Die Welt von Cyberpunk 2077. Marcin Batylda
Apparat mit primitiven Greifzangen anstelle von Händen und Fingern. Heute ordnen wir solche Cyberware in die »Generation Zero« ein. Moderne Technologie hat sie vollkommen überholt.
Der verstärkte Einsatz medizinischer Cyberware nach dem Krieg beschleunigte die Entwicklungen auf dem Gebiet der Miniaturisierung. Die ersten nicht-medizinischen Implantate, die erfolgreich getestet wurden, waren verstärkte Wirbelsäulen und Gelenke für Schwerarbeiter sowie Luftfilter, eingepflanzt in die Atmungswege von Einsatzkräften in stark verschmutzten Gebieten. Es kam aber immer noch viel zu oft vor, dass der Körper die Implantate abstieß – dies war das Haupthindernis auf dem Weg zur kybernetischen Augmentation der Gesellschaft.
Im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts fand Cyberware schließlich den Weg auf die Schlachtfelder. Der Zweite Zentralamerikanische Krieg und der Zweite und Dritte Konzernkrieg brachten frühe Kampfimplantate hervor. Militech war der erste Konzern, der das Potenzial erkannte. Ihre verbesserten Cybersoldaten – die mehr Gewicht tragen und mit Bewegungssensoren und Reichweitensuchern ausgestattet waren – waren ihren Gegnern in fast allen Bereichen überlegen. Beide Konfliktparteien begannen schon bald, Kampf-Cyberware zu entwickeln und einzusetzen.
02: ALLE GESELLSCHAFTSSCHICHTEN NUTZEN CYBERWARE, MANCHE NUR EBEN OFFENER ALS ANDERE.
Durch diese Kriege begann ein Wettrüsten zwischen den Privatarmeen der Megaunternehmen, das bis zum heutigen Tage anhält. Diese frühe militärische und industrielle Cyberware fällt in die »Generation One« oder »Gen 1«. Sie besteht aus Metall und Plastik und ist der Generation Zero überlegen, inzwischen aber dennoch vollkommen antiquiert. Gen-1-Implantate findet man heute nur noch auf dem Schwarzmarkt, wo sie billig an die Ärmsten der Armen verkauft werden, die sich keine bessere Cyberware leisten können.
Wie so oft in der Geschichte spielte der Krieg eine wichtige Rolle in der Entwicklung einer neuen Technologie. Der Staub auf den Schlachtfeldern hatte sich noch nicht gelegt, da begann bereits der Boom des cybermedizinischen Marktes. Dieselben Konglomerate, die für die Konzernkriege verantwortlich waren, sahen nun eine Gelegenheit für Profit, und sie erweiterten ihr Angebot um medizinische Implantate für Veteranen. Anschließend führten sie billigere Modelle für den Industriemarkt ein, und auch frühe Modelle für die Massen wurden entwickelt. Weil die Konzerne keiner Regierung Rechenschaft schuldig waren, erschienen bald auch die ersten Cyberwaffen auf dem Markt.
Parallel dazu wurde ein Mittel zu Verhinderung von Implantatabstoßungen entwickelt, »Kitsch«, ein neuer kultureller Stil, gewann an Popularität, und der Boom der Braindance-Technologie begann. Die Gesellschaft war den Krieg leid und wollte wieder feiern – und so aussehen wie die Protagonisten der jüngsten Braindance-Produktionen. Das Zeitalter der Cyberware hatte begonnen.
Generation-Two-Implantate sind die weitverbreitetste Art von Implantaten, die man heute auf der Straße sieht. Sie sind funktionell und relativ billig. Die Kolben und Hydraulik der Gen 1 wurden durch künstliche Cybermuskeln ersetzt, die bessere Motorik und Leistung bieten. Als dann schließlich die RealSkin-Technologie auf den Markt kam, wurde sie sofort zu einem Statussymbol der Reichen.
BOOTLEGS UND SCHWARZMARKT-CYBERWARE
Wem Original-Implantate zu teuer sind, der kann immer noch zu den billigen Kopien kleinerer Hersteller greifen. Diese Fälschungen bieten meist weniger Optionen und schlechtere Software, und sie neigen zu Ausfällen. Das ist eben das Risiko, wenn man »Militiatech« oder »Ara-Sake« kauft. Der Schwarzmarkt ist eine weitere Möglichkeit, aber die Preise sind oft recht hoch. Sicher, wenn noch Fetzen des Vorbesitzers an einem Cyberarm hängen, zahlt man weniger als für einen neuen, aber für gesuchte Ware wie den Prototyp eines brandneuen Gen-4-Großhirn-Enhancers muss man trotzdem seine Nieren auf die Theke klatschen – alle beide … oder die von jemand anderem. Hauptsache, sie sind gesund.
