Auf den Flügeln der Liebe. Barbara Cartland
Sheringham zuckte die Achseln. »Wenn Canning ein energischer Mann wäre, würde er dem preußischen Botschafter sagen, er solle sich zum Teufel scheren.«
»Canning ist aber nicht energisch, und er ist es auch nie gewesen.« Fast schien es, als rede Lord Morden mit sich selbst. »Wenn Pitt doch nur noch lebte!«
Er hielt inne, wandte sich ab und wiederholte leise: »Wenn Pitt doch nur noch lebte!«
»Aber er lebt nicht mehr«, warf Lord Sheringham ein. »Und Canning ist auch nicht das einzige schwache Mitglied im Kabinett, Vater!«
»Das weiß ich. Das weiß ich nur zu gut! Aber wer sonst käme in Frage? Wer, frage ich dich?«
Seine Stimme wurde einen Moment lauter, klang fast verzweifelt. Doch gleich darauf drehte er sich mit entschlossener Miene zu seinem Sohn um.
»Versuch bloß nicht, mich abzulenken, Armand - ich kenne deine Methoden nur zu gut! Ich habe dich nicht nur hergerufen, um dich für das, was du gestern Abend getan hast, zu tadeln, sondern auch, um dir die Entscheidung mitzuteilen, die ich hinsichtlich deiner Zukunft getroffen habe.«
Lord Sheringham zog die Brauen hoch. »Wie interessant, Vater. Darf ich mich setzen? Ich finde es schrecklich ermüdend, längere Zeit zu stehen.«
Lord Morden schlug plötzlich so fest mit der Faust auf den Kabinettstisch, daß die Federn klapperten und die Papiere raschelten.
»Hör auf damit, Armand! Warum bist du immer so affektiert? Ich verabscheue deine geckenhafte Miene und dein Gehabe, die Art, wie du dich durchs Leben gähnst und dich benimmst, als wäre nichts es wert, gesagt oder getan zu werden. Ich spreche mit dir über deine Zukunft, und du erwiderst darauf nur, daß du zu müde bist, um mir im Stehen zuzuhören. Hast du denn gar keine Gefühle, keine inneren Regungen?«
Lord Sheringham ließ sich träge in einen Sessel sinken und streckte die langen Beine vor sich aus.
»Das letzte Mal, als Sie mich zu sich baten, Vater, haben Sie mir vorgeworfen, zu viele Gefühle und Regungen zu haben.«
»Damals sprachen wir über Frauen«, entgegnete Lord Morden. »Was sie anbetrifft, so ist dein Ruf auf die niedrigste Stufe der Entwürdigung gesunken. Lady Coldsworth will sich bei der Königin darüber beschweren, wie du ihre Tochter behandelt hast, und deine Gesellschaften im Morden House sind Stadtgespräch.«
»Die Leute müssen ja über irgendetwas reden«, bemerkte Lord Sheringham sanft.
»Nun, sie werden nicht mehr lange über dich reden, mein Junge«, sagte Lord Morden grimmig. »Und jetzt hör mir zu!«
»Ich möchte Sie daran erinnern, Vater, daß ich das bereits seit einiger Zeit tue«, erwiderte Lord Sheringham nachsichtig.
Lord Mordens Gesicht nahm einen härteren Ausdruck an. Er setzte sich in den Lehnstuhl am Kopf des Kabinettstisches und starrte seinen Sohn an.
Die beiden ähnelten einander nicht sonderlich; eigentlich bestand zwischen ihnen kaum eine Ähnlichkeit, außer daß beide ein etwas kantiges Gesicht und breite Schultern hatten.
Unter Lord Sheringhams vollkommen geschnittener Kleidung waren die muskulösen Arme und seine drahtige, durchtrainierte Figur, die ihn leichter wirken ließ, als er tatsächlich war, zu erahnen.
Obwohl Morden schwerer und breiter war als sein Sohn, war er in seiner Jugend ein berühmter Sportler gewesen. Er war stolz auf seine Kraft, stolz auf jene Tage, als er Hindernisrennen machte, gegen Gentleman Jackson kämpfte und als einer der besten Fechter des Landes galt.
Er hatte London noch nie sonderlich gemocht, und es reizte ihn zunehmend, daß sein Sohn so viel Zeit in der liederlichen Gesellschaft zubrachte, die den Prinzen umgab.
»Bei unserer Sitzung heute nachmittag besprachen wir zwei Dinge ausführlich«, begann Lord Morden mit etwas erhobener Stimme, als spreche er zu einer Anzahl von Leuten und nicht nur zu einem eleganten jungen Mann, der sich in dem einzigen bequemen Sessel des Zimmers rekelte. »Das eine war ein Brief des preußischen Botschafters, der deine Party gestern Abend betraf, das andere unsere Information aus Frankreich.«
»Beides ganz offensichtlich deprimierende Themen«, bemerkte Lord Sheringham.
