Mami Staffel 10 – Familienroman. Lisa Simon
zart ihren Mund. »Ich liebe dich, Kathrin. Warum hast du dich von mir zurückgezogen?«
Kathrin konnte seinen Blick nicht ertragen und warf den Kopf zur Seite. »Warum wohl?« flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme.
»Ich schicke dir Schwester Hilde, sie soll dir ein Schmerzmittel spritzen. Schlaf dich erst einmal richtig aus.« Leise verließ er das Krankenzimmer und ließ Kathrin in ihrer Verwirrung zurück.
Peter ist Arzt! Plötzlich schämte sie sich dafür, daß sie ihm damals Vorwürfe gemacht hatte, er würde seine Kinder vernachlässigen. Er war stets für kranke Menschen da, und jetzt, nach diesem schrecklichen Glatteis, stand er wohl Stunden um Stunden im OP, um gebrochene Knochen wieder zu richten. Sie hatte wohl bemerkt, wie müde sein Blick war, und trotzdem hatte er ihr aufmunternd zugelächelt.
Oh, Peter, wie gern würde ich in deinen Armen liegen, wie gern deine Haut berühren, deine Küsse spüren, mit den Fingern durch dein Haar strubbeln. Wie gern würde ich meinen Blick in deine blauen Augen versenken. Warum nur hast du diese kühle, elegante Frau gewählt? Paßt sie besser zu deinem gesellschaftlichen Umfeld als eine kleine Schuhverkäuferin?
Kathrin mußte eingestehen, daß die Dame sehr gepflegt, elegant war, Geschmack besaß, Stil hatte. Aber war sie auch herzlich, liebevoll, selbstlos? Würde sie mit Kai und Martin Fußball spielen, Jennys aufgeschlagene Knie verpflastern und Trost spenden? Würde sie Blindekuh spielen, Blumenkränze flechten und Peter abends, wenn er abgespannt aus dem Krankenhaus kam, aufmuntern und entspannen? Bestimmt würde sie ihm in den Ohren liegen, daß sie dringend ein neues Kostüm benötigte, das sie in einer Nobel-Boutique gesehen habe, daß Kai eine schlechte Zensur in Rechtschreibung nach Hause gebracht und Martin sein neues ferngesteuertes Feuerwehrauto kaputtgemacht habe, daß Jenny immer noch in die Windeln machte und sie vor lauter Arbeit nicht mehr dazu kam, ihre Fingernägel zu lackieren.
Trotz kam in Kathrin auf. Wenn Peter auf diese Art von Frauen flog, dann war es wirklich seine eigene Schuld. Vielleicht konnte er gut mit ihr repräsentieren, aber die Kinder konnten einem leid tun.
Daß er tatsächlich noch die Kühnheit besaß, Kathrin zu sagen, daß er sie liebe, setzte allem die Krone auf. Trotz der Nachwirkungen der Narkose hatte sie seine Worte sehr wohl vernommen. Er hatte einfach ihre hilflose Lage ausgenutzt.
*
In Tante Friedels Küche duftete es verführerisch nach Bratäpfeln. Kai, Martin und Jenny saßen erwartungsvoll am Tisch. Jenny leckte sich mit ihrer rosigen Zunge die Lippen und Martin mußte darüber lachen. »Es gibt nichts Besseres als Tante Friedels Bratäpfel«, sagte Martin. Ungeduldig rutschte er auf dem Küchenstuhl hin und her.
»Habt ihr saubere Hände?« fragte Tante Friedel streng. Gehorsam streckten die drei Kinder zur Bestätigung ihre Hände vor. »Gut, dann gibt es jetzt für jeden einen Bratapfel.« Tante Friedel nahm drei Teller aus dem Schrank, spießte die zischenden Äpfel auf Holzstäbchen und verteilte sie auf die Teller. »Vorsicht, heiß!« ermahnte sie die Kinder.
Dann hörte man nur noch genußvolles Schlecken, und sowohl Jenny wie auch Kai und Martin waren bald bis an die Ohren beschmiert mit duftendem Apfelmark und Vanillesoße.
»Was für ein leckerer Duft«, erklang eine Stimme von der Tür her.
»Tante Hella, komm herein!« rief Martin. »Es gibt Bratäpfel!«
»Das riecht man bis in das Treppenhaus!« Die elegante Frau in dem olivgrünen Mantel ließ einige Tüten und Beutel auf dem Korridor fallen.
»Guten Tag, Tante Friedel!«
»Guten Tag, Hella! Sie kommen genau richtig. Für Sie ist auch noch ein Apfel da.« Tante Friedel nahm noch einen Teller aus dem Schrank und piekste einen Apfel auf.
»Aber laß uns noch etwas Vanillesoße übrig!« rief Martin.
