ZwölfUhrTermin. Nora Adams
an und Marc wusste genau, dass es auch eine war. Alexander war ein Meister im Manipulieren und Quälen anderer Menschen. Er würde so schnell nicht hinwerfen, aber Marc würde auf keinen Fall aufgeben, das stand fest. Dennoch wusste er, dass er in dieser Situation nichts mehr erreichen konnte, weshalb er schwieg. Ein letztes siegessicheres Seufzen, als würde er denken, dass er tatsächlich Recht hatte und Alexander verließ sein Büro. Arschloch! Ja, es stimmte sogar. Ohne seine anfängliche Unterstützung hätte Marc seine Träume nie verwirklichen können, aber dass die Firma nun erfolgreich war, war auf seine Fähigkeiten zurückzuführen – Marcs Unternehmensführung und Know-how. Wenn es ihm nur um das Geld gehen würde, könnte er ihm mehr als genug in den Rachen schütten. Doch mehr als einmal hatte er bereits bekräftigt, dass er sich nicht aus der Firma kicken ließ.
Ein Klopfen ertönte und kurz darauf betrat Sina sein Büro. »Alles okay hier?«, wollte sie von ihm wissen.
»Das Übliche!«, gab Marc knapp zurück. Er musste diesen Abschaum loswerden und das am besten sofort!
Vermögensplanung
»Alter, da sind wir bei Starbucks, Mom wieder voll peinlich mit ihrem Filterkaffee, und auf einmal steht da Marc Eden neben mir und labert mich an. Marc Eden! Kannst du das glauben?« Während er seiner Zwillingsschwester von dem Höhepunkt des Tages berichtete, leuchteten Marius’ Augen, als hätte er den Allmächtigen höchstpersönlich gesehen. Dabei war er vorhin sehr kleinlaut und fand es gar nicht mal so toll, wie er von ihm angesprochen wurde.
»Nenn Amalia nicht Alter, Marius!«, fuhr Anni dazwischen. »Was ist heute nur los mit dir?« Kopfschüttelnd stand sie in der Küche und wusste nicht, was sie am meisten aufregte. War es ihr Sohn, der scheinbar von allen guten Geistern verlassen war, oder der Löffel, der in einem angetrockneten Joghurtbecher klebte, an dem wiederum ein benutztes Taschentuch hing. Großer Gott, das hier war ein verdammter Schweinestall, anders konnte sie sich das kaum erklären. Ihre Tochter stand an den Kühlschrank gelehnt und beobachtete unbeeindruckt das Schauspiel, während sie eine Banane aß.
»Außerdem hat er dich nicht bloß angesprochen, er hat dich gerügt und darauf hingewiesen, dass du dich anständig artikulieren sollst!« Innerlich jubelte sie, als sie an diesen Moment zurückdachte. Der Typ hatte solch ein Selbstvertrauen, dass selbst sie kurz innehielt, um ihn anzuschauen.
Zuerst fielen ihr seine Tätowierungen auf. Lange verschnörkelte Ausläufer sah man unter dem Jackett hervorlugen. Am Hals konnte man das Porträt eines Mannes erahnen, während seine Haare zu einem unordentlichen Knoten am Hinterkopf zusammengebunden waren. Er war groß, stolz und hatte sie schon selbstbewusst erwähnt? Den knallharten Geschäftsmann, der er war, nahm man ihm ohne mit der Wimper zu zucken zu einhundert Prozent ab. Dass er das war, wusste Anni wiederum, weil man Marc Eden, den Entwickler der die angesagteste Music-App geschaffen hatte, in Köln einfach kannte. Für die einen war er der begehrte Junggeselle, für die anderen ein Mann, den man aus den Tratschspalten diverser Zeitungen, in denen er immer mal wieder mit irgendwelchen Schönheiten abgelichtet wurde, kannte. Für ihren Sohn war er weitaus mehr. Er sammelte sogar Magazine, in denen The Godfather of IT-Mist ein Interview nach dem anderen gab, stapelte sie fein säuberlich in seinem Regal, wenngleich der Rest des Zimmers einem Trümmerfeld glich.
