Die Riesen kommen. Herbert George Wells
konnte, die damals so verbreitet waren ...
Ganz gewöhnliche Leute, wie man sieht, außerhalb ihrer Wissenschaft. Oder, wenn schon irgend etwas, so auf der unpraktischen Seite des Gewöhnlichen. Und das, wird man finden, ist über die ganze Welt hin mit den »Naturwissenschaftern« als einer Klasse der Fall. Was groß an ihnen ist, ist ihren Mitwissenschaftern ein Ärgernis und dem großen Publikum ein Geheimnis. Was nicht groß an ihnen ist, liegt auf der Hand.
Was nicht groß an ihnen ist, darüber existiert kein Zweifel, kein Menschengeschlecht zeigt so augenfällige Kleinheit. Sie leben, soweit menschlicher Verkehr in Betracht kommt, in einer engen Welt, ihre Forschungen fordern unendliche Aufmerksamkeit und fast mönchische Abschließung; und was übrig bleibt, ist nicht sehr viel. Wenn man irgendeinen wunderlichen, scheuen, mißgestalteten, grauköpfigen, selbstgefälligen, kleinen Entdecker großer Entdeckungen sieht, der lächerlich mit dem weiten Band eines Ritterschaftsordens geschmückt ist und einen Empfang von Genossen abhält, oder wenn man den Notschrei der »Natur« über die »Vernachlässigung der Naturwissenschaft« liest, sobald der Engel der Geburtstagsehrungen an der Royal Society vorübergeht, oder wenn man einem unermüdlichen Flechtenforscher lauscht, der über das Werk eines andern unermüdlichen Flechtenforschers redet, so zwingen einen solche Dinge zu der Erkenntnis von der unentwegten Kleinheit des Menschen.
Und trotz allem ist das Riff der Wissenschaft, das diese kleinen »Wissenschafter« erbaut haben und noch bauen, so wundervoll, so ungeheuerlich, so voll von halbgeformten Versprechungen für die gewaltige Zukunft des Menschen! Sie scheinen nicht zu wissen, was sie tun! Ohne Zweifel hatte vor langer Zeit, als er seinen Beruf wählte, als er sein Leben den Alkaloiden und verwandten Verbindungen widmete, selbst Mr. Bensington eine dunkle Ahnung von der Vision, – mehr als eine dunkle Ahnung. Welcher junge Mann würde sein Leben ohne eine solche Inspiration nur um solcher Ehren und solcher Stellung willen, wie sie ein »Wissenschafter« erwarten kann, solcher Arbeit hingeben, wie es junge Leute tun? Nein, sie müssen das Glorreiche gesehen haben, sie müssen die Vision gehabt haben, aber so nah, daß sie sie geblendet hat. Der Glanz hat sie geblendet, erbarmungsvoll, so daß sie die Fackeln des Wissens für den Rest ihres Lebens in Ruhe tragen können – damit wir sehen!
Und vielleicht erklärt es Redwoods Anflug von Zerstreutheit, daß er – jetzt kann daran kein Zweifel mehr bestehen – unter seinen Kollegen anders war, er war anders insofern, als etwas von der Vision noch in seinen Augen schimmerte.
II
Die Nahrung der Götter nenne ich ihn, diesen Stoff, den Mr. Bensington und Professor Redwood zusammen herstellten; und wenn man bedenkt, was er bereits vollbracht hat und was alles er sicherlich noch vollbringen wird, so liegt in dem Namen gewiß keine Übertreibung. Ich werde den Stoff also meine ganze Erzählung hindurch weiter so nennen. Aber Mr. Bensington hätte ihn kalten Blutes so wenig so benannt, wie er seine Wohnung auf Sloane Street mit königlichem Scharlach und Lorbeerkranz bekleidet verlassen hätte. Die Phrase war von seiner Seite nichts als ein erster Schrei des Erstaunens. Er nannte den Stoff nur in seiner ersten Begeisterung und im ganzen höchstens eine Stunde oder so die Nahrung der Götter. Nachher entschied er, er sei absurd. Als er zum erstenmal an die Sache dachte, sah er gleichsam einen Durchblick ungeheurer Möglichkeiten – buchstäblich ungeheurer Möglichkeiten, aber bei dieser blendenden Vision schloß er nach einem Starren der Verblüffung die Augen, wie es ein gewissenhafter »Naturwissenschafter« eben soll. Später klang die Nahrung der Götter beinahe unanständig schrill. Er war erstaunt, daß er den Ausdruck gebraucht hatte. Aber trotz allem blieb etwas von jenem klaräugigen Moment an ihm hängen und brach immer von Zeit zu Zeit wieder heraus ...
