BAT Boy. C. A. Raaven

BAT Boy - C. A. Raaven


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Aber eine heiße Wut war in ihm aufgebrandet, und er hatte sie geradezu verletzen wollen. Lucas stürmte durch die Nacht, ohne auf seinen Weg zu achten. Schließlich stellte er fest, dass seine Schritte ihn zu einem kleinen Felsvorsprung an der Klippe geführt hatten. Sie war auf der landwärtigen Seite von einem dichten Gebüsch abgeschirmt, man hatte von dort aus allerdings einen schönen Blick übers Meer. Im Normalfall wäre er heute mit Ines hergekommen, um die letzten Stunden ihres gemeinsamen Urlaubs zu genießen, aber was war schon normal? Er ließ sich auf dem Felsen nieder. Dabei dachte er darüber nach, ob das, was er in den letzten Jahren immer wieder von Verwandten oder Freunden zu hören bekommen hatte, tatsächlich ein Fünkchen Wahrheit enthielt. Er hatte es bisher immer für abergläubischen Schwachsinn gehalten. Aber wie er nun so dasaß, fragte er sich, ob sie vielleicht doch anfingen, Recht zu haben.

      Ja, gut, er war am 13. Juni 1986 geboren worden. Ja und es war außerdem ein Freitag gewesen, doch musste das nun gleich bedeuten, dass er vom Pech verfolgt sein würde? Nein, sicher nicht, zumindest bisher nicht. Aber an seinem 13. Geburtstag hatte es angefangen ... Ja was eigentlich? Würde er von nun an vielleicht doch vom Pech verfolgt werden? Und wie lange würde das dauern? Ein Jahr? Für immer? Während er noch darüber grübelte, hörte er zwei Stimmen, die sich in einiger Entfernung an ihm vorbei bewegten. Es waren seine Eltern.

      »Was ist bloß in den gefahren und verdammt noch mal wo ist der jetzt?«, hörte Lucas seinen Vater grummeln.

      »Paul, beruhige dich doch. Für Luky muss in dem Moment eine Welt zusammengebrochen sein. Da hat er ein bisschen überreagiert.«

      »Überreagiert ist gut. So habe ich ihn noch nie erlebt. Und dann rennt er einfach weg und ist verschwunden.«

      »Mach dir mal nicht solche Sorgen. Er wird schon nichts Dummes tun. Vertrau unserem Sohn einfach. Wir lassen die Tür unverschlossen, dann kann er später ins Bett kommen.«

      Die Stimmen erstarben, als sie durch eine Hecke, um die Lucas‘ Eltern bogen, verschluckt wurden. Lucas war nun wieder allein mit sich. Er fuhr fort, auf das Meer und die darüber schwebende Mondsichel zu starren, bis schließlich die sanfte Dunkelheit des Schlafes ihn umfing.

       Ich schwebe, jage, gleite

       Das silberne Licht über mir

       Bricht sich in der spiegelnden Fläche hoch oben

       Lautlos durch das Dickicht

       Und um die Felsen

       Bin ich auf der Suche

       Nach Beute

       Aber es wird so kalt

       So kalt

      

      Lucas schrak aus dem Schlaf hoch. Ihm war eiskalt. Wie konnte das sein? War er etwa auf dem Felsvorsprung eingeschlafen? Als sich seine Augen nach einem Moment der Desorientierung an die Dunkelheit gewöhnt hatten, stellte er fest, dass er sich nicht mehr auf dem Felsen über dem Meer, sondern in seinem Bett befand. Er konnte sich überhaupt nicht daran erinnern, nach Hause gegangen zu sein – geschweige denn ins Bett. Außerdem war das Bett klatschnass – er war es ebenfalls. Das erklärte zwar die Kälte, warf jedoch gleichzeitig die Frage auf, warum er sich in ein nasses Bett gelegt hatte. Und warum zur Hölle war dieses Bett überhaupt nass? Er sah sich vorsichtig im Zimmer um. Auf der anderen Seite schliefen seine Eltern halb sitzend im Bett. Sein Vater hatte sogar noch eine Brille auf. Ein aufgeschlagenes Buch lag auf der Bettdecke. Sie mussten auf ihn gewartet haben und dabei eingeschlafen sein. Vorsichtig, um sie nicht zu wecken, glitt Lucas aus dem Bett und zog zuerst das tropfnasse T-Shirt aus. Beim Ausziehen lief ihm etwas Wasser übers Gesicht. Er bemerkte, dass es salzig schmeckte. Also blieben zwei Möglichkeiten übrig: Entweder hatte er dermaßen geschwitzt, dass er alles durchweicht hatte oder er war baden gewesen und hatte sich nicht abgetrocknet. Nach einer kurzen Prüfung des Bettlakens, bei der er Reste von Tang und ein paar Muscheln fand, kam er zu dem Schluss, dass die letztere Variante stimmen musste. Er konnte sich immer noch nicht daran erinnern, irgendwas davon getan zu haben. Lucas beschloss, sich darüber jetzt keine Gedanken mehr zu machen, sondern lieber für ein trockenes Bett zu sorgen. Er hatte das Gefühl, dass ihm jeder Knochen im Leib wehtat. Also besorgte er sich leise ein paar trockene Handtücher und eine andere Decke. Taumelnd vor Müdigkeit versetzte er sich und das Bett in einen halbwegs schlaftauglichen Zustand. Dann legte Lucas sich wieder hin. Er war schon wieder eingeschlafen, als sein Kopf das Kissen berührte.

