Dr. Daniel Staffel 10 – Arztroman. Marie Francoise
Genau deshalb drängte es ihn nun aber, noch einmal mit Rebecca zu sprechen. Er mußte herausbekommen, was für eine Frau sie tatsächlich war… ob es sich wirklich gelohnt hatte, dafür seine Ehe aufs Spiel zu setzen.
Seufzend stieg Dr. Daniel aus dem Auto, zögerte noch einen Moment und betrat dann den Gasthof. Heute hatte er es nicht so eilig, zu Rebecca zu kommen. Vielmehr war er noch immer nicht sicher, wirklich das Richtige zu tun. Vielleicht sollte er sie einfach vergessen… sie und alles, was mit ihr zusammenhing. Doch Dr. Daniel wußte, daß er das nicht konnte. Seine Gefühle für diese Frau überstiegen bloße Sympathie… wobei Sympathie wohl nicht der richtige Ausdruck war. Rebecca weckte Gefühle in ihm, die er nicht steuern konnte und so etwas war ihm eigentlich noch nie passiert.
Jetzt stand er vor ihrer Zimmertür und hörte ihre Stimme. Sie schien heftig zu schimpfen. Dazwischen gab es Geräusche, die sich anhörten, als würde jemand geschlagen. Verwundert runzelte Dr. Daniel die Stirn. Wie paßten dieses Gezeter und die anderen Geräusche zu der warmherzigen, hilfsbereiten Frau, die er kennengelernt hatte? Wo war die Sinnlichkeit, mit der sie ihm ihre Liebe gestanden hatte… mit der sie ihn für eine Nacht in ihr Bett holen wollte?
Dr. Daniel atmete tief durch. Er wußte, daß er die Antworten hinter dieser Tür finden würde, aber er war nicht sicher, ob sie ihm gefallen würden. Nach weiterem kurzem Zögern klopfte er. Augenblicklich verstummte drinnen die schimpfende Stimme, dann wurde die Tür aufgerissen.
Dr. Daniel hatte das Gefühl, eine völlig fremde Frau vor sich zu haben. Rebeccas makellos schönes Gesicht spiegelte deutlich ihre Wut wider, und sie hatte Mühe, ein Lächeln auf ihre harten, wie versteinert wirkenden Züge zu zaubern.
»Robert, was für eine Überraschung«, meinte sie, doch auch ihre Stimme klang noch eisig und hatte nicht mehr viel von der Sinnlichkeit, die ihm im Gedächtnis haftete.
Ehe Dr. Daniel etwas sagen konnte, huschte eine schlanke Gestalt auf den Flur. Erst auf den zweiten Blick erkannte Dr. Daniel, daß es sich um einen Teenager handelte, der nichts als einen völlig durchnäßten Pyjama trug.
»Perry, verdammt, komm zurück!« befahl Rebecca in scharfem Ton, doch der Junge rannte, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her.
»Perry«, wiederholte Dr. Daniel, dann nickte er. »Es ist also doch keine zufällige Namensgleichheit. Du bist die Mutter der Kinder, die angeblich Jeffs Geschwister sein sollen.«
Rebecca hatte sich nach der überraschenden Flucht ihres Sohnes nur halbwegs in der Gewalt. Sie ließ Dr. Daniel eintreten und schloß die Tür hinter ihm, dann bemühte sie sich, die Kälte aus ihren Augen zu verbannen, was ihr noch immer nicht vollends gelang.
»Es sind seine Geschwister«, betonte sie.
Wieder nickte Dr. Daniel. »Das bedeutet, daß du mich belogen hast. Über den Tod deines Mannes, über das Alter deiner Kinder…«
Rebecca vergrub das Gesicht in den Händen und schluchzte auf. »Was hätte ich denn tun sollen? O Gott, Robert, ich habe mich auf den ersten Blick in dich verliebt! Wie hätte ich dir sagen können, daß ich als junges Mädchen auf einen ausgekochten Mann hereingefallen bin… daß ich zwei uneheliche Kinder habe? David Parker hat mich jahrelang damit hingehalten, daß er sich scheiden lassen und mich heiraten würde, aber alles war gelogen!« Aus tränennassen Augen blickte sie Dr. Daniel an. »Ich konnte das einfach nicht erzählen.«
Dr. Daniel wurde wankend. Diese Geschichte paßte schon eher in das Bild, das er sich von Rebecca gemacht hatte. Doch ein Rest Zweifel blieb.
»Warum hast du von diesem Parker keine Alimente verlangt?« wollte er wissen.
Rebecca seufzte abgrundtief. »Er hat mir gedroht und… meine Güte, ich war noch ein unerfahrenes Ding. Ich hatte einfach Angst vor ihm. Also sah ich zu, daß ich mich und die Kinder ohne seine Hilfe durchbringen würde.« Sie zuckte die Schultern. »Ich hatte Glück. Eine überraschende Erbschaft hat mich zu einer wohlhabenden Frau gemacht und nun…« Sie wischte sich über die Augen. »Ich habe doch nur um das Recht meiner Kinder gekämpft. Sie haben Anspruch auf ihr Erbe.«
Dr. Daniel glaubte ihr. Da war jetzt nur noch ein Punkt…
»Du behandelst Perry nicht gerade liebevoll«, meinte er.
