge und Alpenblumen befinden. Ja, ich habe diesen Übergang als einen ganz grenzenlos schönen Bergpass erleben dürfen, dessen Wiesen derart bunt von Alpenblumen waren, dass sie mir vorkamen wie ein Perserteppich.

      Und dann, sobald Sie diesen Durchgang oder Übergang durch- oder überschritten haben, strahlt Ihnen an dessen Ende ein Licht entgegen. Und dieses Licht ist weißer als weiß, ganz hell. Und je näher Sie sich auf dieses Licht zubewegen, desto mehr werden Sie erfüllt von der größten, unbeschreiblichsten bedingungslosen Liebe, die Sie sich vorstellen können. Es gibt gar keine Worte dafür.

      Wenn jemand ein todesnahes Erlebnis hat, darf er dieses Licht auch nur ganz kurz anschauen. Und sogleich muss er zurückkehren. Wenn Sie aber sterben, ich meine: endgültig sterben, wird diese Verbindung zwischen dem Kokon und dem Schmetterling, die man mit einer Nabelschnur (“Silberschnur”) vergleichen könnte, durchtrennt. Danach ist es nicht mehr möglich, in den Erdenkörper zurückzukehren. Aber Sie wollen ja dann sowieso nicht mehr zurück, denn wenn er das Licht erst einmal gesehen hat, will kein Mensch mehr zurück. Und in diesem Licht erleben Sie zum ersten Mal, was der Mensch hätte sein können. Da erleben Sie nur Verständnis und keine Verurteilung, da erleben Sie bedingungslose Liebe, die man überhaupt nicht beschreiben kann. Und in dieser Gegenwart, welche viele Menschen mit Christus oder Gott, mit Liebe oder Licht bezeichnen, werden Sie sich bewusst, dass Ihr ganzes Erdenleben nichts anderes ist als eine Schule, dass Sie durch diese Schule hindurchgehen müssen, dass Sie bestimmte Prüfungen bestehen und bestimmte Dinge lernen müssen. Sobald Sie Ihr Pensum erledigt und bestanden haben, dürfen Sie nach Hause gehen.

      Manch einer fragt: “Warum müssen so wunderschöne Kinder sterben?” Die Antwort lautet ganz einfach, dass diese Kinder in ganz kurzer Zeit gelernt haben, was man lernen muss. Und das sind für verschiedene Menschen ganz verschiedene Dinge. Eines muss jeder lernen, bevor er dorthin zurückgehen kann, woher er kommt, und das ist bedingungslose Liebe. Wenn Sie das gelernt und praktiziert haben, dann haben Sie die größte Prüfung bestanden.

      In diesem Licht, in der Gegenwart von Gott, von Christus oder wie immer Sie das nennen mögen, müssen Sie Ihr ganzes Erdenleben nochmals


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