EIN GEN-4-ARM, ÜBERZOGEN MIT REALSKIN VON KLEIN-KIND-HAUTTEXTUR.
REALSKIN
RealSkin ist eine Technologie zur Herstellung synthetischer Haut, die praktisch nicht von echter zu unterscheiden ist. Entwickelt wurde RealSkin ursprünglich für den medizinischen Markt, damit Veteranen sich besser an ihre Cyberprothesen gewöhnen können. Während der nächsten 30 Jahre wurde RealSkin aber immer beliebter und erschwinglicher. Heute ist es der Standardüberzug für die meisten Implantate. Nur Fans des Retro-Stils und Besitzer teurer Sonderanfertigungen bevorzugen ihre Cybergliedmaßen »nackt« – sie tragen Implantate ohne RealSkin-Überzug.
BIOWARE
Bio- und Nanotechnologie sind noch immer recht neue Marktstandards. Sie entstanden als Nebenprodukt von Anti-Abstoß-Behandlungen, und ihr ursprünglicher Zweck war es, Implantate besser in einen Körper zu integrieren. Was mit künstlich gezüchteten Organen und »sanfter« Nanotech begann, könnte schon in ein paar Jahren die führende Technologie im Bereich Körpermodifikation sein. Bioware entwickelt sich rasend schnell weiter, vor allem in Europa, der Wiege erstklassiger biotechnischer Modifikationen. Als beste Bioware-Lieferanten des Marktes gelten skandinavische Labore und Kliniken, die zu relativ kleinen, von der Regierung kontrollierten Unternehmen wie Freya und Yggdrasill gehören. Alles, was ihre amerikanischen oder asiatischen Konkurrenten anbieten, ist im Vergleich dazu zweitklassig.
Der Aufstieg der Megakonzerne hatte auch Einfluss auf die technologische Entwicklung von Cyberware. So war die Erfindung von Gen-3-Cyberware ein Resultat des »kalten« Wettrüstens zwischen den Konglomeraten. Jeder Konzern wollte besser ausgestattete Soldaten und Agenten, um die Konkurrenz in Schach zu halten und das eigene Geschäft zu schützen. Leichtere und belastbarere Kohlenfaser- und Keramikpolymere ersetzten schwere Metalle. Für verdeckte Einsätze und Attentate entwickelte man verborgene, subdermale Panzerung und einziehbare Waffen. Und die kugel–, klingen- und feuerfesten Versionen von RealSkin, die zu jener Zeit entstanden, werden heute noch von den Sicherheitskräften der Konzerne benutzt.
Parallel dazu entstanden Bioware-Technologien, die nicht auf Kybernetik, sondern auf biologische Augmentationen setzten. Skinweave-Panzerung, Heil-Nanobots, Giftfilter und synaptische Upgrades wurden immer beliebter. Obwohl biomodifizierte Muskeln und Organe noch nicht so leistungsfähig sind wie ihre Cyberware-Gegenstücke, sind sie immun gegen EMP-Angriffe und für normale Scanner unsichtbar, außerdem sind die Träger weniger anfällig für Cyberpsychosen. Viele der gefährlichsten Agenten von Konzernen und Regierungen nutzen eine Mischung aus Cyberware und Bioware. Ich würde aber davon abraten, Cyberware von einer ungeprüften Quelle zu kaufen – es sei denn, du willst eine Infektion durch verrückte, an Häftlingen getestete Nanobots riskieren, die dir irgendwann das Nervensystem zerfressen.
Während der letzten 30 Jahre hat Bioware in allen Lebensbereichen und sozialen Schichten Einzug gehalten – vom Militär, medizinischen Anwendungen und Produktionstechniken bis hin zum Familien- und Sexleben und der Unterhaltungsindustrie. Sie hat legale und illegale Geschäftszweige erschaffen, von Braindance und Cyberfashion bis hin zum Schwarzmarkt für Cybergliedmaßen und biotechnische Organe. Die Menschheit wurde für alle Zeiten verändert.