ZwölfUhrTermin. Nora Adams

ZwölfUhrTermin - Nora Adams


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wur­de sie be­trach­tet: »Bei al­lem Re­spekt, jun­ge Da­me. Selbst wenn ich es wüss­te, wür­de ich Ih­nen die­se In­for­ma­tion nicht ge­ben dür­fen.« Ver­ständ­nis­los schüt­tel­te sie den Kopf. »Ei­nen schö­nen Tag«, mur­mel­te sie, wen­de­te sich ih­rer Ar­beit zu und ig­no­rier­te An­ni. Man konn­te es we­nigs­tens ver­su­chen, auch wenn sie die Re­ak­tion jetzt we­nig über­rasch­te.

      Frus­triert ver­ließ sie die An­mel­dung und als sie her­aus­trat, frag­te sie sich nur ei­nes: Wie lan­ge war sie in die­sem ver­damm­ten Ge­bäu­de? Es konn­ten doch höch­stens fünf Mi­nu­ten ge­we­sen sein. Der neu ge­fal­le­ne Schnee mach­te eher den An­schein, dass sie min­des­tens ein paar Stun­den da­rin ver­bracht ha­ben muss­te. Ge­nervt stapf­te sie zu ih­rem Auto, wel­ches schon wie­der nicht mehr sicht­bar war. »Mann!«, fluch­te sie, wäh­rend sie aus­ge­laugt die Auto­tür, fes­ter als nö­tig, hin­ter sich ins Schloss zog. Tief durch­at­men, An­ni. Kurz über­leg­te sie, auf di­rek­tem We­ge heim­zu­fah­ren und Cons­tan­tin die­se däm­li­che Daten­schutz­er­klä­rung mit Schwung um die Oh­ren zu hau­en, ent­schied sich aber dann da­für, bei Marc Eden an­zu­hal­ten, des­sen Adres­se auf ih­rem Heim­weg lag. Zu­min­dest muss­te sie kei­nen gro­ßen Um­weg fah­ren, we­nigs­tens et­was Gu­tes.

      Mitt­ler­wei­le war der Ver­kehr fast kom­plett zum Er­lie­gen ge­kom­men. Autos stan­den im Gra­ben, so­dass An­ni im Schritt­tem­po weiter­fuhr. Auf ei­nen Un­fall konn­te sie ge­trost ver­zich­ten. Das war das Letz­te, was sie jetzt brauch­te.

      Für ei­nen Weg, den sie nor­mal­er­wei­se in zwan­zig Mi­nu­ten zurück­le­gen wür­de, be­nö­tig­te sie sa­ge und schrei­be ein­ein­halb Stun­den. In­zwi­schen war es Abend, die Fens­ter in die­ser ru­hi­gen Wohn­ge­gend, in der Eden wohn­te, waren be­leuch­tet. Fa­mi­lien sa­ßen an ih­ren Ess­ti­schen, lach­ten, un­ter­hiel­ten sich und sa­hen dem fröh­li­chen Schnee­trei­ben zu und sie? … Ja, An­ni ver­fluch­te ih­re Si­tua­tion, wünsch­te sich nach Hau­se in ei­ne hei­ße Wan­ne, mit ei­nem Glas Rot­wein und ei­nem tol­len Buch. Doch von die­sem Ge­dan­ken konn­te sie sich ver­ab­schie­den. Wenn sie heu­te, oder auch mor­gen, je nach­dem wie lan­ge sie un­ter­wegs war, heim­kam, wür­de sie tod­mü­de und vol­ler Schmerz durch ih­re ver­kram­pften Mus­keln ins Bett fal­len und drei Ta­ge durch­schla­fen. Aber da­von war sie so­wie­so noch meilen­weit ent­fernt, al­so muss­te sie sich des­we­gen kein Kopf­zer­bre­chen be­rei­ten.

      Sie park­te auf ei­nem klei­nen Park­platz, wo zu­vor ein an­de­rer mit sei­nem Fahr­zeug ge­stan­den hat­te, denn sonst wä­re der Schnee dort di­cker ge­we­sen, er­griff ih­re Ta­sche, die Un­ter­lagen und stieg aus. Cons­tan­tin saß mitt­ler­wei­le in ih­rer war­men Kü­che, hat­te er ihr eben ei­ne Nach­richt ge­schickt, und sie saß tief und fest im Schla­mas­sel. An­ni hob bei je­dem Schritt ihr Bein ganz hoch, an­ders wä­re es ihr nicht mög­lich, durch den Schnee zu stap­fen. Sie stieg ei­ne Trep­pe hin­auf, die zu ei­ner Rei­he von Wohn­häus­ern führ­te, wo er laut Adres­san­ga­be woh­nen muss­te, hielt sich da­bei an dem ver­eis­ten Ge­län­der fest, denn man wuss­te ja nicht, wie glatt es un­ter all­dem war. Ge­streut hat­te hier de­fi­ni­tiv nie­mand, ver­mut­lich mach­te das eh noch kei­nen Sinn.

      Sie hat­te den Ge­dan­ken noch nicht zu En­de ge­bracht, da rutsch­te sie mit ei­nem Fuß aus, knall­te kurz da­rauf mit bei­den Knien auf die Stufen. Ihr Ge­sicht konn­te sie noch schüt­zen, in­dem sie hef­tig mit den Hän­den auf den Be­ton auf­schlug und doch lan­de­te auch ihr Kopf im Schnee. »Ahh!«, gab sie ei­nen kräch­zen­den Laut von sich. Was war hier ge­ra­de pas­siert? Fuck! Leb­te sie noch? Ja, denn sonst wür­den ihr nicht sa­ge und schrei­be alle ver­damm­ten Stel­len an ih­rem Körper weh­tun. Sie muss­te auf­ste­hen, es wur­de kalt, vor al­lem wä­re sie aber im Nu völ­lig durch­nässt und die Un­ter­lagen … »Mist, die Un­ter­lagen!«, schim­pfte sie, ig­no­rier­te den Schmerz und griff nach dem Um­schlag, in dem sich das hei­li­ge Do­ku­ment be­fand. Ver­dammt, wa­rum hat­te sie ihn nicht zu­ge­klebt? Schnell sprang sie auf, schüt­tel­te das Ku­vert, aus dem da­rauf­hin ei­ne Men­ge Schnee her­aus­fiel. Ganz toll, An­ni! Gran­di­o­se Leis­tung!

      Re­si­gnie­rend setz­te sich An­ni auf die Stufen und käm­pfte da­rum, nicht in Trä­nen aus­zu­bre­chen. Das hat­te sie aber so was von ver­sem­melt. Und die­ser ät­zen­de Schnee hör­te nicht auf, sich zu ver­meh­ren. Sie streck­te ih­re Bei­ne aus und be­trach­te­te das Di­lem­ma. Ih­re Strumpf­ho­se war vol­ler Schnee, an den Knien war der Stoff auf­ge­ris­sen, ih­re blu­ten­de und ver­letz­te Haut kam zum Vor­schein. An­ni hat­te kei­ne Kraft mehr, sie war so­wie­so schon täg­lich so mü­de und die­se Stra­pa­zen brach­ten sie fast um. Ei­nes war Fakt, durchs Rum­sit­zen wür­de sie kei­nes­falls schnel­ler nach Hau­se kom­men. Des­we­gen rap­pel­te sie sich end­lich auf, raff­te ih­re Ta­sche vom Boden, schüt­tel­te den Um­schlag noch ein­mal aus, wenn das auch nicht mehr viel be­wirk­te, und ging zu Haus­num­mer fünf­zehn.

      Sie klin­gel­te.

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