Vom schönen Schein. Eva Rossmann

Vom schönen Schein - Eva Rossmann


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Baum. Knallende Türen, Befehle, die sich mit dieser Kulisse zu etwas noch immer völlig Unwirklichem mischen. „Alle zurück, treten Sie zurück! Gehen Sie zurück, da gibt es nichts zu sehen!“ Energische Stimme durch ein Megafon.

      „Wenn Sie den Tatort nicht verlassen, machen Sie sich strafbar!“

      Ich sehe, wie sich eine Gestalt aus der langsamer gewordenen Gruppe löst. Ophelia, Desdemona, griechische Tragödiengestalt im wehenden weißen Kleid, bloßfüßig. – Hat Kaiser das inszeniert? Absurd, wie kannst du so etwas denken. Ihre Mutter läuft hinter ihr drein, auch sie hat die hohen Schuhe ausgezogen. Knapp vor dem Baum bleibt Daniela stehen. Sie starrt auf die Gestalt unter der Decke. Ihre Mutter legt ihr den Arm um die Schulter. Sie stehen und schauen.

      Es ist gerade erst Mitternacht. Wir sitzen im Salon, in dem auch das Presse-Briefing vor der Hochzeit war. Ich bin mir sicher, nicht nur ich habe das Gefühl, dass Tage dazwischenliegen. Tage ohne Schlaf. Mir ist kalt. Das Licht im Raum ist unbarmherzig hell. Die Stuckverzierungen der Rokoko-Decke haben Sprünge, unsere Gesichter sind grau.

      Neben dem Polizeidirektor steht Kaiser. Er hat tiefe Ringe unter den Augen. „Es wird volle Transparenz geben. Die Familie arbeitet eng mit den Behörden zusammen, damit dieses … einzigartige Verbrechen rasch aufgeklärt wird. Sie können auch in der Medienberichterstattung auf meine totale Kooperation zählen. Je schneller wir …“

      Ein Kameraverbot haben sie trotzdem verhängt. Für den Moment. Meine Kollegen wirken erschöpft. Und auf eine seltsame Art überrascht, oder eher gekränkt, enttäuscht. So, als hätte man ihnen die Geburtstagstorte im letzten Moment weggenommen und ins Gesicht geworfen. Ich habe meinen ersten Bericht bereits durchgegeben, Sam einfach am Telefon erzählt, was ich weiß. Sie schreibt es zusammen und stellt es ins Netz. Während der Vorspeise erhält Daniel Balaj einen Anruf. Er flüstert Daniela zu, dass er gleich wiederkommt. Sie meint, er habe nicht besonders aufgeregt gewirkt. Er kommt nicht wieder. Sein Vater macht sich auf, ihn zu suchen. Gefunden wird er schließlich von einem slowakischen Arbeiter, der sich im Weingarten mit einer Freundin treffen wollte. Er sieht, dass Daniel Balaj tot ist. Ruft die Polizei. Die Tatwaffe hat man neben dem Toten gefunden. Es handelt sich um eine Smith & Wesson .44 Magnum. Der Schuss wurde aus ganz geringer Nähe auf seinen Kopf abgegeben.

      Nun ist der Polizeidirektor dabei, uns das Prozedere zu erklären. Wann wer was darf, wann was passieren wird, und, vor allem, dass wir besser heimfahren sollten. Nachdem wir befragt worden sind. Wie alle anderen Hochzeitsgäste auch.

      „Im Moment geht es auch darum, Personen und … Dinge auszuschließen“, erklärt er.

      „Selbstmord?“, ruft eine Kollegin nach vorne.

      „Selbstmord ist absurd“, antwortet Kaiser anstelle des Polizeichefs. „Er stand auf dem Gipfel des Erfolgs. Er hat gerade geheiratet. Besser konnte es gar nicht laufen für ihn.“

      „Wir können nichts ausschließen im Moment“, widerspricht der Polizeidirektor.

      „Ich versichere Ihnen, es wird nichts vertuscht. Es wird volle Transparenz …“

      Der Polizeidirektor sieht Kaiser stirnrunzelnd an. „Sie werden mir nicht unterstellen …“

      „Nein. Natürlich nicht. Wir sind alle … in einer Ausnahmesituation. Ich bin überzeugt, dass die Polizeibehörden optimal mit uns kooperieren werden.“

      „Sie mit uns“, präzisiert der Polizeichef.

