Chefarzt Dr. Norden Box 5 – Arztroman. Patricia Vandenberg

Chefarzt Dr. Norden Box 5 – Arztroman - Patricia Vandenberg


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ist alles fertig.« Fee sah ihrer Entlassung mit gemischten Gefühlen entgegen.

      Gerda Schramm hatte Fälle erwähnt, in denen die Rückkehr in eine vertraute, familiäre Umgebung den Betroffenen geholfen hatte, die Erinnerungen wiederzufinden.

      Doch Fee war nicht sicher. Sollte sie sich Hoffnungen machen, um dann umso enttäuschter zu sein, wenn es nicht klappte?

      Daniel sah auf die Uhr und nickte.

      »Gut möglich, dass er gleich da ist.« Schritte auf dem Flur ließen ihn aufhorchen. »Ah, da ist er ja schon.« Er trat einen Schritt zur Seite.

      Doch es war nur die Schwester mit dem Mittagessen.

      »Sie brauchen Kraft, damit Sie schnell wieder auf den Beinen sind!«, sagte sie in munterem Plauderton und stellte das Tablett vor Fee auf den Tisch.

      Die achtete nicht darauf. Stattdessen starrte sie nach draußen. Hinunter auf den Kiesweg, der sich wie eine Schlange durch den Klinikgarten schlängelte. Keine Menschenseele war dort unten unterwegs. Kein Wunder. Die Wolken sahen aus, als wollten sie sich jeden Moment von ihrer grauen Last befreien. Genau wie Fees geschundene Seele. Wann würde es ihr endlich gelingen, die Schleier zu zerreißen und die Wahrheit zu finden? Manchmal wähnte sie sich kurz davor. Doch dann entglitt ihr die Erinnerung wieder, wie ein Blatt, das der Wind vor ihr hertrieb, sobald sie danach greifen wollte. Als sie endlich aus ihren Gedanken auftauchte, war sie allein.

      *

      Die Akte Tobias Lichte klemmte unter dem Arm von Dr. Benjamin Gruber. Gemeinsam mit dem Klinikchef war er auf dem Weg zu dem Patienten.

      »Ich möchte, dass Sie sich den Patienten Lichte ansehen, und bin gespannt auf Ihre Einschätzung.« Vor dem Krankenzimmer machte Daniel Halt. »Alles klar?«

      Dr. Gruber nickte. Einen Atemzug später standen sie an Tobias’ Bett.

      »Das hier ist der Kollege Dr. Gruber. Er wird den Eingriff leiten, ich werde ihm assistieren«, er­klärte Dr. Norden dem jungen Mann.

      Tobias sah kurz von seinem Handy hoch.

      »Nur noch die Kurve … gleich … ach, schon wieder nicht.« Er ließ das Mobiltelefon sinken. »Sie bringen mir kein Glück, Doktor.« Er schnitt eine Grimasse in Daniels Richtung.

      »Das tut mir außerordentlich leid. Dann muss wohl Dr. Gruber zur Tat schreiten. Machen Sie bitte einmal den Bauch frei?«

      Die Bettdecke raschelte. Tobias zog das Schlafanzugoberteil hoch. Benjamin trat ans Bett. Er rieb sich die kalten Hände.

      »Nicht, dass ich Sie erschrecke.«

      »Das hat der Chef schon erledigt, als er gesagt hat, dass er mich operieren will.«

      »Keine Angst. Das ist ein Routineeingriff«, erwiderte Benjamin, während er die Bauchdecke abtastete.

      An einer Stelle zischte Tobias Lichte wie eine Schlange.

      »Ich habe keine Angst.« Er verkroch sich wieder unter der Bettdecke.

      »Herr Gruber, erklären Sie unserem Patienten doch bitte den Ablauf des Eingriffs«, bat Dr. Norden den jungen Kollegen.

      Tobias zog eine Augenbraue hoch.

      »Muss das sein?«

      »Bei gut aufgeklärten Patienten wirkt die Behandlung besser«, erwiderte Dr. Norden. »Ein gutes Vertrauensverhältnis ist in meinen Augen elementar wichtig für das Gelingen des Eingriffs. Je besser Sie sich auf das einstellen können, was Sie erwartet, umso weniger Überraschungen müssen Sie befürchten. Sie fühlen sich wohler und werden schneller gesund. Zumindest im Idealfall«, fügte er hinzu.

      Tobias Lichtes Lächeln erreichte die Augen nicht.

      »Dann schießen Sie mal los«, forderte er Benjamin auf.

      Der junge Arzt schluckte und lächelte wie ein Schuljunge. Seine Wangen waren gerötet.

