Das Vermächtnis des Drachenlords. Rael Wissdorf

Das Vermächtnis des Drachenlords - Rael Wissdorf


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Dieser Kontinent ist unbewohnt!«, rief Munuel.

      »Das ist ein Irrtum. Ich denke, Gelmard weiß das.«

      »Nun ja, es gibt eine winzig keine Ansiedlung«, widersprach Gelmard.

      »Ich rede nicht von Menschen.«

      »Wie auch immer«, unterbrach Munuel. »Warum nennen sie sich Kriegerinnen? Das klingt nicht sehr friedlich.«

      »Weil sie den Drachen in Schach hielten. Darin bestand über die Jahrtausende ihr Krieg. Nicht untereinander. Nur leider sind sie heute im Begriff, diesen Krieg zu verlieren. Denn der Drache hat sich verändert. Seit einigen Jahren ist ihre Gesellschaft gespalten, in die ursprünglichen Ranásura und die Andura Rana, die Dunklen, wie sie genannt werden. Die Andura Rana dienen dem Drachen und haben die Hauptinsel Yolanda erobert; die Ranásura mussten sich auf die zweitgrößte Insel Aplístos zurückziehen. Und wäre ihre Anführerin, die Sharaka Aeryn nicht so eine geschickte Strategin und charismatische Führungspersönlichkeit, wären sie heute wohl über sämtliche Inseln verteilt und leichte Beute für die Andura Rana. Und was mit eurer Akademie geschehen ist, darüber mag ich gar nicht nachdenken. Ich fürchte, sie wurden alle versklavt.«

      »Versklavt?«, fragte Gelmard erschrocken. »Das ist ja furchtbar! Ein Grund mehr, sofort dorthin aufzubrechen. Munuel, willst du es dir nicht doch noch mal überlegen?«

      »Was gehen mich irgendwelche Kriegerinnen auf einer weit entfernten Insel an?«, widersprach Munuel mürrisch. »Und die Akademie ist ein Problem des Cambrischen Ordens. Rüstet eine Flotte aus und segelt dorthin. Was sollen denn zwei Magier und eine völlig untalentierte Novizin dort ausrichten?«

      »Und was soll eine Armee dort ausrichten?«, war Lothsés Gegenfrage. »Glaubt ihr wirklich, eine Armee aus Savalgor könnte mehr erreichen als die viel besser ausgebildeten und kriegsbegabten Ranásura? Ich habe diese Frauen kämpfen sehen, sie agieren wie ein einzelner Mann, in einer unfassbar beweglichen und veränderlichen Formation. Man könnte es mehr eine Choreografie nennen als einfach nur einen Kampf. Ihre Verbände reagieren blitzschnell, ändern die Taktiken jeweils an die Situation angepasst. Es sind die besten Krieger der Welt. Hundert von ihnen würden ausreichen, um Akrania zu erobern.«

      »Übertreibt Ihr da nicht ein wenig?«, murrte Munuel.

      »Ich übertreibe keineswegs. Ich will Euch nur deutlich machen, mit wem wir es zu tun haben. Eine normale Armee wäre dort auf verlorenem Posten. Sie kennen das Gelände nicht, sie kennen ihren Feind nicht. Die Ranásura aber schon. Sie leben seit Jahrhunderten dort, sie setzen ihr eigenes Gelände als Waffe ein. Eine herkömmliche Armee wäre von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Und das kläglich.«

      »Und wenn man zwei Dutzend gut ausgebildete Magier dabeihätte? Oder mehr?«, sinnierte Gelmard.

      »Die alle keine Ahnung mehr haben, wie man Dämonen bekämpft. Oder einen Urdrachen.«

      »Ein Urdrache?«, fragte Munuel verwundert. »Was meint Ihr damit?«

      Lohtsé schloss für einen kurzen Moment die Augen. Munuel spürte, dass die Diskussion den alten Magier sehr mitnahm. Er begann, sich Sorgen zu machen.

      »Ich sagte schon, dass ich nicht glaube, dass es sich um einen Malachista handelt«, fuhr Lohtsé fort. »Ein Malachista mag groß und mächtig sein, aber so gefährlich nun auch wieder nicht. Ein einzelner könnte es niemals mit dieser kampferprobten Armee aufnehmen. Mal ganz davon abgesehen, dass Malachista nur über rudimentäre Intelligenz verfügen und wohl kaum in der Lage wären, einen großangelegten Plan zu schmieden. Aber es gibt Hinweise aus dem berühmten Drachenalmanach von Galimius Askroth, in dem er von einer Art ’Urrasse’ der Drachen sprach, den sogenannten Urdrachen. Sie existierten bereits lange, bevor die ersten Menschen in der Höhlenwelt auftauchten. Und in gewisser Weise sollen sie zur Entstehung unserer unterirdischen Welt beigetragen haben, sie sind sozusagen die Schöpfer. Ihre Magie ist machtvoller als alles, was Menschen je bewirken können.«

