Sophienlust Staffel 14 – Familienroman. Elisabeth Swoboda
abfingen, wurden Anselm und Irene ziemlich nass, was aber beide nicht sonderlich störte. Irene war der Regen sowieso gleichgültig gewesen, und Anselm spürte nichts anderes als die Erleichterung, nicht mehr allein im dunklen Wald herumirren zu müssen. Er fragte Irene, ob sie Tante Andrea kenne, und Irene erwiderte ja, sie sei ihr schon einmal begegnet, als sie Billie besucht habe.
Diese Erklärung brachte die Rede naturgemäß auf Billie, und Irene erzählte Anselm von ihrem Hund.
»Ich habe mir auch einmal einen Hund gewünscht«, sagte Anselm, »aber Großmutti war dagegen. Sie sagte, dass sie mit mir genug Arbeit habe. Ein Hund würde ihr gerade noch fehlen.«
»Vielleicht gelingt es dir eines Tages, deine Großmutti umzustimmen«, meinte Irene.
»Nein«, sagte Anselm traurig, »meine Großmutti ist tot.« Danach erzählte er Irene, wie er nach Sophienlust gekommen war. Kaum war er damit fertig geworden, hörten sie laute Rufe, die durch den Wald hallten.
»Anselm! Anselm!«
Irene blieb stehen. »Horch einmal, ich glaube, da hat jemand deinen Namen gerufen.«
»Anselm!«
»Jetzt wieder. Hast du es gehört?«
»Ja. Das ist die Stimme von Schwester Regine! Schwester Regine!«, schrie Anselm.
Nach einigem Hin- und Herrufen trafen sie einander. Auch Nick und Pünktchen, die Anselm hatten schreien hören, kamen herbeigelaufen.
»Gott sei Dank, dass wir dich gefunden haben.« Man merkte Schwester Regine die Erleichterung deutlich an. »Wo hast du denn gesteckt?«
Anselm schilderte ihr recht eindrucksvoll seine Begegnung mit dem braunen Frosch, dann das verdächtige Knacken im Gebüsch und wie er ziellos durch den Wald gelaufen war, bis ihn schließlich Tante Irene gefunden hatte.
Schwester Regine dankte Irene Wieninger und fügte hinzu: »Sie sind genauso durchnässt wie wir alle. Kommen Sie doch mit nach Sophienlust. Sie können sich dort umziehen. Ich leihe Ihnen trockene Sachen.«
Noch bevor Irene auf diesen Vorschlag eingehen konnte, fragte Anselm: »Gehen wir denn jetzt zurück nach Sophienlust?« In seinem Ton lag eine gewisse Enttäuschung.
»Was hast du denn geglaubt?«, entgegnete Nick. »Willst du weiter im Wald herumlaufen und Frösche aufstöbern? Falls es überhaupt einer war. Du bist tropfnass. Genügt dir das nicht?«
Durch diese kurze Strafpredigt entmutigt, ließ Anselm den Kopf hängen. Aber er wagte immerhin noch einen Einwand. »Ich hätte so gern Billie kennengelernt«, sagte er.
»Billie? Was für einen Billie?«
»Tante Irene wollte mit mir zum Tierheim Waldi und Co. gehen und mir ihren Billie zeigen.«
»Billie ist mein Hund«, erklärte Irene. »Er ist bei Herrn Dr. von Lehn in Pflege. Da ich nicht genau weiß, wo Sophienlust liegt, hatte ich vor, Anselm zum Tierheim zu bringen und von dort aus zu telefonieren.«
»Und mir Billie zu zeigen«, schaltete Anselm ein.
»Das verschieben wir am besten auf morgen.« Irene sah Schwester Regine fragend an. »Wäre es möglich, dass ich Anselm morgen abhole und mit ihm zum Tierheim gehe?«
»Ja, natürlich«, erwiderte Schwester Regine. »Möchten Sie vormittags oder nachmittags kommen?«
»Am Nachmittag. Da habe ich länger Zeit«, sagte Irene.
»Also, das wäre abgemacht. Jetzt wollen wir aber aufbrechen. Mir wird schon kalt. Kommen Sie mit?«
»Nein, danke. Mein Auto steht ganz in der Nähe, und die Fahrt nach Maibach dauert nicht lang.«
Irene verabschiedete sich. Anselm bestürmte sie, ihn nicht zu vergessen, sondern morgen unbedingt zu kommen. Irene versicherte ihm, dass sie ihr Versprechen halten würde. Obwohl ihr das Haar schwer ins Gesicht hing, das nasse Kleid an ihrem Körper klebte und das Wasser aus ihren Schuhen rann, fühlte sie sich froh und beschwingt.
