Liebe ohne Kaution. B.G. Thomas

Liebe ohne Kaution - B.G. Thomas


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das Wasser kocht«, sagte sein Gastgeber. »Ich würde sagen, noch höchstens zwanzig Minuten.«

      »D-du musst das nicht machen«, sagte Artie. Es war ihm unmöglich, nicht unangenehm berührt zu sein.

      »Das ist kein Problem. Außerdem wirst du dich danach viel zu schuldig fühlen, mich auf der Kaution sitzen zu lassen.« Er grinste.

      Die Kaution!

      Oh nein. Jetzt fiel ihm wirklich alles wieder ein. Das ganze Ausmaß dessen, was passiert war. Willie. Ein Haufen Gras. Laute Musik. Ein Brownie – der Grund dafür, warum alles so verschwommen war. Eine Polizistin, die ihn aus dem Bett schmiss. Er war unterhalb der Hüfte nackt gewesen.

      Artie schauderte bei der Erinnerung an diese Blamage. Keine Frau hatte ihn je nackt gesehen, außer seiner Mutter in der Badewanne, als er ein kleines Kind gewesen war.

      Dann Knast! Er hatte die Nacht im Knast verbringen müssen. Wenn es irgendetwas gab, das Artie sich nicht hatte vorstellen können, dass er jemals erleben würde, dann war es, in den Knast zu wandern. Er hatte sich jedenfalls nicht ausgemalt, dass ein großer, übergewichtiger, gruselig aussehender Mexikaner sich vor seinen Augen betatschen und Worte flüstern würde, bei denen Artie sich sicher war, dass sie etwas damit zu tun hatten, ihn vornüber zu beugen und zu vögeln, bis seine Augen hervortraten.

      Himmel, Himmel, Himmel!

      Er seufzte.

      Demaine. Der große Muskelberg, der ihm geholfen hatte, einen Weg aus dem Gefängnis zu finden.

      Aber zum Preis von 2.500 Dollar, die er diesem James Bond in Jeans zahlen musste, der keine drei Meter entfernt stand.

      »Bist du okay?«

      Eine Welle der Niedergeschlagenheit baute sich drohend am Horizont auf und Artie sackte in sich zusammen, den Blick auf den Perserteppich auf dem Boden vor ihm gerichtet. All dieses Geld. Jetzt war er vorbestraft. Wie sollte er das seiner Mutter erzählen? Wie sollte er das seiner Schwester erzählen? Sie war seine Nummer eins, aber sogar sie würde enttäuscht von ihm sein.

      »Artie?«

      Da waren wieder Augusts Zehen. Er war auf Artie zugekommen, während er sich in Selbstmitleid gesuhlt hatte, und jetzt stand er direkt vor ihm. Artie blickte auf, an einem sexy Knie und – schau ihm nicht in den Schritt! – dieser muskulösen Brust vorbei und in Augusts attraktives Gesicht.

      »Geht es dir gut, Mann?«

      Artie seufzte. »Mein Leben ist ruiniert.«

      »Ach, Mann, das kannst du nicht wissen.« Er setzte sich neben Artie. »Überhaupt nicht.«

      »Doch, weiß ich.« Die Welle kam näher und türmte sich über ihm auf, dunkel und schrecklich. »Was soll ich machen, wenn ich ins Gefängnis muss?« Der Raum schien still zu werden – als würde die Welt den Atem anhalten, darauf wartend, dass die Flutwelle über sie hereinbrach. »Ich habe eine Vorstrafe, die mich für den Rest meines Lebens verfolgen wird.«

      »Artie, du weißt nicht, was der nächste Tag bringt.«

      »Weiß ich nicht?« Mindestens ein Dutzend Erinnerungen schlugen über ihm zusammen, eine nach dem anderen, und jede machte seinen Magen etwas schwerer. »Dieses Mädchen, das ich in der Highschool kannte. Klassenbeste. Beliebt und alles. Sie hat dieses Auto von einem Typen auf Craigslist gekauft. Sie ist kontrolliert worden, weil ein Rücklicht durchgebrannt ist. Aus irgendeinem Grund hat der Cop ihr Auto durchsucht. Vielleicht waren ihre Ohrringe schuld. Ich weiß es nicht. Sie haben eine Graspflanze in ihrem Aschenbecher gefunden und haben sie festgenommen. Es gab ein verdammt hohes Bußgeld und ich habe vergessen, wie viele Sozialstunden. Hundert Stunden, so weit ich weiß. Ich glaube, es waren viel mehr, aber so wie es meinem Kopf gerade geht?« Artie schüttelte den Kopf. »Ich kann mir wegen nichts mehr sicher sein. Aber das weiß ich. Sherri hat nie auch nur ein Bier getrunken. Und schau, was ihr passiert ist!«

      August seufzte. Es war ein tiefes Seufzen und machte Arties Magen nur noch schwerer. Dieser Mann musste Einiges gesehen haben. Er wusste, was auf dem Spiel stand.