Hella lachte. »Keine Bange. Du wirst den Bauch noch voll genug bekommen!«
»Schmeckt es dir?« wollte Kai wissen.
»Prima! Keiner kann die Bratäpfel so vortrefflich zubereiten wie Tante Friedel. Aber wenn wir fertig sind und ihr die Teller abgewaschen habt, lassen wir Tante Friedel in Ruhe ihren Mittagsschlaf machen. Jenny muß auch ins Bett, und für euch habe ich noch eine kleine Überraschung. Ich habe euch Winterhosen und Pullover gekauft und für Jenny ein Kleidchen.«
»Es ist doch noch gar nicht Weihnachten«, wunderte sich Kai.
»Damit wollte ich nicht bis Weihnachten warten, denn in eurem Kleiderschrank sind einige Lücken. Martins Beine ragen schon aus den Hosen heraus, weil er so schnell wächst. Kais Pullover werden auch zu kurz und Jenny hat gar kein schönes Kleidchen mehr, das sie Weihnachten anziehen könnte. Ich muß mal eine richtige Inventur bei euren Sachen machen. Sicher ist noch einiges nötig zu kaufen.«
»Das macht dir doch Spaß. Vati sagt, du kaufst so gern ein.«
Hella lachte. »Allerdings! Ich glaube, ich komme gerade richtig, um wieder ein wenig Ordnung in eure Familie zu bringen.«
Tante Friedel hatte sich mit an den Tisch gesetzt und nickte Hella bestätigend zu. »Er ist ja eine Seele von Mensch, der Herr Doktor«, seufzte sie. »Aber es fehlt doch eine ordnende Frauenhand, die auf alles achtet. Letztens hat Martin wieder riesige Löcher in den Strümpfen gehabt und Kai weigert sich, ein Unterhemd unter dem Pullover zu tragen. Er meinte, ohne Unterhemd sieht es männlicher aus.«
»Meine Socken sind in Ordnung«, verteidigte sich Martin. »Wenn ich groß bin, werde ich Erfinder. Dann erfinde ich Socken, die nicht kaputtgehen und auch nicht schmutzig werden. Dann brauche ich meine Socken nämlich gar nicht mehr zu wechseln…«
»… und dir auch nicht mehr die Füße zu waschen«, ergänzte Hella lachend. »Keine Bange, dafür bin ich ja jetzt da. Ich werde auf euch Racker ein Auge werfen und frischen Wind in den Kleiderschrank bringen.«
»O je!« stöhnte Kai. »Bisher hatte ich den Haushalt eigentlich im Griff. Du bringst ja alles durcheinander.«
»Ganz recht, junger Mann. Aber von deinen Pflichten bist du deshalb noch lange nicht entbunden. Wer ist dran mit Abwaschen?«
Kai und Martin saßen im Kinderzimmer. Martin malte ein Bild, Kai sägte mit einer Laubsäge eine Sperrholzplatte aus. Er wollte ein Vogelhäuschen für die Winterfütterung bauen.
»Hat Papa wieder mal etwas von Kathrin erzählt?« fragte Martin wie beiläufig. »Geht es vorwärts mit den beiden?«
»Weiß nicht!« Kai blickte nicht von seiner Arbeit auf, weil er sich auf das Sägen des Bogens konzentrieren mußte.
»Aber wie lange dauert es denn noch?« fragte Martin ungeduldig.
»Weiß nicht«, wiederholte Kai. »Vati sagte, dazu muß man Geduld haben. Es kann lange dauern.«
»Aber wie lange denn? Ich kann bald nicht mehr warten.«
»Ich habe Vati versprochen, daß wir nichts mehr auf eigene Faust unternehmen. Er war sehr böse wegen dir damals.«
»Wir haben doch nichts mehr gemacht, ich habe Kathrin auch schon lange nicht mehr gesehen. Trotzdem dauert das alles so lange. Was macht Vati denn eigentlich mit Kathrin?«
»Keine Ahnung. Vielleicht geht er mit ihr spazieren oder schreibt ihr Briefe. Er ist ja immer so lange im Krankenhaus. Ich glaube fast, er hat gar keine Zeit für Kathrin.«
Martin horchte auf. »Meinst du?« fragte er.
»Weiß nicht!« Kai hob die Schultern und sägte seelenruhig weiter.
»Und wenn ich für Kathrin ein Bild male? Und du schreibst ihr einen Brief.«
»Ich habe Vati versprochen, daß wir uns nicht einmischen«, wiederholte er.
»Aber ein Bild malen ist doch nichts Schlimmes. Ich mische mich gar nicht ein. Wir stecken ihr das Bild einfach in den Briefkasten. Dann eben ohne Brief.«
Kai blickte seinen Bruder nachdenklich an. »Ich weiß nicht so recht…«