*
Der folgende Vormittag verging für Irene viel zu langsam. Sie konnte es kaum erwarten, nach Sophienlust zu fahren und Anselm wiederzusehen. Endlich war es soweit.
Der Junge begrüßte sie voll Freude. Irene lernte Denise von Schoenecker, Frau Rennert und die Kinder kennen. Dann machte sie sich mit Anselm auf den Weg nach Bachenau. Dabei fiel ihr auf, dass der Junge sie von Zeit zu Zeit kritisch betrachtete.
»Warum siehst du mich so an? Ist etwas nicht in Ordnung?«, fragte sie.
»Deine Haare hängen so glatt herunter«, erwiderte er.
»Daran ist der gestrige Regen schuld.«
»Hast du sie nicht neu eingelegt? Meine Mami wickelt ihre Haare jeden Morgen auf Lockenwickler.«
Irene lächelte. »In Zukunft werde ich das auch machen, damit ich dir gefalle.«
Aber Anselm war mit seiner Kritik noch nicht am Ende. »Du hast mitten auf der Nase einen roten Pickel. Und auf der Stirn einen zweiten«, sagte
er.
»Ja, das ist wahr.« Irene fuhr mit dem Zeigefinger über die beanstandeten Stellen. »Ich habe versucht, sie zu überpudern, aber das scheint nichts geholfen zu haben. Man sieht es wohl trotzdem.«
»Puder nützt da nichts«, äußerte Anselm altklug. »Du musst dein Gesicht kosmetisch behandeln lassen.«
Irene glaubte nicht recht zu hören. Sie warf dem kleinen Jungen einen überraschten Blick zu. »Was verstehst denn du davon?«, fragte sie schließlich.
»Meine Mami hat einen Kosmetiksalon in Maibach. Du musst einmal hingehen. Da bekommst du eine weiße Paste auf dein Gesicht gestrichen, die trocknet ein und wird dann wieder abgenommen. Maske nennt man so etwas. Nachher ist die Haut jung und glatt.« Anselm hatte nicht umsonst so häufig seine Mutter und Frau Kaufmann bei der Behandlung schönheitsdurstiger Kundinnen beobachtet. »Geh gleich morgen hin«, schlug er vor.
»Ich habe geglaubt, deine Mutter ist verreist?«
»Ja, schon. Aber Frau Kaufmann ist dort. Die Adresse ist Hauptstraße hundertneun.«
»Du machst ja sehr eifrig Reklame.«
»Reklame? Wieso? Was ist das?« Als Anselm merkte, dass Irene etwas unglücklich dreinsah, fügte er hinzu: »Sei nicht traurig, du gefällst mir auch so. Ich mag dich sehr gern.«
»Ach, du hast schon recht. Ich muss etwas gegen die Pickel unternehmen. Aber wenn ich morgen in den Kosmetiksalon gehe, kann ich dich nicht besuchen.«
»Geh am Vormittag.«
»Da habe ich keine Zeit. Ich muss mich um meinen Haushalt und um den Garten kümmern.«
»Melde dich bei Frau Kaufmann telefonisch an, da brauchst du dann nicht zu warten. So machen es viele.«
»Du scheinst dich gut auszukennen.«
»Früher war ich oft bei Mami und bei Frau Kaufmann im Geschäft.« Anselm seufzte.
Er hat Sehnsucht nach seiner Mutter, dachte Irene. Doch seine folgenden Worte widerlegten diese Annahme.
»Aber viel lieber war ich bei meiner Großmutti.«
Irene war inzwischen aufgefallen, dass Anselm immer nur von seiner Mutter und von seiner Großmutter sprach. Seinen Vater hatte er bisher noch kein einziges Mal erwähnt. Doch obwohl Irene alles, was den Jungen betraf, sehr interessierte, wagte sie keine Frage.
Mittlerweile waren sie in Bachenau angelangt, und Anselms Wunsch, Billie kennenzulernen und ihn zu streicheln, ging in Erfüllung. Billie erfreute sich bereits wieder bester Gesundheit. Er begrüßte sein Frauchen mit einem lauten Kläffen und heftigen Wedeln seines Stummelschwanzes.
Anselm war von der neuen Bekanntschaft begeistert, und auch Billie schien an dem zweibeinigen Spielgefährten Gefallen zu finden. Natürlich hielten sich Irene