ZwölfUhrTermin. Nora Adams
können. Denn eins musste man mal klar sagen: Constantin war nicht nur ihr Ehemann, sondern hier und jetzt war er ihr Chef und als dieser verlangte er von seinen Mitarbeitern absolute Konzentration und Perfektion.
Ein Grinsen schlich unweigerlich auf ihre Lippen, es war unvermeidbar. Marc Eden konnte sich an sie erinnern. Kopfschüttelnd versuchte sie, den Gedanken beiseitezuschieben, begab sich stattdessen wieder an die Steuerunterlagen, die sie vorhin am Sortieren war.
Als sie eine Stunde später den PC herunterfuhr und in den Flur trat, hörte sie die Männer durch die verschlossene Bürotür sprechen. Noch einmal lauschte sie Supermans Stimme, die ihr in diesem Augenblick eine Gänsehaut verpasste, dann machte sie sich auf den Heimweg. Innerlich ermahnte sie sich selbst, als ihr bewusst wurde, dass sie den Kunden ihres Mannes ganz offensichtlich anhimmelte und das in seinem Beisein. Am Sonntag würde sie drei extra Vater Unser in der Kirche beten und hoffen, dass ihr diese gedankliche Sünde vergeben wurde. Um Gottes willen, was dachte sie da nur für einen unfassbaren Mist?
Endlich stellte sie das Auto in der Garage ab und betrat das Haus, in dem ihr lautstark die Musik entgegen plärrte. Im Flur lag ein Zettel von Amalia, dass diese heute bei Sophie war und gerne dort übernachten würde. Ein Blick in die Küche brachte ihr Stresslevel augenblicklich fast zum Überlaufen. »Unmöglich«, murmelte sie. Eine Pizza und ein Backfisch sollten die zwei sich machen. Es sah allerdings aus, als hätte ein Tornado sein Unwesen in der Küche getrieben. Heute würde zumindest Marius ihr helfen, das stand fest. Diesen Saustall bereinigte sie nicht alleine: ein Topf mit angebrannten Puddingresten, verschüttete Milch auf Tisch und Boden, benutzte Schüsseln, Pizzareste, offene Getränkeflaschen. Sogar ein verwelkter Kopfsalat lag neben dem Kühlschrank. Warum? Was hatten sie vor? Wollten sie einen Vitaminangriff starten? Niemals würden ihre beiden Kinder freiwillig und ohne Aufforderung auch nur ein Blatt Salat anrühren. Oder wollten sie nur schon mal vorsorgen, damit Anni ja nicht auf die Idee kam, ihnen das Grünzeug vor die Nase zu setzen? Immerhin war er welk und konnte somit in den Mülleimer. Nicht zu vergessen waren die Schuhe, die mitten in der Küche auf dem Boden lagen, als hätten sie kein Schuhregal im Flur stehen. Das Licht brannte, weil die Stromrechnung offenbar noch nicht hoch genug war. Entschlossen machte sie sich auf den Weg nach oben, betrat nach einem kurzen Klopfen Marius’ Zimmer und fragte sich zugleich, warum sie das getan hatte, denn bei dieser Lautstärke würde man nicht mal sein eigenes Wort verstehen, geschweige denn ein Anklopfen.
»Marius, mach die Musik …« Ein wildes aufspringendes Etwas, was sich von dem Schoß ihres dreizehnjährigen Sohnes schlagartig entfernte, schaffte es tatsächlich, dass Anni sprachlos war. Während Marius den Lärm leiser stellte, verabschiedete sich das junge Fräulein mit einem knallroten Gesicht und hängenden Schultern zur Tür heraus.
»Hi, Mom.« Er drehte sich zu seinem Laptop und tippte etwas scheinbar sehr Wichtiges.
