Dr. Daniel Paket 2 – Arztroman. Marie Francoise
nicht, was gut für dich ist, aber der Professor und Dr. Scheibler wissen es. Und ich weiß, daß sie recht haben. Vertraue ihnen. Das Baby und ich… wir brauchen dich.«
Tränen glitzerten in Franz’ Augen. »Annemie, wie soll es denn jetzt nur weitergehen?«
Wieder küßte sie ihn, versuchte ihm Mut und Kraft zu geben.
»Du mußt gesund werden, Franzl.«
Da schluchzte er hilflos auf. »Wenn ich das nur könnte.« Ungeachtet der Infusionsschläuche zog er Annemarie fest an sich. Er wollte sie spüren… in ihren Armen den Mut finden, den er selbst nicht mehr hatte.
»Annemie«, flüsterte er, bevor er völlig erschöpft einschlief.
Annemarie blieb noch eine Weile so liegen, das Gesicht auf seiner Brust. Sie hörte sein Herz ruhig und regelmäßig schlagen und fragte sich unwillkürlich, wie lange das noch der Fall sein würde. Sie sah ja selbst, wie es mit Franz weiter und weiter bergab ging, und wie oft hatte sie sich schon vorgenommen, mit Dr. Scheibler oder Professor Thiersch zu sprechen, doch sie hatte Angst vor den Antworten gehabt, die sie auf ihre Fragen bekommen würde.
Langsam stand sie auf und verließ mit schleppenden Schritten das Zimmer. Draußen traf sie eine Schwester und bat sie, Franz auszurichten, daß sie nach Steinhausen zu Dr. Daniel gefahren sei. Ihre nächste Vorsorgeuntersuchung stand an, doch Annemarie konnte sich auf das Baby nicht so freuen wie andere werdende Mütter, weil der Schatten des drohenden Todes über ihnen allen schwebte.
*
Zur selben Zeit saß Dr. Daniel zusammen mit Dr. Scheibler im Büro von Professor Thiersch. Die Sorge um Annemarie Demel hatte ihn während seiner Mittagspause hierhergetrieben.
»Das Baby verkümmert im Mutterleib, wenn diese extreme Belastung noch lange anhält«, erklärte Dr. Daniel rundheraus. »In der Sorge um ihren Verlobten magert sie praktisch täglich mehr ab.«
Professor Thiersch rückte energisch an seiner dicken Hornbrille herum – ein deutliches Zeichen, wie sehr dieser Fall ihn mitnahm, auch wenn er das niemals zugegeben hätte.
»Himmel noch mal, Daniel, was soll ich denn tun?« brauste er auf. »Soll ich die Hände auflegen und Hokuspokus sagen?«
»So habe ich das nicht gemeint, Herr Professor«, verwahrte sich Dr. Daniel. »Ich weiß genau, daß Sie alles für Herrn Baumgartner tun, was in Ihrer Macht steht. Was ich sagen wollte…« Er zögerte, weil es ihm schwerfiel, die Frage auszusprechen.
»Ich weiß schon, Daniel, Sie wollen wissen, ob er überhaupt eine Chance hat.« Professor Thiersch nahm ihm die Worte ab, dann seufzte er. »Er hat keine. Wir pumpen ihn hier förmlich mit Medikamenten voll, aber der Zerfall ist kaum aufzuhalten, dabei hatte ich gehofft, wenigstens eine kurze Remission zu erreichen. Es ist völlig aussichtslos.«
Niedergeschlagen lehnte sich Dr. Daniel auf seinem Stuhl zurück. Er hatte so gehofft, daß die Prognose des Professors etwas anders ausfallen würde.
»Wäre eine Knochenmarktransplantation eine Möglichkeit?« warf Dr. Scheibler ein.
Professor Thiersch sah ihn an und wußte genau, daß er an seine eigene Krankheit dachte, die er vor einigen Jahren nur mit viel Glück überlebt hatte.
»Ja«, antwortete er dann. »Allerdings nur, wenn sie innerhalb der nächsten zwei, drei Wochen durchgeführt werden könnte. Unglücklicherweise hat Herr Baumgartner keinerlei Verwandtschaft, und sosehr ich mich bemühe… ich treibe einfach keinen Spender auf, dessen Gewebetyp auch nur annähernd dem meines Patienten entsprechen würde.«
Nach den niederschmetternden Worten des Professors schwiegen die Ärzte bedrückt. Schließlich stand Dr. Daniel auf. »Ich muß nach Steinhausen zurück. Fräulein Demel ist die erste Patientin, die heute nachmittag bei mir angemeldet ist.«
Dr. Scheibler folgte seinem Beispiel. »Ich muß auch zurück.«
Sie verabschiedeten sich von Professor Thiersch, der heute ungewöhnlich friedlich gesonnen war.