      »Ich bin ein junger, sogenannter privilegierter weißer Kerl. Richter mögen es, an Typen wie mir ein Exempel zu statuieren. Ich bin erledigt.« Er wandte sich mit großen Augen an August. »Komm schon. Schau mich an! Ich wiege höchstens 65 Kilo. Irgendein Kerl namens Bubba wird mich jede Nacht über seine Pritsche legen. Ich könnte genauso gut jetzt gleich damit anfangen, meine Jeans tief sitzend zu tragen.«

      Er vergrub das Gesicht in den Händen und tat alles, was er konnte, um zu verhindern, dass er in Tränen ausbrach.

      ***

      Bubba? Hatte Artie wirklich Bubba gesagt?

      August musste sich zusammenreißen, damit er nicht lachte. Und sein letzter Kommentar. Der bezog sich bestimmt auf den Glauben, dass die Mode, die Jeans tief sitzen zu lassen, im Gefängnis begonnen hatte und sexuelle Verfügbarkeit signalisierte. Jetzt zu lachen, wäre jedoch alles andere als angebracht, oder?

      »Weißt du«, sagte er stattdessen, »diese ganze Vorstellung stimmt nicht, okay?«

      Artie schaute ihn verblüfft an.

      »Das mit den Hosen? Dass es bedeutet, dass ein Kerl nach einem Beschützer oder etwas in der Art sucht, damit er sich keine Sorgen darüber machen muss, dass man ihn… na, du weißt schon.«

      Artie blinzelte ihn lediglich an.

      »Zwar hat man hängende Hosen zuerst im Gefängnis gesehen, aber es bedeutet nichts. Es hat nichts mit Sex zu tun. Es liegt daran, dass manche Gefangene Klamotten bekommen, die ihnen nicht passen. Und weil man im Gefängnis keine Gürtel tragen darf – diese ganze Sache mit dem Suizid, weißt du –, rutschen ihnen die Hosen über die Ärsche. Dann sind sie irgendwann in der Hip-Hop-Szene aufgetaucht und –«

      »Wovon redest du?« Artie blinzelte erneut, dann verengte er die Augen und schaute August durch feuchte Wimpern an.

      August öffnete den Mund, um ihm mehr zu erzählen, als es ihm einleuchtete. Artie konnte das natürlich gar nicht aufnehmen. Er befand sich mitten in der vermutlich ersten Katastrophe seines jungen Lebens. Und obwohl das vollkommen unangebracht war, brachte ihn dieser Gedanke beinahe zum Lachen. Als ob er so viel älter wäre als Artie. Er ist 24. Ich bin 31. Ein paar Jahre weniger und wir hätten zusammen zur Schule gehen können.

      Aber ein Gedanke, der ihm zuvor gekommen war, entsprach der Wahrheit. Ende zwanzig tat sich in der Entwicklung eine Menge. Und verhaftet zu werden und möglicherweise für eine Zeit ins Gefängnis zu müssen, würde diesen jungen Mann ein gutes Stück erwachsen werden lassen.

      Eine Gefängnisstrafe.

      Es war denkbar.

      Ein hübscher junger Kerl wie Artie könnte an einem Ort wie diesem zerfetzt werden und wer wusste, wie er nach dieser Erfahrung sein würde?

      Als hätte Artie seine Gedanken gelesen, sagte er: »Meinst du, das macht einen Unterschied? Einheitliche Sträflingskleidung? Wie lange bis nach meiner Ankunft dauert es, bis ich gar nichts mehr anhabe und sie mich herumreichen wie Penner eine Flasche Fusel?«

      August versteifte sich, seine Muskeln verspannten sich und er biss die Zähne zusammen. Der Gedanke war furchtbar. Diese Augen, so voller Angst und Verwirrung. Wie würden sie nach ein paar Jahren im Knast aussehen?

      August erschauerte.

      Dieser süßer Junge – denn vierundzwanzig hin oder her, das war Artie nun mal – würde zerstört sein. Das System besserte sich nicht. Er hatte irgendwo gelesen, dass zwischen 45 und 77 Prozent der Häftlinge wieder im Gefängnis landeten.

      Artie mit all seinem Potenzial wäre zerstört. Alles, was er der Welt bieten konnte, wäre verloren. Und während August neben Artie auf seiner Ledercouch in seinem schicken Loft saß, erkannte er, dass er aus irgendeinem Grund wissen wollte, wie dieses Potenzial aussah. Wer Artie war.

      Jetzt geht das schon wieder los, sagte der Lincoln, der in seinem Kopf lebte und vermutlich immer dort leben würde,


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