      »Das sind aber nur Mythen«, widersprach Gelmard. »Selbst Galimius hat das eingeräumt. Er hat nie einen Urdrachen zu Gesicht bekommen.«

      »Weil er nie auf den Wolkeninseln war.«

      »Zugegeben«, sagte Munuel, den Faden aufnehmend. »Aber selbst, wenn es sich um einen dieser ominösen Urdrachen handelt, warum sollte er erst Jahrtausende friedlich bleiben, um sich dann plötzlich in ein Monster zu verwandeln?«

      »Friedlich war er noch nie, aber er hatte keinerlei Gelüste, sich die Welt zu unterwerfen. Aber genau das will er jetzt.«

      »Und eine verhältnismäßig kleine Armee von Ranásura hat ihn alleine in Schach gehalten?«

      Lohtsé strich sich fahrig mit der Hand über die Stirn. Seine Kraft ließ zusehends nach, und Munuel war nun bestrebt, das Gespräch so bald wie möglich zu beenden. Doch Lohtsé kam ihm zuvor.

      »Diese Frage beantworte ich nur Munuel«, erklärte er mit fester Stimme. »Gelmard, ich muss Euch leider bitten, jetzt zu gehen. Wir können später noch einmal reden. Aber meine Zeit wird knapp, und was ich nun zu sagen habe, ist nur für die Ohren Eures Neffen bestimmt.«

      Gelmard war von dieser Aufforderung sichtlich unbegeistert.

      »Wenn es denn sein muss«, sagte er verdrießlich. »Aber kann ich sicher sein, dass Ihr meinem Neffen keinen Unsinn erzählt?«

      Diese Worte hatte er offensichtlich mit Bedacht gewählt und Munuel wurde gewahr, dass er Lohtsé auf eine eigenartige Weise ansah. Als würde er ihm zuzwinkern, allerdings ohne jeden Schalk in den Augen. Er blickte todernst drein. Was war da zwischen ihm und dem alten Magier?

      »Ich halte meine Versprechen«, sagte Lohtsé mit trauriger Stimme.

      Gelmard nickte. »Gut, dann lasse ich Euch jetzt allein. Wir reden später, Munuel.«

      Dieser neigte seinen Kopf zur Bestätigung. Gelmard erhob sich und ging davon. Lohtsé sah ihm nach, bis er im Ulmenhain verschwunden war. Dann sagte er zu Munuel: »Verzeiht diese Heimlichkeit, aber es gibt Dinge, die dürfen nicht in die Welt. Gelmard mag verlässlich sein, aber er ist nicht der Auserwählte. Das seid Ihr«.

      »Auserwählt? Wozu?«

      »Den Drachen zu vernichten.«

      Munuel stieß einen Stoßseuzfer aus. Das wurde ja immer bunter.

      »Ich bin kein Drachentöter!«, widersprach er.

      »Hört zu!«

      Lohtsé beugte sich nah an Munuel heran und sprach leise und eindringlich.

      »Ja, ihr habt Recht, eine kleine Armee von Ranásura hält den Drachen nicht in Schach. Sondern das hier.«

      Lohtsé hielt das Buch hoch, in welchem er gelesen hatte.

      »Dieses Buch, die Ranásura und ein Magier mit dem Yalmuth. Meinem Yahlmuth. Das ist die Trias der Bewahrer.«

      »Der Yalmuth? Das ist eines der drei stygischen Artefakte! Ihr habt ihn?«

      Lohtsé schüttelte betrübt den Kopf. »Nicht mehr. Er wurde durch List gestohlen und dem Drachen übergeben – obwohl dieser ihn gar nicht nutzen kann. In unserem letzten Kampf wendete der Drache eine unfassbar starke Magie an, die mich bis auf die Knochen verbrannte, und bis hierher schleuderte. Tief nach Akrania hinein. Ich kann es mir bis heute nicht erklären, aber er hat es einfach getan. Mir bleibt wirklich nicht mehr viel Zeit, und ich muss euch noch so einiges lehren. Macht Euch bereit, der neue Drachenlord zu werden.«

      Der alte Magier stützte sich auf den rechten Ellenbogen und hielt plötzlich noch ein zweites Buch in den Händen. Es war dicker als das Erste und statt in Leder nur in starke Pappe eingebunden.

      »Dies hier ist das Kompendium. Es erklärt, wie die Magie des Büchleins anzuwenden ist. Es ist unersetzlich, denn ohne dieses Kompendium, werdet ihr diese uralte Magie niemals verstehen. Ich schenke euch beide.«

      Munuel sah ihn lange und nachdenklich an. Schließlich sagte er:

      »Ich gebe jetzt keine Versprechen, noch kann ich garantieren,


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