»Aber er hat mich angesprochen, das ist der springende Punkt!«, triumphierte Marius, hievte sich zeitgleich mit den Handballen auf die Arbeitsfläche der Küchenzeile und nahm einen Schluck aus der Sprudelflasche. Nun gut, wenn er das so sehen wollte, bitte.
»Gott, Marius. Komm mal wieder klar«, entgegnete Amalia belustigt. »Hoffentlich träumst du heute Nacht nicht von deinem Zuckerberg 2.0.«
»Halts Maul, Sis! Du hast doch keine Ahnung. Geh mit deinen Barbies spielen.«
»Hey, Leute! Jetzt ist Schluss hier. Habt ihr für die Deutscharbeit gelernt?« Anni wartete nicht auf Antwort, denn diesem Gezanke durfte man erfahrungsgemäß keinen Raum zum Reifen geben, sonst schaukelte sich das pubertäre Rumgestreite im Nu zu einem monströsen Kleinkrieg hoch. »Geht lernen, damit verbringt ihr eure Zeit wenigstens sinnvoll!«
Auch wenn die zwei sie aktuell an den Rande eines Nervenzusammenbruchs trieben, eins funktionierte immer. Ihre Kinder waren wissbegierig und ehrgeizig, was sie oftmals freiwillig hinter ihre Schreibtische bewegte und zum Lernen animierte. Das ersparte Anni eine Menge unschöner Motivationsarbeit, wenn sie daran dachte, wie häufig sich die anderen Mütter darüber beschwerten.
Amalia ging zum Küchentisch, um dort ihre Bananenschale abzulegen, und verließ den Raum. Kopfschüttelnd stand Anni da und betrachtete den Tisch mit großen Augen. Ja, war es denn zu fassen? Der Mülleimer befand sich genau an jener Stelle, wo sie zuvor gestanden hatte und dann wunderte sie sich, warum sie in letzter Zeit so ausgelaugt war? »Amalia, räum deinen Müll weg. Manchmal frage ich mich, wie ihr beide es aufs Gymnasium geschafft habt. Das ist doch unglaublich!«, rief sie in den Flur und wartete, bis ihre Tochter zurückgekehrt war, die Aufgabe erledigt hatte und wortlos die Treppen herauflief.
Als Anni letztendlich zwei Türen zuknallen hörte, wusste sie, dass sie jetzt mindestens ein paar Stunden Ruhe haben würde. Ermüdet stützte sie sich an der Tischkante ab und atmete tief durch.
Anni war normalerweise eine Powerfrau. Sie regelte Haushalt, Kinder, war überaus engagiert in der Dorfgemeinschaft und ging regelmäßig zur Kirche. Zudem arbeitete sie im Backoffice, inklusive der Buchhaltung, in der Firma ihres Mannes, der Vermögensberater war. Anni war mit ihm liiert, seit sie sich beim Schwimmunterricht in der Schule unsterblich ineinander verliebt hatten.
Heute noch hatte sie das Bild vor Augen, wie er mit seinen Klassenkameraden am Beckenrand stand und sich über irgendetwas amüsierte. Sein Lachen bewirkte, dass sich kleine Grübchen auf den Wangen bildeten, die sie umhauten. Zwanzig Jahre war das her und natürlich hatte sich die Faszination um Constantins Grübchen gelegt. Sie verbrachten so viel Zeit miteinander, wie es für eine Unternehmerfamilie möglich war. Zugegebenermaßen war das nicht unbedingt oft. Wenn er mal wieder auf Geschäftsreise war, waren zum Ausgleich die Dorffrauen, die sie mehrmals wöchentlich sah, für sie da. Anni hatte alles, was eine Bilderbuchfamilie ausmachte. Sie hatte tolle Eltern, Schwiegereltern, großartige Kinder, wenn sie manchmal auch ein bisschen nervten, und einen treuen Ehemann.
»Hi.« Constantin trat hinter sie, gab ihr einen Kuss