      Lucas erwachte noch vor seinen Eltern, weil die Vögel vor seinem Fenster einen, wie es schien, ohrenbetäubenden Lärm machten. Ein Strahl der Morgensonne fiel in das Zimmer und tauchte ausgerechnet den Platz, wo sein Bett stand, in ein leuchtendes Orange. Er kniff die Augen zu und überlegte einen Moment lang. Was war geschehen? Was sollte er nun tun? Lucas kam zu dem Schluss, dass alles Verstecken oder das Vermeiden irgendwelchen Ärgers ihm letztendlich nur noch mehr Probleme eingebracht hatte, als er vorher zu haben geglaubt hatte. Es nützte alles nichts; er musste allen die Wahrheit sagen. Einfach nur die Wahrheit. Wie er da so in seinem Bett lag, kam ihm die Sache wirklich fast lächerlich einfach vor. In der Realität gestaltete es sich dann aber doch komplizierter, als er es sich erhofft hatte.

      Als seine Eltern wach wurden, nutzte er ihre Schlaftrunkenheit aus, um sich für seinen Ausbruch am Abend zu entschuldigen und ihnen die Vorkommnisse während seiner Geburtstagsfeier zu erzählen. Als er geendet hatte, machte sein Vater ein Gesicht, als hätte er auf eine Zitrone gebissen – und zwar auf eine besonders saure.

      »Ach du Schande, jetzt kapier ich überhaupt erst, was da gestern abgelaufen ist. Ines muss ja geglaubt haben, dass du ...«

      »Hhmm«, antwortete Lucas matt.

      »Und ich Riesenrindvieh erzähl es dann auch noch genau so, dass es erst recht so aussehen muss. Mann, sorry, das hab ich nicht gewollt.«

      »Ist ja eigentlich auch meine Schuld«, winkte Lucas ab. »Ich hätte euch ja nur gleich berichten müssen, was passiert war.«

      »Sag mal und das stimmt tatsächlich? Kevin ist bis zur Tür geflogen? Mensch, da steckt ja ganz schön Bumms dahinter«, grinste Paul und tätschelte Lucas den Arm. Betty war – wie es schien – in nicht ganz so guter Stimmung. Während Lucas‘ Schilderung war sie immer stiller und ganz blass geworden.

      Als sie nun merkte, dass sie von Lucas und Paul angesehen wurde, sagte sie leise: »Stellt euch doch bloß mal vor, was alles hätte passieren können. Ich hatte gedacht, dass es sich um eine harmlose Kabbelei zwischen euch Kindern gehandelt hat, aber das klingt ja ... gewaltig ...«

      »Mam, du glaubst mir doch aber, dass ich das nicht mit Absicht gemacht habe«, rief Lucas und sah sie flehentlich an.

      Da klarte sich ihr Blick wieder auf.

      »Oh, nein, natürlich glaube ich dir. Ich hab mich nur so erschrocken. Wenn Kevin sich etwas getan hätte ...«

      Dann schüttelte sie den Kopf, wie, um die Bilder darin zu verscheuchen, und grinste ein erstaunlich hämisches Grinsen.

      »Aber es ist ja glücklicherweise wohl nichts Ernsthaftes passiert. Vielleicht war es auch ein wenig heilsam für Kevins aufgeblasenes Ego. Damit ist er ja kaum noch durch die Tür gekommen.«

      Alle drei sahen sich an und fingen schallend an zu lachen. Dieses Lachen war wie Balsam für Lucas‘ Seele. Er konnte kaum genug davon bekommen. Solchermaßen gestärkt wagte Lucas sich dann auch an den nächsten Punkt auf seiner Tagesordnung: Er musste es Ines erzählen und sie um Verzeihung bitten, dass er es ihr nicht schon viel früher gesagt hatte.

      Allerdings konnte er sie weder in der Hotel-Lobby noch am Strand oder im Restaurant finden, sodass sich sein anfänglicher Elan allmählich aufzulösen begann. Zweifel und leichte Panik machten sich langsam breit. Schließlich fand er sie auf dem Parkplatz, wo sie mit ihren Eltern dabei war, noch einige letzte Dinge im Auto zu verstauen. Als sie ihn sah, verfinsterte sich ihr Gesicht und ihr Körper nahm eine abweisende Haltung ein. Aus dem Hintergrund wollte ihre Mutter zu ihr treten, aber ihr Vater hielt sie sanft am Arm zurück


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