Ilias. Auguste Lechner
uns zu sagen hat!«
»König Menelaos«, begann Hektor, »mein Bruder Paris bietet dir einen Zweikampf an. Bist du einverstanden, so soll Helena dem Sieger gehören; unsere beiden Völker aber sollen danach Frieden halten, wie der Kampf auch ausgehen mag. Wir werden wieder unsere Scholle bebauen und ihr kehrt heim nach Achia.«
»Ich nehme den Kampf an!«, rief Menelaos ohne Zaudern. »Aber ich verlange, dass König Priamos selbst den Vertrag mit uns beschwört!
Währenddessen sollen die Waffen auf beiden Seiten ruhen! Lasst auch Opfertiere herbeischaffen, ein schwarzes und ein weißes Lamm, damit die Götter unseren Schwur gnädig aufnehmen.«
Zwei Herolde liefen sogleich hinauf zur Stadt, um die Botschaft zu überbringen.
Aber ehe noch Priamos von dem Zweikampf erfuhr, hatte das Gerücht schon Helena erreicht, die im Palast des Paris in ihrer Kammer am Webstuhl saß.
Sie erschrak so sehr, dass ihre zitternden Hände das Gewebe verdarben, in dessen Saum sie allerlei Bilder kunstvoll eingewirkt hatte.
Oh Götter, nun würden sie also um sie kämpfen, die beiden Männer, die einander um ihretwillen so sehr hassten, dass sie darum zehn Jahre Krieg führten!
Sie konnte es plötzlich nicht mehr ertragen, untätig und allein da in der Kammer zu sitzen. Angst und Neugier trieben sie ins Freie.
Hastig hüllte sie sich in ihren Schleier aus feinem silber-schimmerndem Linnen und lief so schnell hinaus, dass ihr die Mägde kaum zu folgen vermochten.
Die Tränen flossen ihr über die Wangen und eine große Ratlosigkeit hatte sie überkommen. Sie wusste nicht einmal, wem sie den Sieg wünschen sollte, Paris oder Menelaos. Aber – neben ihrer Angst war da noch etwas anderes: heimlicher Stolz und Befriedigung, dass dies alles um ihretwillen geschah. Sie musste mit jemandem reden! Aber zu wem sollte sie gehen in dieser schrecklichen Verwirrung? Ihre Schwägerinnen liebten sie nicht und würden ihr nur wieder böse Worte geben. Hektor war zwar gut und begegnete ihr nie unfreundlich; aber er befand sich draußen auf dem Schlachtfeld.
Ich muss zum König!, dachte sie, während sie die schmale Gasse an der Stadtmauer entlanghastete. König Priamos ist der Einzige, der Mitlied mit mir haben wird. Aber helfen – nein, helfen kann mir niemand. Ich Unglückselige, warum habe ich nur jemals Lakedaimon verlassen, um Paris zu folgen?
Sie wusste, der König befand sich mit den Ältesten zu dieser Zeit auf dem skäischen Tor, um die Schlacht zu beobachten: denn er selbst konnte nicht mehr kämpfen.
Die Greise sahen ihr entgegen, als sie die Stufen heraufstieg und über die Mauer auf den Turm zuschritt. Und sie schien selbst den alten Männern so unsäglich schön, dass sie leise zueinander sagten, wahrhaftig, man könne es weder den Troern noch den Achaiern verargen, dass sie um diese Frau so erbittert kämpften.
Helena blieb zögernd stehen; sie hatte Angst, die Männer könnten sie mit harten Worten fortweisen, weil um ihretwillen so viel Unheil über Troja gekommen war.
Aber der König winkte ihr freundlich zu. »Komm doch näher und setze dich zu mir, mein Töchterchen! Du sollst mir erzählen, wer die achaischen Fürsten sind, die so herrlich gerüstet aus dem Heere hervorragen! Manche von ihnen kenne ich nicht!«
»Du bist sehr gut zu mir!«, sagte Helena aufatmend und begann zu erzählen. Während sie noch redete, kam einer der Herolde, die unterdessen die Opfertiere geholt und sie gebunden auf den Wagen des Königs gelegt hatten.
»König Priamos, die Fürsten der Troer und der Achaier bitten dich, sogleich hinauszukommen vor die Stadt«, sagte der Herold voll Freude. »Sie haben beschlossen, den Krieg durch einen Zweikampf zwischen Paris und Menelaos zu beenden. Du aber mögest selbst den Vertrag beschwören!«
Nur einen Augenblick zögerte Priamos; er kannte den Ruf des Spartanerkönigs. Menelaos war ein tapferer Kämpfer, wenngleich nicht so stark wie Achilleus oder Diomedes. Er kannte auch seinen Sohn Paris, der nur aussah wie ein Held.
