Dr. Daniel Staffel 10 – Arztroman. Marie Francoise
hatte, nun hat er mich auch noch zum Nachtdienst eingeteilt.«
Dr. Parker seufzte abgrundtief. »Er ist eine Landplage!«
Karina mußte lachen. »Wenn er das gehört hätte, dann würde er dich auf der Stelle durch den Fleischwolf drehen.« Sie wurde wieder ernst und seufzte ebenfalls. »Hilft nichts, ich muß los.« Voller Zärtlichkeit küßte sie ihren Mann, dann raunte sie ihm zu: »Dafür habe ich morgen frei und da machen wir es uns ganz gemütlich. Nur wir zwei.«
Dr. Parker nickte, mußte dabei aber unwillkürlich an Alec, Pamela und Perry denken, mit denen er sich morgen eigentlich hatte treffen wollen. Allerdings würde das notfalls auch bis übermorgen Zeit haben. Er und Karina hatten so selten gemeinsam frei, daß sie diese Tage weidlich ausnutzen mußten.
»Ich begleite dich noch zum Auto«, bot Dr. Parker an, nahm Karina liebevoll bei der Hand und verließ mit ihr die gemütliche Dachwohnung. Im selben Moment flackerte das Licht und verlöschte dann.
»O nein«, stöhnte Karina. »Schon wieder Stromausfall.« Sie schüttelte den Kopf. »Kaum weht einmal ein stärkerer Wind, schon liegt ganz Steinhausen im Dunkeln.«
Allerdings kannten sie die Tücken ihres Heimatortes zur Genüge und hatten daher immer eine Taschenlampe griffbereit. In deren schwachem Schein, aber ausgelassen kichernd wie kleine Kinder gingen sie die Treppe hinunter und küßten sich noch einmal voller Innigkeit, bevor Karina die Haustür öffnete. Der Wind riß ihr fast die Türklinke aus der Hand und ein Schwall Regen schlug ihr ins Gesicht.
»So ein Sauwetter!« schimpfte sie und blickte in die rabenschwarze Nacht hinaus. Der Sturm hatte tatsächlich ganze Arbeit geleistet. Steinhausen lag in absoluter Finsternis.
»Ich fahre dich nach München«, beschloß Dr. Parker kurzerhand. »Wenn du bei diesem Wetter mit dem Auto unterwegs bist, finde ich ja keine Sekunde Ruhe. Außerdem…«
Karina erfuhr nicht mehr, was Jeff sagen wollte, denn in diesem Moment stolperte sie über die Beine einer am Boden liegenden Gestalt. In der herrschenden Dunkelheit hatten weder sie noch Dr. Parker gesehen, daß da jemand lag.
Jeff richtete den Strahl der Taschenlampe direkt auf das Gesicht der Gestalt und erschrak.
»Perry, um Himmels willen«, stieß er hervor, drückte Karina die Taschenlampe in die Hand und nahm den Jungen kurzerhand auf seine starken Arme.
Karina ging mit ihm hinauf, um ihm den Weg zu leuchten.
»Jetzt muß ich aber wirklich los«, meinte sie. Dr. Parker war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, Karina nach München zu fahren, und der Verpflichtung, sich um den tropfnassen und völlig unterkühlten Jungen zu kümmern, der höchstwahrscheinlich sein Bruder war.
In diesem Moment ging das Licht wieder an. Karina lächelte ihrem Mann beruhigend zu.
»Mach dir keine Sorgen, Jeff, ich komme auch ohne dich heil nach München.« Sie küßte ihn. »Ich rufe dich an, wenn ich da bin.«
Dr. Parker nickte. »Fahr vorsichtig, Liebling.«
Karina verließ die Wohnung nun endgültig, während Jeff den völlig durchnäßten Perry ins Bad brachte. Hier kam der Junge zu sich und begann wie wild um sich zu schlagen.
»Ruhig, Perry«, versuchte Jeff ihn zu besänftigen.»Ganz ruhig, mein Junge, du bist bei mir.«
Perry schluchzte auf. »Sie hat mich geschlagen und… und ausgesperrt. Es war so bitterkalt…«
»Das erzählst du mir alles nachher«, meinte Dr. Parker.
Er hängte ein großes Handtuch über die Heizung und ließ warmes Wasser in die Badewanne laufen, dann zog er Perry den nassen Pyjama aus und verfrachtete ihn in die Wanne – allerdings nur für ein paar Minuten. Anschließend rubbelte er mit dem angewärmten Handtuch seinen Körper trocken und wickelte ihn schließlich in eine Decke.
