Vom schönen Schein. Eva Rossmann

Vom schönen Schein - Eva Rossmann


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habe auf die Uhr gesehen?“

      „Sie haben doch alles im Griff. Sonst.“

      Ich sehe, dass auf seiner Unterlippe kleine Schweißperlen stehen. So warm ist sein Designersakko gar nicht. „Spotten Sie nur. Sie alle können feiern. Oder lästern. Ich arbeite. Ich habe einen Auftrag. Im Interesse unseres Brautpaares.“

      „Fürs heilige Image. Österreichs heile Welt.“

      „Und? Ist Ihnen klar, wie viele das gerne hätten? Wie schwierig es ist, in unserem Zeitalter der Bilder- und Nachrichtenflut durchzudringen? Mit den richtigen Messages zum richtigen Zeitpunkt? Die Aufmerksamkeit zu bekommen? Global gedacht? Warum, glauben Sie, kommen die Touristen? Warum kauft wer welche Sportartikel? Die Branche braucht jede Unterstützung, die sie kriegen kann, ich sage nur: Corona. Und dann noch der absurd warme Winter.“

      „Schon mal was von Klimakrise gehört?“

      Kaiser versucht mich weiterhin anzusehen und gleichzeitig mitzubekommen, was am Ehrentisch los ist. Seine Gesichtszüge entgleiten ins Absurde, er schielt, sein Mund verzieht sich.

      „Geht’s Ihnen gut?“, frage ich jetzt doch einigermaßen besorgt. Vielleicht war etwas im Essen. Daniel ist der Erste, der es gespürt hat, und liegt jetzt röchelnd unter einem Weinstock.

      Kaiser fokussiert wieder auf mich. „Ich glaube, Ihre Kollegin winkt. Sie sollten …“

      Schwacher Versuch. Ich mache noch zwei Schritte Richtung Ehrentisch.

      „Klimakrise? Sie sind also eine Jüngerin der heiligen Greta? Sind Sie dafür nicht …“

      Ich will schon auffahren, als mir klar wird: Der will mich provozieren, in ein Gespräch verwickeln, Hauptsache, ich komme nicht zu Daniela. Allerdings. Alle Schäfchen kann auch der beste Hütehund nicht immer unter Kontrolle haben.

      „Sorry, jetzt muss ich wirklich auf die Toilette. Dort drüben, haben Sie gesagt?“ Ich deute brav in die dem Ehrentisch entgegengesetzte Richtung.

      „Vergessen Sie nicht, was im Vertrag steht“, gibt er mir mit.

      Ich habe ihn noch immer nicht gelesen. Dafür habe ich gesehen, in welche Richtung Danielas Mutter gegangen ist. Ich bin keine Paparazza. Aber ich habe meinen journalistischen Ehrgeiz.

      Frau Sagerer trägt ein schlicht geschnittenes beiges Kostüm, das ihr ausgesprochen gut steht. Sie ist schlank und mittelgroß, ihr Gesicht hat eine gesunde Bräune, die ebenso mit Urlaub im Warmen wie mit Arbeit im Freien zu tun haben kann.

      „Daniels Freunde haben ihn entführt“, sage ich und lächle sie an.

      Frau Sagerer runzelt die Stirn. „Sie meinen, sein Team?“

      „Ja … sozusagen.“

      „Sein Freund konnte nicht kommen, leider. Er hat im letzten Moment abgesagt. Weil seine Lieblingstante schwer krank geworden ist.“

      „Sein Team eben.“

      „Ich weiß nicht … Ich sollte nicht mit Ihnen reden.“ Sie starrt auf mein Namensschild.

      „Wir sind eingeladen, aber doch irgendwie anders“, lächle ich weiter. „Kaiser will alles kontrollieren, nicht wahr?“

      Danielas Mutter lächelt zurück. „Sagen Sie es nicht weiter, aber der Mann ist eine Pest. Ich bin so etwas nicht gewohnt. Ich bin echt froh, wenn es vorbei ist. Leider. – Und Sie werden das nicht schreiben, oder?“

      „Werde ich nicht. Eine meiner besten Freundinnen ist übrigens Weinbäuerin.“

      „Oh, Sie kennen die Familie hier?“

      „Nein, Eva Berthold. Im Weinviertel. Noch ein richtiger Familienbetrieb. Nichts derart Großes.“

      „Evelin Sagerer.“

      Sie streckt mir die Hand entgegen.