»Da hast du recht«, erwiderte Lord Morden. »Beides deprimierende Themen, die jedoch leider besprochen werden müssen.«
»Was das erste Thema anbelangt, das mich betrifft - würde eine persönliche Entschuldigung da helfen?«
»Selbstverständlich mußt du dich entschuldigen, sowohl beim Botschafter als auch bei Canning, der sich ja mit der Angelegenheit befassen muß. Doch zufällig betrifft auch das zweite Thema dich.«
»Mich?« Lord Sheringham klang überrascht.
»Ja, dich! Ich brauche dir wohl nicht erst die Lage zu beschreiben, in der wir uns im Augenblick befinden. Seit Fox’ Tod letztes Jahr werden die Informationen, die wir aus Frankreich erhalten, von Monat zu Monat spärlicher und außerdem immer unzuverlässiger. Fox, wie uns allen bekannt, verfügte über seine ganz persönlichen Methoden, Dinge in Erfahrung zu bringen, die für unser Land sehr wichtig waren.«
Er hielt inne, als erwarte er eine Antwort, doch sein Sohn schwieg.
»Mit seinem Tode hörten diese Nachrichten auf oder wurden zumindest verhältnismäßig wertlos, und Napoleon begann im letzten November mit der Blockade Englands. 1806 lachten wir, als er erklärte, daß über die britischen Inseln eine Blockade verhängt werden sollte - wir konnten es uns nicht vorstellen; aber jetzt, im Jahre 1807, lachen wir nicht mehr. Die Blockade stellt sich als wirkungsvoller heraus, als wir ahnten.
Jedes Land in Europa wird allmählich Frankreichs Befehlen unterworfen, und heute haben wir erfahren, daß Napoleon dafür sorgen will, daß die Häfen Spaniens und Portugals geschlossen werden. Falls das stimmt, wird die Lage noch bedenklicher, als sie es im Augenblick schon ist. Wir müssen herausfinden, ob das stimmt und was für Schritte sich in dieser Angelegenheit unternehmen lassen. Napoleons Heere sind weit zerstreut. Wird er stark genug sein, um die Portugiesen und Spanier zu überwältigen? Und wie ist es mit den anderen Ländern, mit denen wir noch immer in Verbindung stehen? Diese Fragen müssen beantwortet werden, und wir haben augenblicklich niemanden in Frankreich, auf dessen Informationen wir uns verlassen können.«
Lord Morden hörte auf zu reden, und es entstand eine lange Pause. Lord Sheringham rührte sich nicht aus seiner trägen, lässigen Haltung. Seine Augen waren fast geschlossen, so daß man hätte meinen können, er schlafe, aber plötzlich preßte er die Lippen aufeinander.
»Und?«
Mit diesem einzigen Wort umriß Lord Morden seine Frage.
Lord Sheringham öffnete die Augen. Sein Vater wartete, jedoch vergebens. Nach einer Weile wurde die Spannung unerträglich für Lord Morden.
»So rede doch, Junge!« sagte er gereizt. »Was hast du selbst dazu zu sagen?«
Lord Sheringham blickte ihn überrascht an.
»Ich dachte, Ihre Meinung sei endgültig, Sir, und somit jegliche Art von Einwänden meinerseits nutzlos.«
Einen Moment schien es, als verliere Lord Morden die Selbstbeherrschung, dann aber wurde sein Gesichtsausdruck weicher.
»Armand, mein Junge«, sagte er in einem friedlicheren Ton als bisher, »es war nicht leicht für mich, vorzuschlagen, daß du, mein einziger Sohn, solch eine Mission übernimmst. Ich habe es nicht nur als Strafe - oder sollte ich lieber sagen, Buße? - vorgeschlagen, sondern aus anderen Gründen, die du nur zu gut kennst.
Deine Mutter war Französin. Du bist ihr sehr ähnlich und sprichst Französisch ebenso flüssig wie Englisch. In Frankreich würde niemand bezweifeln, daß du Franzose bist. Und außerdem hattest du auch einmal - bevor du mit diesem albernen Gehabe anfingst - so etwas wie Verstand. Erst gestern Abend sah ich ein paar deiner Zeugnisse aus Eton und Oxford durch. In allen stand, daß du eine außergewöhnlich gute Zukunft vor dir hast. Als ich sie durchlas, fragte ich mich, ob ich es irgendwie versäumt