ZwölfUhrTermin. Nora Adams
er im Homeoffice.
Er schrieb Sina eine Mail, dass er von zuhause arbeitete und setzte sich erst mal mit seinem Kaffee an den Tisch, um online die Tageszeitung zu lesen.
Er fühlte sich krank, nachdem er wieder so unruhig geschlafen hatte. Marc war kein Typ, der viel litt. Er gehörte eher zu der Kategorie ›Augen zu und durch‹, war stets zum Scherzen aufgelegt und liebte es, in Gesellschaft zu sein. Doch wenn es ihn erwischte, dann richtig!
Nachdem er sogar einen zweiten Kaffee getrunken hatte, und auf dem neuesten Stand des weltlichen Geschehens war, hörte er, wie sich die Tür öffnete. Ein Schrei, der direkt darauf folgte, ließ ihn zusammenzucken. Er hatte ganz vergessen, dass seine Reinigungskraft heute bei ihm sauber machte.
»Guten Morgen, Monsieur Eden. Sie sind daheim!«, stellte sie erschrocken fest und sah ihn irritiert an, bis sie sich rasch schützend eine Hand vor die Augen hielt und nach Luft schnappte. Sie stand dort wie ein kleines Kind, das sich selbst die Sicht nahm, weil es etwas nicht sehen durfte, dachte er sich schmunzelnd.
»Hallo, Angelique«, grüßte er sie und ging erhobenen Hauptes, nur mit seiner Boxershorts bekleidet und sich am Bauch kratzend, lässig an ihr vorbei. »Sie können jetzt wieder gucken, die Luft ist rein«, sagte er amüsiert, woraufhin sie sich tatsächlich in Bewegung setzte, was er an den Geräuschen im Abstellraum hörte, wo die Putzsachen gelagert wurden. Himmel, sie war fast sein Alter und doch so verklemmt, dass sie ihn nicht mal anblicken konnte? »Bin im Büro«, rief er ihr zu, nachdem er eine Jogginghose und ein Shirt übergezogen hatte. Es dauerte nicht lange, bis es an seiner Tür klopfte.
»Pardon, Monsieur Eden. Ich will Entschuldigung sagen, ich wollte nicht gucken, aber sie waren da und ich war überrascht und …«
»Es ist nichts geschehen, Angelique. Woher hätten Sie wissen sollen, dass ich mich halbnackt in der Küche aufhalte?« Er zwinkerte ihr zu, während ihr abermals die Röte in die Wangen schoß. Okay, das war etwas unangebracht. »Es ist alles okay«, sagte er abschließend und lächelte sie beruhigend an, bevor sie zufrieden dreinblickend ging.
Sie war ein Goldstück, aus tiefstem Herzen loyal und ehrlich. Sie sabberte ihm nicht hinterher wie andere Weiber, die ihn aus irgendwelchen Zeitungen oder dem Internet kannten. Sie erledigte ihre Arbeit zuverlässig und war höflich, sorgte nicht nur für Ordnung und Sauberkeit, sondern auch dafür, dass sein Kühlschrank stets voll war und die Wohnung gemütlich aussah. Sie traute sich zudem, ab und zu etwas Dekoration aufzustellen, und war immer ziemlich nervös, ob es von ihm akzeptiert wurde. Lieber würde er sich die Zunge abbeißen, als irgendetwas zu kritisieren, was sie liebevoll arrangierte. Selbst wenn es mal nicht Marcs Geschmack entsprach, eines war es immer: Es kam aus tiefstem Herzen und das verlieh seinem Zuhause eine angenehme Wärme. Kurz um, er mochte sein Mädchen für alles und sollte sich lieber nicht allzu viele Scherze mit ihr erlauben, denn er wollte sie noch ein wenig behalten.
Wealth Management
»Macht euch eine Pizza in den Ofen, ich komm heute erst am späten Nachmittag aus dem Büro«, sagte Anni in den Hörer, den sie mit der hochgezogenen Schulter gegen ihr Ohr drückte.
