Rage. Rose Bloom
gelassen hatte. Er drohte, mich zu ersticken, und wollte mir alles nehmen. Einzig die Hoffnung hatte mich aufrecht gehalten. Die Hoffnung, die ich mir geschworen hatte, niemals zu verlieren.
Doch nun, drei Tage nachdem Shawn mit dem Verdacht auf eine Hirnblutung ins Koma gefallen war, hatte sich etwas verändert. An diesem Morgen, nach einer weiteren fast schlaflosen Nacht, öffnete ich die Augen und spürte den Schmerz wieder. Noch viel schlimmer als zuvor, denn Verzweiflung gesellte sich hinzu und verdrängte Stück für Stück meine Zuversicht. Drei Tage hatte er nun nicht die Augen geöffnet, mit mir gesprochen oder gelacht, und es fühlte sich an wie eine halbe Ewigkeit. Die Stimme des Arztes hallte in meinem Kopf wider. »Er ist ein kräftiger, starker Mann. Er wird wieder gesund.«
Ich hatte ihm geglaubt, so sehr darauf gehofft, aber je länger Shawns Geist fort war, umso größer war die Gefahr, dass er nicht mehr zurückfand. Und was wäre dann? Daran durfte ich nicht denken! Ich musste ihm helfen zurückzukommen, nur aus diesem Grund stand ich auf. Das Hotelzimmer fühlte sich kalt und leer an ohne ihn. Deshalb war ich meiner Mum und Matt doppelt dankbar, dass sie bei mir geblieben waren. Mum schlief jede Nacht in meinem Bett, hielt mich, wenn mich die Erinnerungen zu überwältigen drohten, und Matt hatte sich ein Plätzchen auf der Couch im Wohnzimmer eingerichtet. Hunter hatte leider aufgrund seiner Arbeit abreisen müssen, meldete sich aber jeden Tag mehrmals per Textnachricht und rief an.
Trotz der ständigen Ablenkung um mich herum schaffte ich es nicht, diese furchtbare Verzweiflung zu verdrängen.
Alles erinnerte mich an Shawn. Alles war mit seinem Duft durchtränkt. Seine Zahnbürste auf dem Waschtisch, neben seinem Rasierwasser und Parfüm, konnte ich kaum ansehen, als ich ins Bad trat. Wut kroch in mir hoch. Völlig irrationale Wut auf Shawn, dass er mich einfach allein ließ! Wir hatten ihn gewarnt! Malone und Sawyer hatten etwas geplant! Was genau sie getan hatten, wurde zwar gerade noch untersucht, aber es war klar, dass nicht alles mit rechten Dingen zugegangen war! Und trotzdem hatte Shawn es gewagt und war in diesen beschissenen Käfig gestiegen! Er hatte riskiert, alles zu verlieren! Weswegen? Für einen läppischen Sieg!
Mit letzter Kraft griff ich nach der Parfümflasche und donnerte sie mit einem wutentbrannten Schrei gegen die Fliesen. Das Glas zerschellte daran und landete in Scherben vor meinen nackten Füßen. Stumme Tränen fielen hinab und gesellten sich zu den letzten Resten des Inhaltes. Ich sah hinunter auf die Lache, in der ich stand. Innerlich leer.
»Laurie? Was ist passiert?« Meine Mum tauchte im Türrahmen auf und sah fassungslos von den Glassplittern in mein Gesicht. Ihr Ausdruck wurde weicher, unfassbar traurig, und ich bekam ein schlechtes Gewissen, dass ich mit meiner Mutter, die selbst genug hatte erleiden müssen, nun auch noch diesen Schmerz teilte.
»Es tut mir leid«, stotterte ich, konnte mich jedoch kein bisschen von der Stelle bewegen.
»Bleib stehen und tritt bloß nicht in eine Scherbe! Ich hole dir Schuhe!«, sagte sie und verschwand im Schlafzimmer. Ich umschlang meinen Oberkörper mit den Armen, weil ich am ganzen Leib zitterte. Es war unfassbar kalt in dem Badezimmer. Als ich mein Spiegelbild sah, erschrak ich vor mir selbst. Meine kupferbraunen Haare hingen in platten Strähnen hinunter, unter meinen braun-grünen Augen zogen sich tiefe Ringe, und meine Haut wirkte unnatürlich blass. Ich musste mich zusammenreißen, verdammt! Ich durfte nicht die Beherrschung verlieren, denn ich musste ins Krankenhaus. Zu Shawn. Damit er wieder aufwachte und hoffentlich der Alte war. Mein Shawn. Mein Mr. Hyde. Niemals hatte ich mir etwas sehnlicher gewünscht, als dass er endlich wieder bei mir war. Mit mir lachte. Mich küsste.
»Hier, Schätzchen«, sagte meine Mum und gab mir ein paar Sneakers. »Zieh sie an, ich mach das schon.« Sie strich mir sanft über die Wange.