      „Mira Valensky. Und ich will Sie wirklich nicht aushorchen. Ich bin keine Gesellschaftsreporterin, auch keine Sportreporterin.“

      „Was machen Sie dann hier?“

      „Na ja. Frage ich mich auch. Ich arbeite für ein Onlinemagazin, üblicherweise schreibe ich gesellschaftspolitische Reportagen. Aber die Chefredakteurin ist auch eine Freundin. Und ich hab ihr versprochen, über diese Hochzeit eine nette Geschichte zu machen. Weil so etwas von sehr vielen Menschen gerne gelesen wird.“

      „Hoffentlich“, seufzt Evelin Sagerer.

      „Ich dachte, es gibt bei dieser Hochzeit keine verkauften Rechte?“

      „Nein, aber die Betreuer sagen, was auch Kaiser sagt. Wenn die Hochzeit gut rüberkommt, haben wir viele Vorteile. Zum Beispiel was die nächsten Werbeverträge von Daniela angeht. Gar nicht zu reden von den Balajs.“

      „Was ist mit ihnen?“

      „Das kann ich nicht sagen, muss sozusagen in der Familie bleiben. Aber es ist wichtig für sie, dass alles gut läuft.“

      „Und jetzt ist Daniel weg.“

      Sie schüttelt den Kopf. „Ihm wird alles zu viel geworden sein. Er … Sogar Daniela ist vor der Hochzeit davongelaufen. Und sie hat wirklich super Nerven.“

      „Ich hab sie im Weingarten getroffen, per Zufall. Er ist … davongelaufen, meinen Sie?“

      „Das mit dem Bräutigamentführen ist Unsinn. Sein Team macht ganz genau das, was Kaiser geplant hat. Und auch er … Er ist ein netter Kerl.“

      „Wie gut kennen Sie ihn?“

      „Kein Kommentar.“

      „Nicht gut.“

      Evelin Sagerer seufzt. „Nicht trifft es besser. Er war einmal bei uns. Wirklich nett, wenn auch ein wenig gestresst. Sein Vater war mit. Der ist immer mit. Ich halte so etwas für schwierig. Wir freuen uns für Daniela und wir haben sie immer unterstützt, auch wenn das am Anfang gar nicht leicht war. Aber wir wären nie auf die Idee gekommen, immer an ihr dranzukleben …“

      „Sein Vater weiß auch nicht, wo er steckt?“

      „Er sucht ihn, glaube ich. Oder sie reden irgendwo, das wäre gut. Ein Gespräch zwischen den beiden. Ich muss jetzt aufs Klo. Und Sie dürfen nichts schreiben, was ich gesagt habe. Auch wenn es bloß für so ein Onlinedings ist.“

      Kreisendes Blaulicht. Keine Sirene. Menschen, die, von zwei Scheinwerfern beleuchtet, zwischen Licht und Nacht, Weinstöcken und einem großen Baum planlos herumzueilen scheinen. Natürlich ist Kaiser dabei. Er rudert mit den Armen. Sein Smartphone wird noch hügelabwärts fallen. Unter dem Baum liegt Daniel. Man hat eine karierte Decke über ihn gebreitet. Das festlich erleuchtete Schloss hebt sich vom Nachthimmel ab. Das alles kann nicht real sein. Mehr Menschen kommen in unsere Richtung, vom Schloss her, eine Karawane. Vater Balaj brüllt auf einen Polizeibeamten ein. Ich verstehe trotzdem nichts. Ich weiß nur: Sein Sohn ist tot. Erschossen. Unter dem großen Baum, der zwischen den Rebzeilen steht.

      Nach meinem Gespräch mit Evelin Sagerer war ich unschlüssig, was ich tun soll. Zu meinem Tisch wollte ich nicht mehr zurück. Aber wie geplant fahren, obwohl Daniel verschwunden ist? Immerhin bin ich Journalistin. Und worüber ich schreibe, kann ich später entscheiden. Aber mich in Familienangelegenheiten einmischen? Hab ich das nicht längst getan, indem ich über diese Hochzeit berichte? War sie je eine Familienangelegenheit? Die ultimative Show, das schon eher. Ich bin am Vorplatz zum Schloss gestanden, als ich das Blaulicht gesehen habe. Und ich bin hin. Vesna hätte mir sonst gekündigt. Als Putzfrau und als Freundin. Kaiser war bereits da. Daniels Vater auch. Dazu ein paar vom Team.

      Die bis ins kleinste geplante Traumhochzeit ist wohl geplatzt. Es hat jemanden gegeben, der sich nicht ans Drehbuch gehalten hat. Wir stehen im Vorzeigeweingarten, tief unter uns fließt die Donau, es glänzen die Lichter der Wachauer Dörfer, das Schloss strahlt vor sich hin und einer der Hauptdarsteller ist tot. Die Gruppe, die vom Schloss her kommt, bewegt sich schnell. Drängelei, Gerenne. Wer ist zuerst am Schauplatz? Wer kriegt die besten Bilder? Wer kann am


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