Sword Art Online Novel - Band 11. Reki Kawahara

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      Kapitel V

      Das Siegel des rechten Auges

      Mai des Jahres 380 menschlicher Zeitrechnung

      1

      Underworld.

      So lautete der Name dieser Welt. Da er jedoch nicht der Gemeinen Sprache, sondern der Sakralen Sprache entstammte, verstand kaum einer der Bewohner die Bedeutung des Namens.

      Im Zentrum von Underworld lag die Menschenwelt, ein kreisrundes Land von 1.500 Kilor Durchmesser, das von dem Grenzgebirge umschlossen wurde. Jenseits davon lag das Reich der Finsternis, in dem Halbwesen wie Goblins und Orks hausten, wie man sich erzählte. Doch kaum jemand hatte es je zu Gesicht bekommen.

      Die Menschenwelt war in vier Kaiserreiche geteilt. Über den Norden herrschte das Reich Norlangarth mit seinen üppigen Wiesen, tiefen Wäldern und zahlreichen Seen. Am südlichen Ende des fächerförmigen Landes lag die Hauptstadt Nord-Centoria. Die anderen drei Kaiserreiche hatten einen vollkommen identischen Aufbau, sodass die vier Hauptstädte im Zentrum der Menschenwelt einen Kreis bildeten. Zusammen wurden sie Zentralstadt Centoria genannt.

      Inmitten von Centoria erhob sich der weiße Turm der zentralen Axiom-Kirche, die über eine größere Macht als die Kaiserreiche verfügte und mit dem absoluten Gesetz des Tabu-Index und der absoluten Gewalt der Integrationsritter über die Menschenwelt herrschte.

      Dieser Turm war die »Central Cathedral«. Dieses majestätische Gebäude, das fast bis zu Solus im Himmel zu reichen schien, war in jedem Sinne das Zentrum der Menschenwelt. Was vermutlich bedeutete, dass es der Mittelpunkt von ganz Underworld war.

      Das war die Welt, wie Eugeo sie kannte.

      In diesem Frühling waren es bereits zwei Jahre, seit er mit seinem Partner Kirito das kleine Dorf Rulid am nördlichen Rand von Norlangarth verlassen hatte.

      In Zakkaria, der größten Stadt in der nördlichen Region, waren sie in die Wachgarnison eingetreten. Im Frühling des letzten Jahres hatten sie mit einem Empfehlungsschreiben des Kommandanten die Zentralstadt erreicht. Sie hatten die Aufnahmeprüfung der Akademie der Schwertkünste von Nord-Centoria bestanden und ein Jahr lang als Novizen hart trainiert. Es war ihnen sogar gelungen, bei der Versetzungsprüfung am Jahresende unter die besten Zwölf zu kommen.

      Diese Zwölf wurden als Elite-Kadetten besonders gefördert. Sie hatten ein eigenes Wohnheim mit einer großen Trainingshalle und wurden von der Mehrheit der ausführlichen Akademie-Regeln befreit, um das zweite Jahr konzentriert auf die Teilnahmeerlaubnis am großen, kaiserlichen Kampfkunstturnier hinzuarbeiten.

      Der tägliche Theorieunterricht und die Unterweisung in den Schwertkünsten, dazu noch das anschließende, selbstständige Training waren sehr anstrengend. Aber für Eugeo waren diese Tage wie ein wahr gewordener Traum. Wäre er zwei Jahre zuvor nicht diesem seltsamen Jungen namens

      Kirito begegnet, würde er wohl immer noch von morgens bis abends im Wald die Holzfälleraxt schwingen, bis er sich irgendwann im hohen Alter zur Ruhe gesetzt hätte. Stattdessen studierte er hier in der Zentralstadt unter den Abkömmlingen der Adelsfamilien die Schwerttechniken und sakralen Künste und kam seinem Ziel Schritt für Schritt näher.

      Anders als bei den anderen Studenten war sein Ziel nicht damit vollendet, beim großen Turnier der vier Kaiserreiche, dem höchsten Schwertkunstturnier der Menschenwelt, zu siegen und zu einem ehrenhaften Integrationsritter ernannt zu werden.

      Er wollte Ritter werden, um durch das Tor der Central Cathedral treten zu können, die nicht einmal die Adligen ersten Ranges betreten durften. All das für ein Wiedersehen mit seiner Kindheitsfreundin Alice Zuberg, die vor langer Zeit in die Central Cathedral verschleppt worden war.