Wieder wischte sich Rebecca über die Augen. »Es ist jedesmal dasselbe. Perry, Pam und ich haben ein wundervolles Verhältnis zueinander, aber immer, wenn ich geschäftlich verreisen muß, bin ich gezwungen, die Kinder in der Obhut meines Bruders zurückzulassen. Alec tut leider alles, um die Kinder und mich zu entzweien. Er erzählt ihnen haarsträubende Geschichten über mich, und es kostet mich jedesmal eine überaus strenge Hand, um gerade Perry wieder zur Vernunft zu bringen.« Sie seufzte. »Er hat leider sehr viel von den Erbmerkmalen seines Vaters, was seine Erziehung nicht besonders leicht macht.«
Dr. Daniel bekam direkt ein schlechtes Gewissen. Was hatte die arme Rebecca alles durchzumachen, und er hatte dann auch noch an ihr gezweifelt.
»Es tut mir leid«, entschuldigte er sich. »Auch, daß wir uns beim letzten Mal so… wie soll ich sagen… so im Unfrieden getrennt haben.« Er fuhr sich mit einer Hand durch das dichte, blonde Haar. »Diese ganze Situation hat mich etliche schlaflose Nächte gekostet. Dein Geständnis, daß du mich liebst, das Angebot für die gemeinsame Nacht… ja, und nicht zuletzt auch deine Unterleibsschmerzen. Ich habe mir ziemliche Vorwürfe gemacht…«
Mit einer sanften Geste berührte Rebecca sein Gesicht und triumphierte dabei innerlich. Sollte ihr das Glück jetzt doch noch hold sein? Würde sie heute erreichen, was ihr noch vor ein paar Tagen als völlig aussichtslos erschienen war?
»Ich liebe dich wirklich, Robert«, flüsterte sie. »Und dieses Angebot… weißt du, ich würde alles dafür geben, nur ein einziges Mal mit dir vollends glücklich zu sein.« Sie blickte zu Boden. »Ich weiß, daß eine Scheidung für dich nie in Frage käme, schon wegen deiner kleinen Adoptivtochter, von der du mir erzählt hast, aber…« Sie hob den Kopf und lächelte ihn an. »Eine einzige Nacht mit dir würde mir genügen… nein, genügen würde sie mir wohl nicht, aber es wäre mehr, als ich je zu hoffen gewagt habe.«
Dr. Daniel kämpfte verzweifelt mit sich. Er war ein Mensch, der Gefühle ernst nahm, und das allerletzte, was er wollte, war, Rebecca weh zu tun. Andererseits… er konnte Manon nicht betrügen, dazu liebte er sie zu sehr.
Dr. Daniel ließ seine Stirn gegen Rebeccas Schulter sinken.
»Ich kann nicht«, sagte er leise. »Ich liebe Manon – gleichgültig, wie schwierig unsere Ehe im Moment ist. Aber das allein ist es gar nicht. Es geht auch um dich, Rebecca.« Er hob den Kopf und blickte sie wieder an. »Nach einer solchen Nacht wäre für dich alles noch viel schlimmer, oder aber du würdest dir Hoffnungen machen, die ich niemals erfüllen könnte.« Unendlich sanft streichelte er durch ihr dunkles Haar. »Es wird für uns beide das beste sein, wenn wir uns nicht mehr sehen.«
»Ja, vielleicht«, flüsterte Rebecca, dann drängte sie sich an Dr. Daniel heran, schlang ihre Arme um seinen Nacken und küßte ihn mit einer Glut, die er noch nie zuvor erlebt hatte. Er wußte, was sie damit erreichen wollte und spürte, wie nahe er daran war, schwach zu werden. Doch dann löste er sich von ihr und trat zur Tür.
»Leb wohl, Rebecca.«
Rasch ging er hinaus und fühlte dabei noch das Vibrieren in sich. Rebecca Horn war eine außergewöhnliche Frau, und die Gefühle, die sie weckte, waren für einen Mann nur unter Aufbietung aller Kräfte zu unterdrücken.
Dr. Daniel konnte nicht wissen, daß Rebecca in diesem Moment außer sich vor Zorn war. Sie war so nahe an ihrem Ziel gewesen. Wie schaffte dieser Mann es nur, ihr nach einem solchen Kuß noch zu widerstehen? Es war ihre stärkste Waffe und sie hatte bisher noch immer gewirkt – selbst bei schier aussichtslosen Fällen, wie Rebecca besonders standfeste Männer bezeichnete. Doch Dr. Robert Daniel übertraf sie alle. Einem Mann wie ihm war sie wirklich noch nie zuvor begegnet.
*
»Manchmal könnte ich ihn wirklich erwürgen«, beklagte sich Karina.
Liebevoll