»Bleib einen Augenblick hier sitzen. Ich werde dir gleich etwas zum Anziehen bringen.«
Perry gehorchte schweigend und wünschte dabei, er wäre zu seinem Onkel gelaufen anstatt hierher. Schließlich kannte er Jeff ja überhaupt nicht. Andererseits hatte er aber zuviel Angst gehabt, im Gasthof zu bleiben… in der Reichweite seiner gnadenlosen Mutter.
Jetzt kam Jeff mit einem Jogginganzug zurück, der Perry zwar um mindestens drei Nummern zu groß, dafür aber angenehm weich und kuschelig war.
»So, mein Junge, hast du Hunger, oder bist du nur müde?« wollte Dr. Parker wissen.
»Müde«, murmelte Perry kraftlos und ließ sich anstandslos ins Gästezimmer bringen. Als er im Bett lag, setzte sich Jeff auf die Bettkante und streichelte sanft über Perrys dunkelblondes Haar, das mittlerweile auch getrocknet war. Wieder zuckte der Junge angstvoll zusammen.
»Wovor fürchtest du dich denn so?« fragte Dr. Parker behutsam, doch Perry schüttelte nur den Kopf.
Plötzlich richtete er sich im Bett auf. »Ich muß nach Hause… zu Onkel Alec… er wird sich schon Sorgen machen.«
»Du bleibst schön im Bett«, befahl Dr. Parker. »Ich werde Alec anrufen und ihm Bescheid sagen.«
Perry gehorchte zwar, doch die Angst war seinen Augen noch immer deutlich anzusehen.
Jeff ging nach nebenan und wählte die Nummer des Steinhausener Gasthofes, dann ließ er Alec Horn an den Apparat holen.
»Parker«, gab er sich zu erkennen. »Perry ist bei mir.«
Alec atmete hörbar auf. »Gott sei Dank. Rebecca hatte ihn wegen einer Nichtigkeit auf den Balkon gesperrt, und als sie ihn wieder hereinholen wollte, ist er offensichtlich haltlos davongelaufen. Ich hätte das gar nicht gewußt, aber sie hat ihn natürlich bei mir gesucht. Nun bin ich froh, daß er in Sicherheit ist. Ich habe mir solche Sorgen gemacht.«
»Was ist das nur für eine Mutter, die ihren Sohn so hart bestrafen kann?« entfuhr es Dr. Parker ungehalten. »Und… entschuldigen Sie meine Direktheit, aber… was sind Sie für ein Mann, daß Sie das nicht verhindern können?«
»Diesen Vorwurf muß ich mir wohl gefallen lassen«, murmelte Alec, dann seufzte er. »Es steckt viel dahinter, wovon Sie keine Ahnung haben.«
»Ich werde Perry über Nacht hierbehalten«, beschloß Dr. Parker kurzerhand. »Vielleicht auch länger, denn ich schätze, die Zeit, in der er Wind und Regen ausgesetzt war, wird nicht spurlos an ihm vorübergehen.«
»Seien Sie vorsichtig, wenn Sie ihn untersuchen und behandeln«, bat Alec spontan. »Tun Sie ihm bitte nicht weh.«
»Ich bin Arzt und kein Menschenschinder«, entgegnete Dr. Parker, dann verabschiedete er sich und legte auf. Er verstand das alles nicht. Alecs Besorgnis und gleichzeitig die offensichtliche Hilflosigkeit seiner Schwester gegenüber, die sich jetzt anscheinend auch in Steinhausen aufhielt… was ging hier bloß vor?
Dr. Parker schüttelte diese Gedanken ab. Wichtig war im Moment nur, sich um Perry zu kümmern. Er kehrte ins Gästezimmer zurück. Erschrocken fuhr der Junge hoch.
»Du mußt vor mir keine Angst haben«, meinte Dr. Parker und setzte sich wieder auf die Bettkante, dann legte er den Handrücken an Perrys Stirn. Sie war glühend heiß. »Ich muß dich jetzt untersuchen, um festzustellen, wie schlimm es dich erwischt hat.«
Heftig schüttelte Perry den Kopf. »Nein, ich will nicht!« Seit er von seinem Großvater bei jeder ärztlichen Maßnahme mehr oder weniger mißhandelt worden war, hatte er vor anstehenden Untersuchungen panische Angst – sogar wenn sein rücksichtsvoller Onkel sie durchführte.
Dr. Parker griff nach seinen zitternden Händen und hielt sie fest. »Hör zu, Perry, ich fürchte, daß du deinen Ausflug im Pyjama mit einer kräftigen Lungenentzündung bezahlen wirst. Je früher ich das feststellen kann, um so einfacher und kürzer wird die Behandlung. Du mußt auch gar keine Angst haben. Ich werde dir nicht weh tun, sondern lediglich deine Temperatur kontrollieren, Herz und Lunge abhören und in deinen Mund schauen. Das ist alles.«
Er