      Als er seinen Traum fast aufgegeben hatte, war es Kirito gewesen, der ihm einen Weg gezeigt hatte, seinen fernen Wunsch zu erreichen. In diesen zwei Jahren hatten sie jede Schwierigkeit mit vereinter Kraft überwunden. Da Kirito seine Erinnerungen verloren hatte, brachte Eugeo ihm die verschiedenen Gebote bei, angefangen mit den Grundgesetzen des Kaiserreichs. Im Gleichschritt wie Brüder oder eher Zwillinge waren sie bis hierher gekommen.

      Auch jetzt als Elite-Kadetten wohnten Eugeo und Kirito im selben Zimmer. Allerdings teilten sie sich nur den Wohnbereich, und jeder hatte sein eigenes Schlafzimmer. Die Betten hier waren unvergleichlich größer und weicher als in seinem Elternhaus in Rulid, im luxuriösen Badezimmer konnten sie so viel heißes Wasser benutzen, wie sie wollten, und im Speisesaal wurden üppige Mahlzeiten ausgegeben. Eugeo hatte deswegen immer noch ein schlechtes Gewissen. Kirito dagegen hatte sich im Nu daran gewöhnt.

      Doch es gab eines, was ihm genauso schwerfiel wie Eugeo.

      Das private Wohnheim war nicht das einzige Sonderrecht der zwölf Elite-Kadetten. Jedem wurde einer der besten Novizen als Page zur Seite gestellt, der sich um ihre Belange kümmerte. Eugeo war selbst im vergangenen Jahr der Page seines unbefangenen Mentors gewesen, und es hatte ihm überhaupt nichts ausgemacht. Im Gegenteil, es hatte ihm sogar Spaß gemacht. Doch jetzt, wo die Rollen vertauscht waren, war es etwas anderes.

      Eugeo war Tiese Schtrinen als Page zugewiesen worden, eine Adlige sechsten Ranges, die gerade erst sechzehn geworden war. Auch Kiritos Page Ronie Arabel war ein sechzehnjähriges Mädchen aus einer Adelsfamilie sechsten Ranges. Die beiden Jungen aus der abgelegenen Provinz fühlten sich deswegen sehr unwohl.

      Das lag keineswegs daran, dass Eugeo mit Tiese selbst ein Problem gehabt hätte. Das Mädchen mit dem im Norden ungewöhnlichen flammend roten Haar und den rötlichen Augen war immer voller Tatkraft. Sie hatte so viel Ehrgeiz und Fleiß, dass oft eher Eugeo von ihr etwas lernen konnte, obwohl er doch eigentlich ihr Mentor sein sollte. Aber er konnte sich einfach nicht daran gewöhnen, dass ihm ein drei Jahre jüngeres Mitglied einer Adelsfamilie, noch dazu ein Mädchen, als Page diente. Tag für Tag merkte er schüchtern an, dass er sich selbst um dies oder jenes kümmern könne, worauf Tiese jedes Mal erwiderte, dass es ihre Aufgabe als Page sei.

      Kirito war in einer sehr ähnlichen Situation. Wenn Ronie kam, um sein Zimmer zu putzen, war er im letzten Monat häufig unter irgendeinem Vorwand verschwunden.

      Doch heute – am siebzehnten Tag des fünften Monats des Jahres 380 menschlicher Zeitrechnung – kam er mit einer großen Papiertüte wieder hereingeschneit, als Tiese und Ronie gerade mit den Reinigungsarbeiten fertig waren. Die Tüte war gefüllt mit den berühmten Honigpasteten vom traditionsreichen Restaurant »Zum springenden Hirsch«. Kirito nahm lediglich zwei Pasteten für sich und Eugeo heraus und gab den Mädchen den ganzen Rest, damit sie die Pasteten mit ihren Zimmermitbewohnern teilen konnten.

      Die Novizen durften an Werktagen nicht ausgehen und konnten daher natürlich auch keine Süßigkeiten auf dem Markt einkaufen. Die beiden waren außer sich vor Freude über das unerwartete Geschenk. Zum ersten Mal sah Eugeo die Mädchen zum Novizen-Wohnheim zurückrennen.

      Mit dem Pagen eine Verbindung aufzubauen und ihn auch abseits der Schwertkunst in allen Bereichen anzuleiten, gehörte ebenfalls zu den Pflichten der Mentoren.


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