Ich nickte stumm. »Danke, Mum«, sagte ich mit gebrochener Stimme. »Es tut mir leid.«
»Dir muss überhaupt nichts leidtun!«, erwiderte sie streng. »Jetzt geh raus zu Matt, wir haben Frühstück auf das Zimmer bestellt. Gini, Sam und Rob sind auch da.«
Langsam zog ich mir die Schuhe über, lief ins Schlafzimmer und schnappte mir ein paar Socken, gegen die ich die Sneakers austauschte. Ich sah an mir herunter. Seit gestern Abend trug ich einen dunklen Pullover von Shawn und darunter eine schwarze Jogginghose. Ich hatte seinen Duft gebraucht, damit ich mich nicht mehr so allein fühlte, obwohl es das fast noch schlimmer gemacht hatte. Ich ging hinaus und sah, wie die vier am Esstisch saßen und frühstückten. Sie waren still, keiner sprach ein Wort. Man hörte nur ab und zu Besteck und Teller klappern. Sam und Rob sahen genauso schlecht aus wie ich. Dunkle Schatten lagen in ihrem Gesicht. Sie waren besorgt um ihren Freund, und auf eine Art erleichterte es mich, dass Shawn Menschen in seinem Leben hatte, die sich Gedanken um ihn machten. Er war nicht allein, so wie er es immer gedacht hatte, denn er hatte uns. Doch würde er das noch mitbekommen? Schon wieder wechselte meine Trauer zu Wut. Meine Fäuste ballten sich in diesem Wechselbad der Gefühle, und ich atmete kräftig aus, um mich wieder zu sammeln und nicht erneut zusammenzubrechen.
»Guten Morgen«, krächzte ich, und alle sahen auf. Ich wandte den Blick ab, denn ich konnte ihre mitleidigen Blicke kaum ertragen. Meine Güte, manchmal schauten sie so, als wäre Shawn bereits … Ich konnte es nicht einmal denken.
Gini sprang auf und zog ihren Stuhl für mich zurück.
»Komm, Laurie, iss etwas. Ich bin fertig.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin nicht hungrig.«
»Du musst etwas essen, du hast seit drei Tagen kaum etwas angerührt! Bitte, Laurie …«, flehte sie. Doch ich wusste, wenn ich versuchte, etwas zu essen, würde mir direkt wieder übel. Lange genug hatte ich krampfend über der Kloschüssel verbracht, weil ich nichts bei mir behalten konnte.
»Sam, kommst du mit ins Krankenhaus? Ich möchte direkt los, falls er heute aufwacht.« Wegen der Besuchszeiten und weil ich keine direkte Angehörige war, konnte ich die Nacht nicht bei Shawn verbringen, deshalb wollte ich am Tag jede Minute nutzen, die mir blieb, und so schnell wie möglich aufbrechen. Sams Blick flackerte unruhig von Gini, die immer noch hinter dem Stuhl stand, zu mir. Ich hatte gemerkt, dass sich zwischen den beiden ein freundschaftliches Band geknüpft hatte, ab dem Tag, als Sam sie im Krankenhaus besucht hatte. Natürlich freute ich mich für sie, dass ihr Sam zusätzlichen Halt gab, den ich ihr gerade nicht bieten konnte. Er war für sie da gewesen, als sie vor zwei Tagen entlassen wurde, und hatte sie unterstützt, als ich es nicht konnte. Dafür war ich ihm unfassbar dankbar, trotzdem konnte ich diese Freude und Dankbarkeit gerade nicht zeigen und fühlte mich deswegen zusätzlich schlecht.
»Ja, klar«, erwiderte Sam heiser, stand auf und drückte kurz Ginis Schulter zur Beruhigung. Sie nickte und setzte sich wieder hin. Thema Essen erfolgreich umgangen.
»Ich bin gleich so weit«, sagte ich und ging zurück ins Schlafzimmer, um mich einigermaßen auf Normalzustand zu bringen. Falls Shawn aufwachte, wollte ich nicht aussehen wie eine Vogelscheuche. Falls.
2
Ganz leise und langsam drückte ich die Türklinke nach unten. So als wollte ich ihn absichtlich nicht wecken, weil er einfach nur schlief. Jedes Mal, wenn ich das sterile Zimmer betrat, hatte ich stärker damit zu kämpfen, meine Tränen herunterzuschlucken. Die weißen Wände und der scharfe Desinfektionsgeruch erinnerten mich in jeder Sekunde daran, wo wir uns befanden.
Sam ließ mir immer zuerst eigene Zeit allein mit Shawn, und auch dafür war ich ihm dankbar. Ich drückte die Tür hinter mir zu und lief zum Bett. Wieso musste ich nun zum dritten Mal einen geliebten Menschen schwer verletzt in einem Krankenhausbett sehen? Und wieso konnte ich auch dieses Mal rein gar nichts ausrichten, damit es ihm besser ging? Ich hasste dieses Gefühl von Hilflosigkeit und Ungewissheit.
Vorsichtig setzte ich mich auf den Bettrand und strich über Shawns stoppelige Wange. Sein Bart war länger geworden als ohnehin schon. Seine Lider waren geschlossen, seine Gesichtszüge entspannt. Man hätte meinen können, er schliefe nur. Zumindest wenn man die Schläuche und Geräte, die an und um ihn herum befestigt waren, ignorierte, sowie das