Vom schönen Schein. Eva Rossmann
EVA ROSSMANN
VOM SCHÖNEN SCHEIN
MÖRDERISCHE GESCHICHTEN
© Umschlagmotiv: Eva Rossmann
Lektorat: Joe Rabl
© Folio Verlag Wien • Bozen 2020
Alle Rechte vorbehalten
Grafische Gestaltung: Dall’O & Freunde
ISBN 978-3-85256-816-4
E-Book ISBN 978-3-99037-110-7
INHALT
Sie haben das alles schon gegessen
SO SCHÖN DAS LAND
„Geht’s noch? Ich soll über eine Hochzeit schreiben?“
Sam sieht mich ungerührt an. „Ich dachte, du wärst jahrelang so etwas wie Society-Reporterin gewesen.“
„Damals war ich dreißig. Und hungrig.“
Sie mustert mich.
„Sag jetzt nichts. Ich bin nicht viel schwerer als damals.“
„Es ist die Hochzeit des Jahrzehnts, oder, um es mit den Worten des neuen Sportmanagers zu sagen: die Traumhochzeit des Jahrtausends.“
„Eine Skifahrerin und ein Tennisspieler. Wie toll.“
„Die dreifache Gewinnerin des Gesamt-Weltcups und die Nummer zwei der Tennis-Weltrangliste.“
„Entzückend. Und dafür wird ECCO zum Online-Boulevardmagazin.“
Meine Chefredakteurin seufzt und sieht aus dem Fenster. Wien grau in grau. Die Häuser, die Straße am Donaukanal, selbst das Wasser. Schlechtwetter im April, da merkt man nichts vom Frühling. Kein Hauch von Prater-und-blühende-Bäume-Romantik.
„Die ganze Branche spottet, wenn ich das covere. Mira Valensky, ehemalige Chefreporterin, die beim Magazin ausgestiegen ist, weil sie lieber seriösen Online-Journalismus machen wollte.“
„Wir brauchen die Kohle, um ehrlich zu sein. Wir müssen erst richtig Fuß fassen. Es geht um unsere Zugriffe im Netz. Die Story können wir auch bei ECCO Italien, ECCO Spanien, ECCO Slowenien und so weiter spielen. Mehr Zugriffe, mehr Reichweite, mehr Werbung.“
„Klar, ECCO Italien liefert uns eine heiße Story über die Hintergründe des internationalen Müllhandels und wir schicken ihnen Belangloses von einer Promi-Hochzeit. Ist eben Österreich. Ich freue mich schon auf meine Kollegen vom guten alten Print-Boulevard.“
„Du hast einen großen Vorteil: Du kannst schreiben, was du willst.“
„Das hat mein allererster Chefredakteur auch gesagt. Er wollte mir das Begräbnis der letzten Kaiserin Zita schmackhaft machen.“
„Was, da warst du schon im Journalismus? Das muss … in den Sechzigern gewesen sein, im letzten Jahrhundert.“
Ich sehe Sam belustigt an. „Es war in den Achtzigern. Aber trotzdem urlange her. Ich hab im Organisationsbüro angerufen und gebeten, zu Karl Habsburg durchgestellt zu werden. Die Tussi am Telefon hat gesagt, ‚Der Herr Erzherzog ist leider beschäftigt‘, mit ganz spitzer Betonung auf ‚Erzherzog‘. Weißt du, wann in Österreich die Adelstitel abgeschafft wurden?“
„Nach dem Ersten Weltkrieg. – Und deswegen wehrst du dich gegen alle High-End-Festivitäten?“
„Ich hab dem Chefredakteur geglaubt, ich bin hin und habe alles beschrieben. Das Wetter war noch mieser als heute. Jede Menge uralter Militärs im Leichenzug, an ihren Hüten riesige Federn, sicher von irgendeinem Vieh unter Naturschutz. Als sie beim Stephansdom waren, sind ihnen die Federn wie seltsame Ohrbüschel am Gesicht geklebt. Der ganze Aufzug hat gewirkt wie ein Casting für einen Kostümfilm. Ich war mir sicher, dass Karl die Prinzenrolle nicht kriegen würde.“
„Und warum erzählst du mir das?“
„Weil der Chefredakteur stinkwütend war, nachdem ich das alles geschrieben hatte. Mehr Leserbriefe und Abbestellungen hat es nie gegeben. Nicht einmal, wenn ich mir erlaubt habe, etwas gegen die Freiheitlichen zu schreiben. Majestätsbeleidigung, Nestbeschmutzung, das waren noch die höflichsten Reaktionen. Und: Was glaubst du, wie die Leute auf eine ehrliche Reportage über die Hochzeit dieser gehypten Sportlieblinge reagieren würden?“
„Werden wir sehen.“
Natürlich steigt die Hochzeit in der Wachau. Wo sonst? Spektakuläre Landschaft an der Donau, Kulisse für Heimatfilme und Wein-Tourismusgegend Nummer eins. Ja, es gibt hier sehr guten Wein. Wirklich, die Landschaft ist einzigartig. Und sie kann nichts dafür, dass alle Asiaten und die Hälfte der Amerikaner hier gewesen sein wollen. Ich bin gerade noch zum Presse-Briefing zurechtgekommen.
Christoph Kaiser, der Manager des neuen Sportkonsortiums. „CSO, so ähnlich wie CSI“, hat er gescherzt, „und mindestens so aufregend, nur viel österreichischer.“ Diese Manager-Schnösel und ihre englischen Abkürzungen. Chief Sports Officer. Man darf so etwas nie auf Deutsch übersetzen, dann klingt es halb so gut. Er muss um die vierzig sein und er ist immerhin so clever, dass er weiß, dass Slim-Fit-Anzüge wieder out sind. Er trägt Jeans und ein Designersakko mit Trachtenanklängen. Als er bestellt wurde, gab es einigen Tumult. Sein Vorgänger war eine Institution, englische Abkürzungen hätte er verachtet, aber auch nicht verstanden. Er war so eine Art Alpen-Diktator. Immer zum Wohle des Sports unterwegs, dass ihm gewisse Sportlerinnen besonders am Herzen lagen, konnte er vor Gericht bisher erfolgreich bestreiten. Aber seit #MeToo und der Story eines deutschen Aufdeckungsmagazins über seinen beachtlichen Grundbesitz in Tiroler Skigebieten war er nicht mehr ganz unumstritten. Man hat ihn hochgeehrt in Pension geschickt, ein Sportkonsortium gegründet, in dem „Staat und Privat zur Erhaltung und Entwicklung Österreichs als Sportnation“ zusammenarbeiten, und diesen Christoph Kaiser aus dem Hut gezaubert. Er hat in den USA und an einer österreichischen Privatuniversität Sportmanagement studiert. Ich habe recherchiert, das wenigstens stimmt. Wobei diese einigermaßen elitäre Privatuni jeden nehmen dürfte, der zahlt. Unter der Studienrichtung „Sport- und Eventmanagement“ findet man als Einstiegsvoraussetzungen: Bei uns können Sie ohne Numerus Clausus studieren, d. h. Sie benötigen für die Zulassung keinen bestimmten Notendurchschnitt. Als Zugangsvoraussetzungen gelten: die allgemeine Universitätsreife oder ein vergleichbarer Bildungsabschluss sowie Kenntnisse über die deutsche Sprache.
Wenn solche Grammatik-Kenntnisse reichen,