»Da wird sich unsere Biotonne aber freuen, wenn es nichts Vegetarisches zum Futtern gibt«, erwiderte Marius schadenfroh und keuchte daraufhin scharf, als er sich vermutlich einen Schlag von Amalia eingefangen hatte. »Mom, deine Höllenbrut schlägt mich!«, meckerte er gleich vorwurfsvoll los und bestätigte Anni ihren vorausgegangenen und wohlwissenden Gedankengang.
»Amalia soll sich den Backfisch warm machen«, riet sie, während sie die Rechnungen von Constantins letzter Geschäftsreise abheftete.
»Mach ich!«, hörte sie sie im Hintergrund rufen.
»Wie war die Deutscharbeit?«
»Easy«, erklärte Marius kurz. »See you, Mom. Ich hab jetzt Kohldampf«, womit er das Gespräch beendete.
»Tschüss, Kinder. Eure Mutter hat euch lieb. Seid schön brav und vertragt euch. Lasst euch das Essen schmecken«, murmelte sie sarkastisch vor sich hin. Tja, diese Zeiten waren vorbei, was einerseits in Bezug auf die Selbstständigkeit der Kinder angenehm war und andererseits dazu führte, dass sie immer größer wurden und auf derartige Aussagen keinen Wert legten. Realistisch gesehen konnte sie eh nichts dagegen tun und somit war das Thema schon beendet.
Ein Blick auf die Uhr bestätigte ihr, dass es bereits halb vier war. Ihr Schädel rauchte vor lauter Papierkram, den sie heute erledigt hatte. Man sollte nicht meinen, was in einem Einmannbetrieb, plus Telefonistin an der Anmeldung, die die Termine ihres Mannes vereinbarte, alles anfiel. Gut, es war nicht immer so stressig, aber aktuell war es einfach zu viel, als dass Anni pünktlich aus dem Büro käme.
Sie stand von ihrem Schreibtisch auf, öffnete das Fenster, um frische Luft reinzulassen, und machte sich auf den Weg in die Küche, um einen Kaffee zu kochen, den sie jetzt dringend brauchte. Gerade griff sie in die Keksdose, die für alle zugänglich stand, als Constantin den Raum betrat.
»Kaffee?«, fragte sie ihn, doch er lehnte dankend ab. »Alles okay?«
»Hab gleich einen Neukunden«, sagte er bloß und Anni wusste sofort, dass ihr Mann mehr als nur hundert Prozent geben würde, um einen guten ersten Eindruck zu hinterlassen. Daher goss sie sich ihren Kaffee ein, ohne ihn in seiner Konzentration zu stören, und verließ den Raum mit einem leise gemurmelten Viel Glück.
Als sie an der Anmeldung vorbeiging, öffnete Susanne, die Telefonistin, via Funkanlage die Tür, während sie Anni nett zulächelte. »Eine tolle Bluse haben Sie an, Frau Weishaupt.«
»Danke. Ich hab sie mir erst kürzlich neu gekauft.«
Die Tür öffnete sich und herein kam … »Superman?«, platzte es erschrocken aus ihr heraus, bevor sich ihre Gehirnzellen vereint gegen diesen Schwachsinn stellten, den sie dort rausgehauen hatte. »Verzeihung, ich meinte, Herr Eden. Oh Gott, das tut mir leid!« Die Farbe ihres Gesichtes musste der einer Tomate gleichen. Das war mehr als unprofessionell, es war peinlich und dumm. Ein tonnenschwerer Stein der Erleichterung fiel sogleich von ihren Schultern, als eben angesprochener ihr grinsend zuzwinkerte.
»Hi, Rotschopf. Lebt der Barista noch?«, fragte er flapsig, während er die Tasse in ihrer Hand ins Auge fasste. Das Gefäß fest umklammert, brach sie in ein Lachen aus, was auch seine Lippen breiter werden ließ.
Wie er da stand, der große stolze Mann, in einem feinen Anzug und doch so locker und lässig. Seine verzottelten Haare, die wieder