      »In Ihrem Fall würde ich zu einer Entfernung des Wurmfortsatzes mittels Bauchspiegelung raten.« Ein schneller Blick hinüber zum Chef. Der sah zufrieden aus. Benjamin räusperte sich. »Über einen kleinen Schnitt im Nabelbereich wird eine Kamera in die Bauchhöhle eingeführt. Zur besseren Übersicht wird zuvor über eine Nadel Gas in den Bauchraum geleitet.« Er holte Luft. Zumindest sein Erinnerungsvermögen ließ ihn nicht im Stich. »Über einen weiteren kleinen Hautschnitt im rechten Unterbauch werden dann über sogenannte Führungshülsen die Arbeitsinstrumente eingebracht. Die Gefäße des Blinddarms werden elektrisch verkocht oder abgebunden, mit Hilfe einer Schlinge abgeschnitten und über die Hülse aus der Bauchhöhle geholt. Zum Schluss werden die Instrumente entfernt und die Schnitte vernäht.«

      Daniel Nordens Gesichtsausdruck verriet, dass er immer noch zufrieden war. Seine Befürchtungen bezüglich des Kollegen Grubers schienen sich nicht zu bewahrheiten. Der Assistenzarzt wirkte konzentriert und aufgeräumt.

      »Gut. Dann sehen wir uns in einer Stunde im OP.«

      *

      »Hallo, Mum!« Wie versprochen tauchte Jan Norden ein paar Minuten nach Mittag auf.

      Fee saß noch immer am Tisch und starrte nach draußen. Ein Gärtner war unten im Garten aufgetaucht. Ein Rechen kratzte über den welken Rasen. Das Scharren war bis in ihr Zimmer zu hören. Felicitas beobachtete jeden seiner Handgriffe. Sah zu, wie er das Laub zu Häufchen auftürmte. Schließlich lehnte er den Rechen an einen Baumstamm, der vor Nässe glänzte. Er schob die Schiebermütze in den Nacken und bückte sich, um die Haufen in den mitgebrachten Korb zu packen.

      Ein plötzlicher Luftzug weckte sie. Im selben Moment schmatzte ein Kuss auf ihre Wange.

      »Und? War es lecker?« Jan war um sie herum gewirbelt. Er hob den Deckel vom Tablett. Ein Duft wie in Enzos Gaststube zog durch das Zimmer. »Oh.«

      »Ich hatte keinen Appetit.«

      »Bist du sicher, dass du auf dem Weg der Besserung bist?«

      Janni sah seine Mutter so ungläubig an, dass Fee lachen musste.

      »Bitte, bediene dich!«, forderte sie ihn auf.

      Das ließ er sich nicht zwei Mal sagen. Er setzte sich an den Tisch und ließ sich Tortellini in Sahnesauce und Salat schmecken. Paprikaschoten und Salatblätter knackten zwischen seinen Zähnen. Es war ein Vergnügen, ihm zuzusehen.

      »Willst du nicht doch was?«, nuschelte er zwischendurch.

      Fee schüttelte den Kopf.

      »Hattest du schon immer so einen guten Appetit?« Sie konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern.

      »Wir alle lieben Essen. Du übrigens auch.« Jan machte sich über den Pudding her. »Ich sollte doch Arzt werden. Bei der Küche«, seufzte er endlich glücklich. Er lehnte sich zurück und strich sich über den wohlgefüllten Bauch.

      Fee sah ihn an mit diesem leicht abwesenden Blick. Als wäre sie seit dem Unglück immer mit einem Teil ihrer Gedanken in einer anderen Welt.

      »Irgendwie raubt mir diese Ahnungslosigkeit den Appetit.«

      Janni musterte seine Mutter. Jedes einzelne Wort, das er über retrograde Amnesie gelesen hatte, ging ihm durch den Kopf.

      »Möglich, dass du deine Erinnerungen in der vertrauten Umgebung wiederfindest.« Er nestelte an seinem Brillengestell, das ihm den Spitznamen ›Professor‹ eingebracht hatte. Seine Klassenkameraden nannten ihn auch Nerd. Ganz falsch war das nicht. Immerhin war Jan tatsächlich ein intensiver Computernutzer mit einer manchmal fast unheimlich anmutenden Intelligenz. Obwohl er nie viel lernte und dem Unterricht nur mit mäßiger Aufmerksamkeit folgte, schrieb er durchweg gute bis sehr gute Noten. Sein fotografisches Gedächtnis tat ein Übriges dazu, um das Bild des Sonderlings mit Farbe zu füllen. Jan nahm es mit Humor und war im Übrigen dankbar dafür, mit einer großen Familie gesegnet zu sein, die ihn davor bewahrte, sich in seiner eigenen Welt zu verlieren. Ein unheimlicher Gedanke. Genauso unheimlich wie das, was seiner Mutter widerfahren war. Höchste Zeit, diesem Zustand ein Ende


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