NOVA Science-Fiction 29. Cory Doctorow

NOVA Science-Fiction 29 - Cory Doctorow


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das auf einem Kissen saß und uns beobachtete. Es hauchte etwas, oder gurrte es? Wollte sie ihr Männchen zu sich rufen? Husten schüttelte mich, es floss wieder rotes Sekret aus meiner Nase. Die Ärzte hatten gesagt, sie könnten nichts mehr tun. Ich fischte nach einem Taschentuch, in Panik. Das Männchen hatte alles gesehen. Betrachtete einen Moment den roten Schmodder, der aus meinem Körper gekommen war. Schnaubte und lief weg.

      »Das könntest du sein.« Hein, der durch seinem Blickkontakt mit der Leeren wohl abgelenkt war und nichts bemerkt hatte, und wies auf das Weibchen.

      »Was denken sie?«, fragte ich.

      »Denken? Natürlichdenken sie nicht. Das wäre gegen das Gesetz … Platzhalterhirne halten den Neukörper aktiv, mehr nicht …«

      »Leiden sie?«

      »Aber nein! Im Gegenteil! Sie sind glücklich. Ihr Hormonhaushalt ist optimiert. Sie genießen, was für uns ZOT bedeuten wird. Das solltest du wissen. Ist alles in der VAN geregelt, der Verordnung zur Aufzucht von Neukörpern. Sie haben kein Bewusstsein, keine Leidensfähigkeit. Sie kennen keine Not, wissen nichts von ihrer Endlichkeit. Sie spielen und fressen. Da sie steril sind, dürfen sie kopulieren, wann sie wollen. Vor der Operation schlafen sie einfach ein. Ahnungslos, erfüllt. Und du wirst natürlich auch nichts davon mitbekommen, vom Ende deines alten Körpers, meine ich, vom Anfang …«

      »Fühlst du das? ZOT?«

      »ZOT? Ja, klar …«

      »Zufriedenheit, Optimismus, Tatkraft … Aber … Hein … du warst doch nicht immer so. Die Transplantation hat aus dir einen anderen gemacht. Du bist nicht mehr du. Stört dich das nicht?«

      Hein sah mich an. Einen Moment lang blieb sein Gesicht seltsam ausdruckslos, dann huschte ein verständnisvolles, vielleicht nachsichtiges Lächeln über Heins sinnliche Lippen. Er nickte langsam, zupfte mit der linken Hand an seinen spitz zugeschnittenen, gepflegten Koteletten. Er überlegte, ernsthaft und sichtbar, was er sagen sollte. Fand ich ihn gönnerhaft?

      »Wenn du eines Tages, nach einem … seltsamen, schmerzhaften Traum … aufwachst und glücklich bist. Glücklicher als schon lange, vielleicht denn je, und weißt, die Zukunft hält viel Gutes für dich bereit, und du hast viel, viel Energie. Bist du dann nicht mehr du selbst? Oder zum ersten oder zweiten Mal – wirklich du?«

      Ich gab mir Schwung, mit den Beinen. Wann waren die so … mächtig geworden? So elefantös? Die Mittagssonne erwärmte den Spätherbsttag, ein paar Neumenschen spielten nahebei in einer Kletter- und Amüsieranlage. Natürlich wirkten alle jung. Die meisten waren Kassenmodelle. Eingelebt reiften diese nach, wurden zu unterscheidbaren Individuen. Die Körper nachlässiger Nutzer dickten aus, andere schafften es, sie über die gesamte Haltbarkeit fit zu halten. Auch die Gesichter änderten sich, mit der Zeit – erhielten Wesen, Charakter, verloren das Unfertige, das mir an den Leeren bei Hein aufgefallen war. Solche Körper wurden selten bis in deren höheres Alter genutzt – sie sollten die ganze Nutzungszeit über optimal funktionieren. Die Leerkörper – wie seltsam das immer noch klang. Mir fielen ein paar Sondermodelle in der Gruppe auf, die durch ihre meist größeren und schlankeren Körper herausstachen. Sondermodelle konnte man meist auch länger nutzen, sie alterten besser. Allerdings wirkten einige der Kassenmodelle auf mich fast … interessanter, wohl durch ihre individuellere Wahl der Kleidung. Es gab keine Berührungsängste zwischen Sonder- und Kassenmodellen, auch wenn sich selten Mischbeziehungen ergaben, jedenfalls, wenn ich das richtig beobachtete. Warum war das so? Klassendenken? Unwahrscheinlich. Die meisten Menschen mussten einen Körperzyklus durchsparen, um sich einen besseren Leib zu leisten. Heißt es. Ich schaukelte höher, es knarzte in den Seilen. War ich zu schwer für die uralte Kinderschaukel?

      Früher hatte ich solche Schaukeln geliebt, als Kind. Ich gab damals Schwung und mehr Schwung, genoss die Angst, zu hoch zu fliegen, in den Himmel zu stürzen. Ich war leicht damals, fast wie ein Vogel. Liebte es, mich in den Himmel zu katapultieren, auf dem Apex abzuspringen. Zu fliegen, um sicher im Sand zu landen. Heute würde ich mir alle Knochen brechen. Aber so hoch flog ich ohnehin nicht mehr. Alles gut. Haha.