Aber der König war gerecht und auch dieser Zweikampf war gerecht. »So mag es sein!«, sagte er ernst, erhob sich und stieg hinab zum Tor, wo der zweite Herold mit dem Wagen wartete.
Antenor, sein alter Ratgeber, folgte ihm.
Priamos ergriff selbst die Zügel und gleich darauf stürmten die Rosse den Hang vor der Stadt hinab, dorthin, wo die beiden Heere einander gegenüberstanden.
Ehrfürchtiges Schweigen empfing den alten König, der jetzt den Wagen langsam in den freien Raum zwischen den feindlichen Scharen lenkte. Priamos stieg ab.
Schnell trat Agamemnon auf ihn zu und grüßte: »König Priamos, du weißt, was wir beschlossen haben. Bist du bereit, unseren Vertrag zu beschwören?«
»Ich bin bereit!«, antwortete Priamos. Sein Gesicht und seine Stimme waren ganz ruhig.
»So wollen wir den Göttern opfern und unseren Eid schwören!«, sagte Agamemnon und winkte die Herolde mit den Opfertieren herbei. Er zog den Dolch, der an der Scheide seines Schwertes hing, und schnitt den Lämmern die Kehle durch. Darauf goss er Wein aus einem goldenen Becher, den man ihm reichte, zur Erde und rief die Unsterblichen an. »Vater Zeus, Beherrscher der Götter und Menschen, und du, Helios, der du von deinem Sonnenwagen alles siehst, auch du, Erde, und ihr, die ihr unter der Erde wohnt und den Meineid der Sterblichen bestraft – hört unseren Schwur! Wenn dieser Zweikampf vorüber ist, soll Friede zwischen unseren Völkern sein! Wer den Frieden bricht, den soll der Fluch der Götter treffen: Der Krieg aber wird dann weitergehen bis zur Vernichtung.«
Lautlose Stille herrschte auf dem weiten Felde, während Agamemnon den furchtbaren Eid sprach.
Als darauf auch Priamos geschworen hatte, ging er langsam auf seinen Wagen zu, stieg auf und nahm Antenor die Zügel ab.
Noch einmal wandte er sich zu den Kriegern.
»Ich kehre zurück in die Stadt, denn ich mag dem Kampf meines Sohnes nicht zusehen. Die Götter wissen, wem sie Sieg oder Tod zuteilen!«
Hektor blickte dem Wagen nach, der langsam den Hügel hinauffuhr gegen das skäische Tor. Er allein hatte gemerkt, wie müde und kummervoll sein Vater aussah.
Odysseus trat auf ihn zu.
»Lass uns den Kampfplatz ausmessen, edler Hektor!«, sagte er und sie schritten die Länge und die Breite gemeinsam ab.
Dann nahm Hektor den Helm ab und sie taten zwei verschiedene Zeichen hinein: eines für Paris und eines für Menelaos, um auszulosen, wer zuerst die Lanze schleudern sollte.
Abgewandten Gesichtes schüttelte Hektor den Helm: Das Los seines Bruders fiel heraus.
Paris stieß einen leisen Freudenruf aus und Hektor warf ihm einen verächtlichen Blick zu.
Die Krieger auf beiden Seiten traten zurück. Menelaos und Paris standen einander gegenüber, die Lanze in der Rechten; sie dachten beide an Helena, hassten einander und jeder wünschte dem anderen den Tod.
Mit einem Ruck riss Paris den Arm in die Höhe, beugte sich weit zurück und schleuderte. Die Lanze traf den ehernen Schild des Königs mitten in der Wölbung, aber sie vermochte ihn nicht zu durchdringen; mit umgebogener Spitze fiel sie kraftlos zu Boden.
Jetzt schleuderte Menelaos. Paris trug einen glänzenden Schild mit zierlichen silbernen Buckeln. Der aber vermochte der schweren Lanze und der zornigen Kraft, die sie schleuderte, nicht zu widerstehen: Die lange Spitze fuhr hindurch, zerschnitt an der Hüfte den kunstreich geschmiedeten Harnisch, zerriss auch den Leibrock und nur die Behändigkeit, mit der sich Paris zur Seite geworfen hatte, rettete ihm das Leben.
Als Menelaos begriff, dass er seinen Feind nicht einmal verwundet hatte, riss er das Schwert heraus, sprang mit einem wütenden Satz vor und hieb Paris die eherne Klinge mit aller Macht auf den Helm. Er schrie vor Zorn auf: Das Schwert war in drei Stücke zersprungen und der Helm mit dem Rossschweif unversehrt!
Abermals warf er sich nach vorne, und weil er keine Waffe mehr hatte, packte er den Rossschweif, den der Wind just auf ihn zuwehte, mit beiden Händen und