»Hi, Mom?«, fragte Anni perplex und hoffte verzweifelt, dass da noch weitere Informationen aus seinem Mund kommen würden. Vergeblich. »Mehr fällt dir nicht ein? Was war das gerade? Und sieh mich gefälligst an, wenn du mit mir sprichst!«
»Bleib mal smooth, es ist doch nichts passiert!«
Das waren Situationen, in denen sich selbst liebevolle, liebende und fürsorgliche Mütter daran erinnern mussten, dass Gewalt egal in welcher Form keine Lösung war. Okay, ruhig bleiben, Anni. »Können wir bitte darüber reden?«
»Es gibt nichts zu bereden, ich hab sie nicht flachgelegt, Mann!«, motzte er.
Wenn eines feststand, dann war es das, dass Anni definitiv in der falschen Stimmung war, um ein solch fragiles Thema gegen seinen Willen und mit Samthandschuhen an den Fingern, die ihn am liebsten gerade erwürgen würden, zu besprechen. Sie würde Constantin darum bitten, das zu übernehmen. Wenn sie ehrlich war, fehlte ihr die Kraft dazu, weshalb sie nur sagte: »Das Thema ist noch nicht vom Tisch. Du kommst jetzt runter und räumst mit mir zusammen die Küche auf.«
Anstandslos folgte Marius ihr, was ihr einen weiteren kleinen Schock verpasste. Innerlich aufgewühlt fand sich Anni nur Sekunden später in dem Saustall wieder, während sie das Spülwasser einließ und Marius den Salat in den Kühlschrank legen wollte. »Müll!«, kommentierte sie etwas zu harsch und beobachtete aus dem Augenwinkel, wie er ihrem Wort stumm folgte. Offensichtlich hatte Marius ein schlechtes Gewissen und versuchte es sich mit Hausarbeit reinzuwaschen. Um das Gespräch würde er dennoch nicht drumherum kommen. Dreizehn Jahre war er alt. Ja, ist es denn zu fassen? Annis Mutter war wirklich lieb, dennoch hätte sie sich eine zweimonatige Ausgangssperre eingehandelt, wäre sie in dem Alter beim Knutschen erwischt worden. Womöglich hätte sie auf ein Mädcheninternat wechseln müssen. Ihren Kindern musste man nicht erklären, wo die Babys herkamen, sie wussten, was Sex war. Außerdem waren sie heute definitiv aufgeklärter, als sie es selbst damals war und doch beschlich sie ein ungutes Gefühl dabei, dass ihr Sohn sich scheinbar alt genug fühlte, um sich dem anderen Geschlecht auf dieser Ebene zu nähern.
Marius half ihr die Küche aufzuräumen und lief daraufhin wortlos in sein Zimmer, nur um kurz darauf wieder die Musik anzustellen, die man im ganzen Haus hörte.
Müde. Anni war erschöpft, sie fühlte sich schlapp und doch wusste sie, dass sie sich eine Auszeit nicht gönnen konnte, denn dann würde Familie Weishaupt sang- und klanglos untergehen. Einen kurzen Moment gönnte sie sich jedoch, indem sie sich einfach an den Tisch setzte, die Füße auf dem gegenüberliegenden Stuhl ablegte und mit den Händen die Ohren zuhielt, sodass sie wenigstens ein paar Minuten Ruhe finden konnte.
Nachdem Anni später das Essen für alle vorbereitet hatte, machte sie sich auf den Weg zum Sport. Sie mochte es, dass es ein derartiges Angebot in der Gemeinde gab und sie nicht erst nach Köln fahren musste, um das nächste Fitnessstudio nutzen zu können. Wenn man in solch einem kleinen Kaff wohnte, lernte man, genau die Angebote anzunehmen, die man auch mal ohne Auto erreichen konnte.
»Hi, Anni, spät dran heute!«, wurde sie von der Trainerin begrüßt, die ihr mit ausgestreckter Hand eine bereitliegende Gymnastikmatte zuwies.
»Ging nicht eher«, antwortete sie knapp und begann, ihre Muskeln zu dehnen und sich aufzuwärmen. Der Altersdurchschnitt in dieser Gruppe lag definitiv über fünfzig, weil Bodengymnastik bei der jüngeren Generation scheinbar nicht mehr so angesehen war. Annis Rücken dankte es ihr jedoch jede Woche, dass sie sich um ihren Körper kümmerte.
Einige