      „Wechselseitig. Ich möchte nur noch einmal allen anwesenden Medienvertretern versichern, dass ich Sie bei allem unterstütze, das der Aufklärung dieses … wie gesagt einmaligen Verbrechens dient. Das ist nicht nur ein feiger Mord, es ist ein Anschlag auf Österreich!“

      Interessanterweise verwendet unser Kanzler einige Stunden später bei einer mehr oder weniger spontanen Trauerkundgebung genau diese Worte: „Es ist ein feiger Mord, es ist ein Anschlag auf ganz Österreich!“ Vor einem großen schmiedeeisernen Tor an der Donauuferstraße haben inzwischen hunderte Menschen Blumen, manche auch Tennisschläger niedergelegt. Allerdings sind die ersten Trauernden einem Irrtum aufgesessen. Das Tor gehört nicht zum Weingut, in dem Daniel ums Leben gekommen ist. Aber jetzt ist an der Trauerstätte nichts mehr zu ändern. Und schließlich sei es ja auch egal, wo getrauert werde, hat Kaiser wissen lassen. Ihm habe ich einige interessante Hinweise zu verdanken. Offenbar ist er wirklich bemüht, dass der Fall so schnell wie möglich aufgeklärt wird. Vielleicht traut er es uns Medienleuten eher zu als den Polizeibehörden. Sein Kalkül ist wohl einfach: Je schneller alles geklärt ist, desto schneller ist alles vergessen. Und desto schneller kann er sich wieder um positive Aufmerksamkeit für den österreichischen Sport und vieles, was damit zusammenhängt, kümmern.

      Die Herkunft der Waffe kennt man inzwischen. Sie ist auf den Besitzer des Weinguts zugelassen. Sie ist registriert, er verwendet sie zur Nachsuche. Das sei üblich, wenn man Wildschweine jage. Um ihm und auch uns „unnötige Anstrengungen zu ersparen“, hat Kaiser zu einem Pressegespräch vor das Winzerhaus geladen. Titel der Ankündigung via WhatsApp: „Mord bei Traumhochzeit“. Zwanzig, dreißig Kamerateams sind es sicher, die sich auf dem eigens errichteten Podest positioniert haben. So, dass im Hintergrund die steilen Weinhänge zu sehen sind. Geschickte Kameraleute können bis zur Donau hinunterblenden. Letztlich hätte jeder die Waffe nehmen können, erklärt der Hausherr. Er werde die Konsequenzen für seine Verantwortungslosigkeit tragen, aber es sei einfach ein „ziemliches Durcheinander“ gewesen. Man habe „dem Team“ das gesamte Haus zur Verfügung gestellt. Was er denn mit „dem Team“ meine, fragt einer meiner Kollegen. „Den Hochzeitern … und ihrer Begleitung …“

      „Dass ein Außenstehender die Waffe genommen hat, ist damit auszuschließen“, stellt ein Fernsehreporter fest.

      „Ist es leider nicht. Sie war in einem Schrank, wie es sich gehört, versperrt. Aber dann … Man hat Fotos gemacht, und ich habe mich daran erinnert, dass im Schrank eine alte Schießscheibe mit einem Herz ist, die habe ich für ein Foto herausgeholt. Der Schrank … er ist wohl offen geblieben und keiner kann sagen, wer ein und aus gegangen ist. Der Schrank steht im Nebenhaus, da war keine Security …“

      „Wir hatten keine Security“, fährt Kaiser dazwischen.

      „Nein … ich meine …“

      „Da geht es jetzt nicht ums Image“, rufe ich nach vorne.

      „Jeder hätte die Waffe nehmen können“, sagt der CSO mit festem Blick in meine Richtung.

      „Er hat sie sogar selbst …“, fährt der Winzer fort, verstummt und sieht Kaiser an.

      „Reden Sie weiter, es gibt nichts zu verbergen.“

      „Er … Daniel hat sie gesehen und hat gesagt, mit so einem Revolver hat er in Australien geschossen. Ich hab ihm die Munition gezeigt, es ist eine besondere. Viele konnten das sehen. Und ich fürchte … die Munition ist beim Gewehrschrank geblieben.“

      Warum hat mir Kaiser die Nummer von Danielas Mutter gegeben? Ich habe ihn bloß gefragt, wo die Familie jetzt ist. Und ihm erzählt, dass ich kurz vor dem Mord mit ihr geredet hätte. Eine Verdächtige weniger. Aber sie könnte dabei gewesen sein, als sie über den Revolver geredet haben. Sie könnte sich erinnern, wer sonst noch in der Nähe war.

      Ich gehe den Schotterweg entlang, bleibe dort stehen, wo ich gestern Daniela begegnet bin. Gestern? Das kann nicht sein. Ich wähle die Nummer und erschrecke, als Evelin Sagerer nach dem ersten Läuten drangeht. Ich war mir beinahe sicher, dass sie nicht reagiert. Oder dass es sich überhaupt um eine falsche Nummer handelt.

      „Man tut eben alles, damit der schreckliche Mord so schnell wie möglich geklärt wird“, sagt sie. „Daniela ist nicht in der Verfassung … noch nicht, sagt Kaiser. Morgen, übermorgen kann es sein, dass sie sich an die Öffentlichkeit wenden wird.“

      „Der führt sie wirklich den Medien vor?“

      „Sind Sie nicht auch von …“

      „Ich bin anders.“ Ich komme mir lächerlich vor. Wie viele haben das schon gesagt.

      „Auch


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