      Jay war meine erste Liebe. Wir kannten uns schon als Kinder. Er schaukelte immer höher als ich. Vielleicht hatte mich das beeindruckt. Wir trennten uns, nachdem ich schwanger geworden war. Ich hatte auf die Abbruchpille bestanden. Ich wollte etwas aus mir machen, wollte meiner Generation vorausschreiten, auf der Welle reiten. Das war kurz vor dem Jahr eins. Er roch mir, nach dem Abbruch, nach Schmerz und Vergangenheit. Die psychiatrischen Hilfsmittel, die angebotenen Medikationen lehnte ich ab. Vielleicht suchte ich ihn darauf in anderen, oder suchte in anderen, was ich in ihm gesucht und nicht gefunden hatte. Wirklich? – Nein, das stimmt so nicht. Mein Leben, meine Beziehungen waren nicht so … gewollt. Erklärbar. Jede Erfahrung, jedes Kennenlernen war anders. Sich finden war immer Glück. Das Zusammensein jeweils eher … grau. Normal. Das Auseinandergehen dagegen troff, jedes Mal, vor Schmerz.

      Ich dachte wieder an den alten Hein. Man erzählte damals, er war einmal ein recht beliebter Mann gewesen. Er hätte einst eine Bar geführt, alle gekannt, Witze gemacht, die Nächte durchgetanzt. Lebenslust in den Augen, in den Beinen. Er sei nur nicht der Hellste gewesen. Kein Ehrgeiz. Kein Wille, für die Gesellschaft besonders wichtig zu sein. Die Mottowerbung jener Bar hing damals in seinem Fenster. Ich konnte mich genau daran erinnern, sah sie vor mir: »Das schönste aller Dinge, ein Schluck mit Hein und Inge«, oder so ähnlich, in gelbem Neon. Inge war seine Frau gewesen. Ich habe sie nie kennengelernt.

      Nachdem sie gestorben war, hatte er »abgebaut«, wie die Leute sagten. Fast alle sagten auch, er wäre besser dran, würde er die Medikation nehmen. Ich hatte das vergessen – doch urplötzlich wusste ich es wieder: Ich fand es damals bewundernswert, dass er die Pillen nicht nahm. Anders war als die anderen. Aber waren die Leeren, die Neukörper nicht auch eine Art Medikation? Hatte Hein sich verraten? Wann genau hat er einen Leerkörper besiedelt? Er muss mit einer der Ersten gewesen sein … Damals …

      Als Hatou nach unserer Trennung als erster Mann in einen Frauenkörper wechselte und deswegen zum Promi wurde, das war alles noch so neu, radikalisierte sich etwas in mir. Vielleicht. Vielleicht suchte ich auch nur einen Ausweg, weil aus mir »nichts geworden war«, wie ich, das muss ich mir eingestehen, schon damals dachte. Ich dachte: Fand ich zu jener Zeit wirklich, dass Hatou etwas Besonderes war, wertiger, bedeutender, weil die Leute über ihn redeten? War ich so … klein? Oberflächlich? Warum fühlte ich das?

      Eine andere Erinnerung stieg in mir auf. Hatou und ich gingen durch im Sonnenlicht glänzende, dicht zusammenstehende Pampasgräserbüschel, die so etwas wie ein Wäldchen bildeten, sich in einer sanften Brise bogen, spannten, dann langsam zurückschwangen. Ich sah zu ihm hinüber, die Luft flirrte vor Hitze, Vitalität. Er wirkte selbstverloren. Zufrieden. Sinnlich auf sich bezogen. Er sah mich gar nicht an. Warum … beneidete ich ihn? Hasste ich ihn dafür?

      Und dann waren da die ungenutzten und vertanen Chancen. Die Liebschaften, die »Begegnungen«, die ich als … unnötig erachtet hatte? Das Bedauern. Die Leute sagten … Echt? Stimmt das? Ich hielt die Schaukel an. Mir war etwas schwindelig. Früher sagten die Älteren, man leidet am meisten an den Dingen, die man sich nicht erlaubt hat, die man nicht versucht hat. Ich blickte zurück. Ja? Nein. Es waren meine Entscheidungen. Ich konnte, musste sie akzeptieren. Auch die Feigheiten. Ich merkte, dass es viel schlimmer war. Wie so oft war dieser Gemeinplatz nur eine Ausrede. Gewesen. Ich hörte in mich hinein. Es schmerzte mich mehr, mich nicht mehr gegen Dinge, die ich vielleicht irgendwie wollte, entscheiden zu können. Da sie … gar nicht mehr in meiner Reichweite waren. Das Bedauern der Vergangenheit, dachte ich, war nur eine Ausflucht, ein Mantel. Es war ohnehin egal – heutzutage sagte wohl niemand mehr solchen Quatsch.

      Ich starrte zu der spielenden, lachenden Gruppe hinüber. Sie genossen ein Berührungsspiel, umarmten einander im Kollektiv, bildeten Muster, stehend oder liegend, lachten. Im Hintergrund gingen andere Neumenschen vorbei, die kein Interesse für die Spielgruppe zeigten, obwohl sie laut war, Aufmerksamkeit heischte, fast »Macht mit!« schrie. Warum? Verweigerten sie sich, diese anderen? Wie ich, damals? Mit einem jungen Körper, dachte ich, konnte man nach vorne


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