»Die Geschichte nimmt ihn sehr mit«, stellte Dr. Daniel fest, als er mit Dr. Scheibler den düsteren Flur entlangging.
Der junge Oberarzt nickte. »Er fühlte sich hilflos, und das ist für Professor Thiersch das Schlimmste. Ein Patient, der in seiner Klinik trotz seines Wissens zum Sterben verurteilt ist, ist für ihn das Schrecklichste, was es gibt.«
»Nicht nur für ihn«, murmelte Dr. Daniel und dachte dabei an Annemarie. Sie war zwar nicht unheilbar krank, aber die Gefahr, daß sie durch die ganze unglückliche Situation ihr Baby verlieren würde, war gegeben.
»Robert, ich will Ihnen nicht in Ihre Arbeit dreinreden, aber… sollten Sie der jungen Frau in diesem Fall nicht lieber reinen Wein einschenken? Ich meine…«
»Ich weiß, was Sie meinen, Gerrit«, fiel Dr. Daniel ihm ins Wort. »Ich hatte ohnehin vor, mit Fräulein Demel ein ernstes Gespräch zu führen. Sie ist Krankenschwester und weiß, wie es um ihren Verlobten steht. Ich muß ihr aber bewußt machen, daß sie Gefahr läuft, auch ihr Kind zu verlieren, wenn sie sich jetzt nicht mehr schont.« Er seufzte. »Allerdings ist das leichter gesagt als getan. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie die schwangere Steffi damals gelitten hat, als Sie auf Leben und Tod in der Thiersch-Klinik lagen.«
Dr. Scheibler dachte eine Weile nach. »Vielleicht sollten Sie es mit Fräulein Demel so machen wie damals mit Steffi. Eine Einweisung in die Waldsee-Klinik könnte ihrem Baby möglicherweise das Leben retten.«
»Oder ihre Lage noch weiter verschlimmern«, entgegnete Dr. Daniel. »Damals hielt ich Steffis Aufenthalt in der Klinik für gut, aber wenn ich heute noch einmal die Wahl hätte… ich weiß nicht, ob ich es wieder so machen würde. Steffi hat unter der Trennung von Ihnen mindestens ebenso gelitten wie unter der Gefahr, Sie zu verlieren, und ich könnte mir vorstellen, daß es sich bei Fräulein Demel ganz ähnlich verhält.«
Dr. Scheibler seufzte. »Um diese Entscheidung beneide ich Sie nicht, Robert.«
»Ich fürchte, es ist nicht meine Entscheidung. Ich kann Fräulein Demel höchstens einen Rat geben – mehr nicht.« Genau das war es ja, was ihm so zu schaffen machte. Er fühlte sich hilflos, und das war für ihn das Schlimmste, was er sich vorstellen konnte.
*
Annemarie wartete schon, als Dr. Daniel in der Praxis eintraf. Er entschuldigte sich für die Verspätung und bemerkte dabei, daß Annemarie wieder abgenommen haben mußte.
»Fräulein Demel, ich mache mir große Sorgen um Sie«, kam er gleich zur Sache. »Um Sie und um Ihr Baby. Ich weiß, daß Sie vor Sorge um Ihren Verlobten kaum noch schlafen und essen können, aber Sie müssen dennoch auch an Ihr Kind denken. Es verhungert sonst.«
Annemarie schlug die Hände vors Gesicht und begann haltlos zu schluchzen. Hier in Dr. Daniels Praxis erlaubte sie sich diese Schwäche – bei Franz mußte sie stark sein, auch wenn es ihr von Tag zu Tag schwerer fiel.
»Was soll ich denn nur tun?« stieß sie unter Tränen hervor. »Franz geht es immer schlechter…«
Tröstend legte Dr. Daniel einen Arm um ihre bebenden Schultern. »Ich weiß ganz genau, was Sie jetzt durchmachen, Fräulein Demel.« Er zögerte, dann gestand er leise: »Ich habe meine erste Frau durch Leukämie verloren.«
Mit tränennassen Augen blickte Annemarie zu ihm auf. »Werde ich Franz… auch verlieren?«
Wieder zögerte Dr. Daniel einen Moment, bevor er antwortete: »Sie sind Krankenschwester, und soweit ich es beurteilen kann, eine ganz ausgezeichnete. Ich bin sicher, daß Ihnen nicht entgangen ist, wie es um Ihren Verlobten steht.«
Annemarie sackte auf ihrem Stuhl zusammen. Genau das war es, wovor sie sich immer gefürchtet hatte, und nun schien die Konfrontation mit der Wahrheit unausweichlich.
»Franz wird sterben.« Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, dann sah sie Dr. Daniel wieder an, und er erkannte die Hoffnung in ihren Augen – eine Hoffnung, die er leider nicht erfüllen konnte.