Dr. Daniel Paket 2 – Arztroman. Marie Francoise

Dr. Daniel Paket 2 – Arztroman - Marie Francoise


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Impuls zufolge griff Dr. Daniel nach dem Telefonhörer, rief im Kreiskrankenhaus an und ließ sich mit dem dortigen Chefarzt verbinden. Er hatte Glück, daß Dr. Breuer zu dieser fortgeschrittenen Stunde noch in der Klinik war.

      Dr. Daniel nannte seinen Namen und entschuldigte sich für die späte Störung.

      »Keine Ursache«, entgegnete Dr. Breuer. »Ihre Anrufe stellen für mich nie eine Störung dar, Herr Kollege. Im übrigen bin ich ja hier um zu arbeiten, nicht wahr?«

      »So gesehen haben Sie recht«, stimmte Dr. Daniel zu, dann kam er gleich zur Sache. »Ich habe gerade einen sehr tragischen Fall hier… das heißt, eigentlich bin ich nur indirekt damit befaßt. Es geht um den Verlobten einer meiner Patientinnen, der an Leukämie erkrankt ist und ohne Knochenmarktransplantation unweigerlich sterben wird. Aus diesem Grund bin ich gerade dabei, Nachforschungen über eventuelle Verwandte anzustellen. Die Mutter des jungen Mannes war seinerzeit Patientin bei mir, ist mittlerweile aber verstorben. Anhand meiner Aufzeichnungen hat sie noch ein zweites Kind zur Welt gebracht.«

      »Und dieses Kind soll im Kreiskrankenhaus geboren worden sein?« hakte Dr. Breuer nach.

      »Das weiß ich nicht«, räumte Dr. Daniel ein. »Allerdings liegt das fast zwanzig Jahre zurück, und damals fanden die meisten Entbindungen im Kreiskrankenhaus statt.«

      »Zwanzig Jahre«, murmelte Dr. