Mission SOL 2020 Paket (1 bis 12). Madeleine Puljic
wenn er sich den Tests verweigerte, würde er sie diesem Schicksal nur umso schneller ausliefern.
So weit durfte er es nicht kommen lassen. Er musste einen Weg finden, um sich aus dieser Zwickmühle zu befreien.
Und seine beste Option dafür war Semmaru.
Rhodan graute vor dem, worum er nun bitten musste, doch er setzte ein freundliches Lächeln auf. »Dann würde ich gern etwas essen, um mich auf die nächsten Tests vorzubereiten.«
Die Facettenaugen des Diplomaten zitterten erfreut. »Ausgezeichnet! Ich begleite dich.« Mit einem leisen Sirren drängte er an Rhodan vorbei, so nah, dass der Terraner die Kühle der Chitinschuppen am Handrücken spürte.
Genau darauf hatte Rhodan gewartet. Er reagierte blitzschnell.
Semmarus Sensorik war nicht sonderlich ausgeprägt, das hatte Rhodan bereits bei ihrem ersten gemeinsamen Essen registriert. Andernfalls hätte Semmaru die Fliege, die ihm in den Kragen gekrabbelt war, bestimmt gestört. Also handelte Rhodan. Ein kurzer Griff, und das Permit des Diplomaten lag in seiner Hand. Hastig schob er es in seinen Ärmel.
Das Insektenwesen hatte von all dem offensichtlich nichts mitbekommen. Es stakste mit erwartungsvoll zuckenden Klauen in Richtung Kantine davon.
Die Aussicht, ein weiteres Mal dem Geruch von fauligem Fleisch ausgesetzt zu sein, war nicht gerade appetitanregend, aber nach Essen stand Rhodan ohnehin nicht der Sinn. Ihm ging es nur darum, den Diplomaten abzulenken.
Der eilte schnurstracks auf den Versorgungsapparat zu. Halb erwartete Rhodan, dass spätestens nun ein Alarm losgellte, weil der Versorgungsapparat kein Identitätssignet fand, das er scannen konnte. Dann hätte Rhodan immer noch behaupten können, Semmaru hätte das Gerät bloß verloren. Doch die Maschine spuckte bereitwillig ein stinkendes Etwas aus, das roch wie ein ausgewachsener Komposthaufen.
Rhodan seufzte stumm. Er hatte schon schlimmere Opfer für die Menschheit gebracht. Aber selten hatten sie so übel gerochen.
Während er auf seine eigene Mahlzeit wartete, löste er sein eigenes Permit unauffällig vom Kragen.
Dann nahm er sein Tablett und setzte sich dem Ritter gegenüber. Rhodan warf einen bedauernden Blick auf das saftige Steak, das auf seinem Teller lag. Es war verdammt schade drum. Aber genauso gut hätte da eine gepfefferte Schuhsohle liegen können. Er säbelte lustlos einen Bissen nach dem anderen ab und kaute mechanisch darauf herum, wobei er versuchte, das Schmatzen zu ignorieren, mit dem Semmaru in seiner Schüssel wühlte.
Die ganze Zeit wartete Rhodan darauf, dass endlich das letzte Faulfleischstück im Maul seines Gegenübers verschwand. Als Semmaru genüsslich schmatzend die Schüssel von sich schob, ließ auch Rhodan das Besteck sinken.
Jetzt!
In einer viel zu intimen Geste legte er dem Ritter die Hände auf beide Schultern, danach die Rechte an die Brust. »Ich möchte dir für deine Hilfe danken. Dafür, dass du an mich glaubst.«
Der Insektoide wirkte keinen Augenblick lang irritiert. Ganz seiner Diplomatenrolle entsprechend, akzeptierte er Rhodans Geste als fremdartigen Brauch und störte sich nicht daran. Er sirrte nur leise.
Rhodan erhob sich, als wäre nichts Ungewöhnliches an seinem Tun gewesen. Als hätte er dem Diplomaten nicht gerade ein überzähliges Permit an den Kragen gesteckt. »Entschuldige mich bitte. Ich möchte die Zeit bis zur nächsten Prüfung nutzen, um mich eingehender mit BARILS Botschaft auseinanderzusetzen.«
»Ja, tu das.« Semmaru sah aus ausdruckslosen Facettenaugen zu ihm hoch. Vermutlich fragte er sich gerade, welche Antworten Rhodan noch in diesen hanebüchenen Aufzeichnungen finden wollte.
Oder er verdaute einfach nur seine Proteinmahlzeit.
Rhodan kippte die Reste seines Steaks in den Verwerter und machte sich auf den Weg in sein Quartier.
Mit jedem Schritt, den er zwischen sich und die Kantine brachte, wuchs seine Anspannung. Was, wenn Semmaru bereits an der ersten Tür bemerkte, dass mit seinem Permit etwas nicht stimmte – und wenn er daraus die richtigen Schlüsse zog? Wenn er wutentbrannt hinter Rhodan herstürmte, mit Wachrobotern im Schlepptau?
Aber alles blieb still. Auch in seinem Quartier wartete niemand auf Rhodan. Er war allein.
Langsam atmete er aus. Er zog das Permit des Diplomaten aus dem Ärmel und drehte es eine Weile zwischen den Fingern.
Er war ein gewaltiges Risiko eingegangen. Aber es war notwendig gewesen. Er hatte keineswegs vor, das Schicksal der SOL – oder sein eigenes – davon abhängig zu machen, dass er einen Test bestand, dessen Regeln er nicht verstand. Wenn Semmaru die Wahrheit gesagt hatte und sich Rhodan in der Zitadelle relativ frei bewegen konnte, würde der Permittausch nicht sofort auffallen.
Sobald er bemerkt wurde, würde es allerdings ein Leichtes sein, Rhodan die Tat mit Kameraaufzeichnungen nachzuweisen. Aber er hatte nicht vor, dann noch im Adyton zu sein. Eroin Blitzer und die Kosmokraten wollten, dass er BARILS Orden ausspionierte. Das würde er mit Semmarus Zugangsberechtigungen schneller schaffen als allein. Und dann gab es nichts mehr, was ihn in Yahouna hielt.
Er kannte den Weg zum Raumhafen, und nun hatte er auch, was er benötigte, um ihn zu erreichen.
BARILS Ritter und deren Urteil konnten ihm gestohlen bleiben. Entschlossen befestigte Rhodan das neue Permit an seinem Kragen. Er würde warten, bis es Nacht war. Dann würde er verschwinden. Und bis dahin würde er tun, was er angekündigt hatte.
Mit einer knappen Handbewegung aktivierte Perry Rhodan ein weiteres Mal BARILS Botschaft.
10.
BARILS Botschaft
1 Und als BARIL über die Trümmer schwebte, schwor sie, eine solche Apokalypse nie wieder zuzulassen.
2 Yahounas Verheerung war vollkommen, die Bastionen geschleift, die Schiffe in Feuer. Und niemand war mehr da zwischen den Sternen, zu trauern ob all derer, die da hätten sein sollen. Niemand außer BARIL.
3 Der Weg zurück ins Licht war lang und beschwerlich. Die Völker Yahounas hoben ihre Häupter aus dem Staub und bauten wieder auf, was unwiederbringlich vergangen schien. Und BARIL stand bei ihnen, unbemerkt, das Wispern in tiefer Nacht, dem der neue Morgen eines tatenvollen Tages folgt.
4 Das Leben kehrte zwischen die Sterne zurück, doch mit ihm die Zwietracht. Der nächste Kampf schien unausweichlich, und BARIL klagte bitterlich.
5 Doch wollte sie die jungen Völker leiten wie die Ordnung? Jene Ordnung, die Yahouna zerstört hatte?
6 Wollte sie die Auslese der Stärksten fördern, wie das Chaos es tat? Das Chaos, das Yahouna in den Krieg gezwungen hatte?
7 BARIL sah beide Wege, und beide führten zu demselben Ende, das schon der Anfang gewesen war. Sie wählte den dritten Weg.
8 Kämpfe beginnen nur die Starken und die Dummen. BARIL konnte den Völkern Yahounas ihre Stärke nicht nehmen, doch sie konnte die Schwachen stärken.
9 BARIL schuf Gleichgewicht in allen Konflikten, sodass es keinen gab, der siegessicher in den Streit ziehen konnte. Die Starken wahrten den Frieden.
10 Nur gegen die Dummen blieb auch BARIL machtlos.
11 Das Leben blühte entfesselt, sodass BARIL nicht mehr allerorts die Balance zu wahren vermochte. Die Völker selbst mussten den Wert des Gleichgewichts verstehen, wenn Yahouna im Friedensschlaf weiterdämmern sollte.
12 Und so wählte BARIL sieben starke Streiter für das Gleichgewicht, um dieses Wissen zwischen die Sterne zu tragen. Die sieben selbst hielten sich in steter Waage: Der Krieger, der Siege erfocht, und der Diplomat, der friedlich einte; der Forscher, der die Wahrheit erkundete, und der Philosoph, der sie erschloss; der Züchter, der die Völker streng führte, und der Beobachter, der ihnen ihre eigenen Wege eröffnete.
13 Sie alle rieten der Stimme BARILS, und die Stimme BARILS offenbarte ihnen der Weisheit Schluss und Pfad.
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