»Wahrhaftig, wissen Sie,« sagte er, rieb sich die Hände aneinander und lachte nervös, »das hat mehr als theoretisches Interesse.«
»Zum Beispiel« – er sprach vertraulich, brachte das Gesicht dem des Professors ganz nahe und senkte die Stimme zum Flüstern – »es würde sich, wenn man es richtig anfaßt, verkaufen lassen« ...
»Gewiß,« sagte er, indem er forttrat, »als Nahrungsmittel. Oder wenigstens als Nahrungszusatz.«
»Angenommen natürlich, daß es schmackhaft ist. Das können wir nicht wissen, ehe wir es nicht präpariert haben.«
Er machte auf dem Kaminteppich kehrt und studierte die sorgfältig gezeichneten Schlitze auf seinen Tuchschuhen.
»Name?« sagte er, indem er auf eine Frage die Augen hob. »Ich für meinen Teil neige zur guten alten klassischen Anspielung. Sie – sie macht die Naturwissenschaft so ehr–. Gibt ihr einen Anflug altmodischer Würde. Ich habe gedacht ... Ich weiß nicht, ob Sie es absurd von mir finden ... Ein wenig Phantasie ist doch gelegentlich erlaubt ... Herakleophorbia. Eh? Die Nahrung eines möglichen Herakles? Sie wissen, es könnte ...«
»Natürlich, wenn Sie meinen, lieber nicht –«
Redwood sann nach, die Augen ins Feuer gerichtet, und erhob keinen Einwand.
»Sie meinen, es ginge?«
Redwood bewegte ernst den Kopf.
»Es könnte auch Titanophorbia heißen, wissen Sie. Nahrung der Titanen ... Sie ziehen das erste vor?«
»Sie sind ganz sicher, Sie finden es nicht ein wenig zu – –«
»Nein.«
»Ah! das freut mich.«
Und so nannten sie den Stoff während ihrer ganzen Untersuchungen Herakleophorbia, und in ihrem Bericht – dem Bericht, der nie veröffentlicht wurde, weil die unerwarteten Entwickelungen all ihre Arrangements umstießen, wird er unabänderlich so benannt. Drei verwandte Substanzen wurden präpariert, ehe sie auf die eine stießen, die ihre Spekulation vorausgesagt hatte, und von ihnen sprachen sie unter den Namen Herakleophorbia I, Herakleophorbia II, Herakleophorbia III. Herakleophorbia IV nenne ich hier – und da bestehe ich auf Bensingtons ursprünglichem Namen – die Nahrung der Götter.
III
Die Idee gehörte Mr. Bensington. Da sie aber bei ihm durch einen von Professor Redwoods Beiträgen zu den philosophischen Abhandlungen angeregt worden war, so zog er ganz richtigerweise diesen Herrn zu Rate, ehe er sie weiter verfolgte. Außerdem war es als Untersuchung ebensosehr eine physiologische wie eine chemische Frage.
Professor Redwood gehörte zu jenen Wissenschaftern, die auf Zeichnungen und Kurven schwören. Man kennt – wenn man irgendwie die Art von Leser ist, die ich gern habe – die Art des wissenschaftlichen Aufsatzes, die ich meine. Es ist ein Aufsatz, der weder Hand noch Fuß hat, und am Schluß kommen fünf oder sechs gefaltete Zeichnungen, die man öffnen kann, und die eigentümliche Zickzacklinien zeigen, übertriebene Blitze oder gewundene, unerklärliche Dinge, die man »gestreckte Kurven« nennt, auf Ordinaten gestellt und in Abszissen wurzelnd – und dergleichen mehr. Man zerbricht sich lange den Kopf darüber und endigt mit dem Argwohn, daß man sie nicht nur selber nicht versteht, sondern daß auch der Autor sie nicht versteht. Aber wirklich, man muß wissen, viele von diesen Wissenschaftern verstehen ganz gut, was ihre Aufsätze sagen wollen; was das Hindernis zwischen uns errichtet, ist nur ein Mangel des Ausdrucks.
Ich neige zu dem Glauben, daß Redwood in Zeichnungen und Kurven dachte. Und nach seinem monumentalen Werk über Reaktionszeiten (der unwissenschaftliche Leser wird ermahnt, noch ein klein wenig länger auszuhalten, und alles wird klar sein wie das Tageslicht) begann Redwood gestreckte Kurven und Sphygmographien auf das Wachstum anzuwenden, und einer seiner Aufsätze über das Wachstum gab auch Mr. Bensington seine Idee ein.
Redwood, muß man wissen, hatte wachsende Dinge jeder Art gemessen, Katzen, junge Hunde, Sonnenblumen, Pilze, Bohnenpflanzen und (bis seine Frau dem ein Ende machte) sein Baby, und er bewies, daß das Wachstum nicht mit gleichmäßiger Geschwindigkeit vor sich ging, oder, wie er es darstellte, so:
sondern sprungweise und intermittierend;