ZwölfUhrTermin. Nora Adams

ZwölfUhrTermin - Nora Adams


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Ge­tränk, und stell­te sie mit ei­nem schmerz­ver­zerr­ten Blick wie­der ab, wäh­rend er sich die ver­brann­te Lip­pe rieb. Skep­tisch be­äug­te er An­ni kurz da­rauf. »Alles okay? Du siehst mü­de aus!«

      »Das bin ich. Viel­leicht ist ei­ne Er­käl­tung im An­marsch, wer weiß?«, er­wi­der­te sie und spür­te in der Tat die­se aus­lau­gen­de Schwe­re, die sie seit ei­ni­gen Ta­gen be­glei­te­te.

      »Leg dich hin. Ich mach hier Klar­schiff!« Mit ei­ner aus­laden­den Be­we­gung zeig­te er auf die voll­ge­stell­te Kü­chen­zei­le, was er nicht nä­her er­läu­tern muss­te.

      Ent­schul­di­gend hob An­ni die Schul­tern. Es brauch­te kei­ne weite­re Er­klä­rung, schließ­lich wuss­te Cons­tan­tin, wel­ches Pen­sum An­ni tag­täg­lich er­füll­te und was für Schwei­ne in punc­to Sau­ber­keit ih­re Kin­der waren. Er stand schon immer hin­ter ihr und wür­dig­te, was sie tat.

      »Bin im Bett!«, sag­te sie, warf ihm ei­nen dank­ba­ren Blick zu und ließ die chao­ti­sche Kü­che mit ih­rem geord­ne­ten Ehe­mann im Ein­klang zurück. Schnell ent­le­dig­te sie sich ih­rer Kla­mot­ten, putz­te sich die Zäh­ne, zog sich ein viel zu gro­ßes Shirt über, wel­ches sie zum Schla­fen ger­ne trug, und floch­te sich ih­re fast hüft­lan­gen Haa­re zu ei­nem Zopf. Als sie end­lich die küh­len Bett­la­ken auf ih­rer Haut spür­te, merk­te sie, wie sich zu­min­dest ih­re Mus­keln ent­spann­ten und sie lang­sam run­ter­fah­ren konn­te. Das Kis­sen un­ter ih­rem Kopf mit den Hän­den zu­recht­ge­rückt, be­trach­te­te sie akri­bisch die Zim­mer­de­cke, wäh­rend sie den Tag Re­vue pas­sie­ren ließ: Sie weck­te die Kin­der, fuhr ins Büro, koch­te für Ama­lia ve­ge­ta­risch, für Ma­ri­us fleisch­hal­tig und räum­te das Haus auf, wie je­den Tag. Da­rauf­hin fuhr sie mit ih­rem Sohn in die Stadt, denn er brauch­te drin­gend ein Zu­be­hör­teil für sei­nen Lap­top, oh­ne das sein Le­ben schein­bar spä­tes­tens am Abend sinn­los ge­we­sen wä­re. Dass ein Weg bis in Kölns In­nens­tadt im Feie­ra­bend­ver­kehr ei­ne Stun­de dau­er­te, ver­such­te sie, zu ver­drän­gen. Denn die­sen Weg muss­ten sie immer­hin zwei­mal fah­ren, um nach Hau­se zu kom­men. Und dann woll­te sie sich ein­fach nur ei­nen Kaffee ge­neh­mi­gen, da tick­te ihr Sohn wort­wört­lich aus, weil sie auf die­sen IT-Gu­ru tra­fen. Wie er sie ge­nannt hat­te: »Rot­schopf und Super­man«, mur­mel­te sie lei­se vor sich, be­vor über ih­re Lip­pen ein Lä­cheln husch­te. Er war wirk­lich süß. Nein, das pass­te nicht. Er war eher se­xy, ja. Sei­ne gan­ze Hal­tung strotz­te vor Selbst­be­wusst­sein und die­ses ge­wis­se Fünk­chen Ar­ro­ganz stand ihm außer­or­dent­lich gut. Ei­ne Gän­se­haut über­zog ih­re Ar­me. Er war auf ei­ne Art un­nah­bar und den­noch war er, den sie nor­mal­er­wei­se nur von ge­druck­ten Zei­tungs­fotos kann­te, für An­ni heu­te wahr­haf­tig greif­bar. Er hat­te es ge­schafft, sie zum Lä­cheln zu brin­gen, und auto­ma­tisch frag­te sie sich, wann Cons­tan­tin das zum letz­ten Mal fer­tig­ge­bracht hat­te. Ein un­gu­tes Ge­fühl misch­te sich zu dem zar­ten Krib­beln, was durch den Ge­dan­ken an Marc er­weckt wur­de. Ei­nen sol­chen Ver­gleich hat­te sie noch nie ge­zo­gen, fiel ihr in die­sem Mo­ment auf und gleich­zei­tig auch, dass es schon sehr lan­ge her war, dass sie, bis auf ein net­tes und re­spekt­vol­les Lä­cheln, seit Mo­na­ten nicht mehr mit ih­rem Mann herz­haft ge­lacht hat­te. Die Augen­braue zu­sam­men­ge­zo­gen, roll­te sich An­ni zur Sei­te. Was soll­te sie nun mit die­ser Er­kennt­nis an­fan­gen? War es über­haupt von Be­deu­tung? Klar, war es das. Bis­her exis­tier­te in An­nis Le­ben nur ein Mann und das war Cons­tan­tin, den sie lieb­te. Er war für­sor­glich, hilfs­be­reit, kul­ti­viert und stand für sei­ne Fa­mi­lie ein. Aber ein Bauch­krib­beln gab es ewig nicht mehr.

      Das war nor­mal, wenn man be­dach­te, dass sie be­reits seit so lan­ger Zeit ein Paar waren. Der All­tag hat­te sie fest im Griff, da blieb kei­ne Zeit für der­ar­ti­ge Lie­be­lei­en, die auch nur an­satz­wei­se et­was in ihr aus­lö­sen könn­ten. Dass das völ­li­ger Quatsch war, war ihr durch­aus be­wusst und trotz­dem ver­such­te sie sich mit dem Er­geb­nis ih­rer geis­ti­gen Ar­beit zu­frie­den­zu­ge­ben.

      Un­wei­ger­lich dach­te sie an Marc, wie er sie, mit sei­ner lo­cke­ren Art, be­stim­mend und über­le­gen vor die­sem däm­li­chen Kaffee­hei­ni ge­ret­tet hat­te. Er konn­te es ein­fach, da war nichts ge­schau­spiel­ert, er war, wie er war. Das Krib­beln kehr­te wie­der in ih­ren Bauch zurück. Er war de­fi­ni­tiv ei­ne Mar­ke für sich und gar nicht so ab­ge­ho­ben, wie er in der Pres­se dar­ge­stellt wur­de. Was hät­te ihr Cons­tan­tin in die­ser Si­tua­tion ge­tan? Er hät­te sie wahr­schein­lich auf­ge­for­dert, et­was an­de­res zu be­stel­len, um kein Auf­se­hen zu er­re­gen, und Ma­ri­us hät­te er eben­falls zu­recht­ge­wie­sen, aber ganz si­cher nicht so cool wie Marc Eden, stell­te sie schmun­zelnd fest. Wenn sie nur da­ran dach­te, wie Ma­ri­us sich in der Schu­le mit dem Tref­fen brüs­ten wür­de, muss­te sie sich ein Auf­la­chen ver­knei­fen. Un­ter den Nerds konn­te er da­mit Ein­druck schin­den, das war Fakt. Nun gut, sie gönn­te ihm sei­nen glanz­vol­len Mo­ment.

      An­ni wälz­te sich von ei­ner Sei­te zur an­de­ren, fand kei­ne Ru­he. Ih­re Ge­dan­ken dreh­ten sich im Kreis, lie­ßen sie auf­ge­bracht zurück. Und immer, wenn sie knapp da­vor war, in ei­nen ent­spann­ten Schlaf ab­zu­drif­ten, tauch­ten Marcs Augen vor ih­ren auf und mach­ten sie von der ei­nen auf die an­de­re Se­kun­de wie­der hell­wach. Ge­dank­lich durf­te sie sich die­se ent­glei­sen­den Aus­rut­scher ru­hig er­lau­ben, so­lan­ge Cons­tan­tin das nicht mit­be­kam.

      Ein kur­zes Klop­fen er­tön­te an der Zim­mer­tür: »Mom!«, flüs­ter­te Ma­ri­us lei­se, als er nä­her­trat.

      »Hm?«, brumm­te An­ni, nicht ge­willt, auch nur ein Wort von sich zu ge­ben. Mü­de, schla­fen, Ge­hirn­gu­lasch … Lasst mich doch alle in Frie­den. In Ge­dan­ken spul­te sie noch mal ei­nen Schritt zurück und er­gänz­te, hei­ßer und schar­fer Ge­hirn­gu­lasch. So weit war es schon mit ihr ge­kom­men, dass sie so ei­nen geis­ti­gen Un­fug fa­bri­zier­te.

      »Mom!«, er­klang ei­ne vor­wurfs­vol­le Stim­me.

      Ma­ri­us. Ihr Sohn, ach Gott, da war doch was. Wi­der­wil­lig schal­te­te sie das Nacht­licht an. »Was?«, frag­te sie mo­no­ton.

      »Meinst du, wir könn­ten mor­gen noch mal zu Star­bucks fah­ren? Wir set­zen uns ein­fach ein biss­chen da­hin und war­ten, viel­leicht kommt Marc Eden ja wie­der. Dann könn­te ich mich rich­tig mit ihm un­ter­hal­ten.«

      »Hä?« Er muss­te durch­ge­dreht sein. Und sie gleich mit, denn jetzt war es um ih­re Ar­ti­ku­la­tion ge­sche­hen. Was soll­te man zu solch ei­nem Vor­schlag nur sa­gen? Ihr Sohn woll­te sich in ein Café set­zen, Stun­den dort ver­brin­gen, nur um mög­li­cher­wei­se sein Vor­bild an­zu-tref­fen. »Ma­ri­us, ich sags nur ein ein­zi­ges Mal: Geh so­fort in dein Bett!«

      »Al­ter, bleib mal cre­mig. Du gehst ja ab.«

      Jetzt setz­te sich An­ni doch auf. »Du glaubst doch nicht ernst­haft, dass ich mei­ne Zeit mit dir ir­gend­wo in Köln ver­ge­ude, nur weil die­ser Eden sich dort ein­mal ei­nen Kaffee ge­holt hat? Fer­nab da­von, dass das to­tal be­scheu­ert ist, weißt du nicht mal, ob er re­gel­mä­ßig da ist oder doch nur spo­ra­disch. Lass mich da­mit ein­fach in Ru­he, okay? Ich möch­te schla­fen.«

      »Darf ich denn we­nigs­tens nach der Schu­le da­hin? Ich könn­te mei­ne Haus­auf­ga­ben da ma­chen.«

      »Raus!«, for­der­te An­ni schrof­fer, als es ge­plant war und re­gis­trier­te


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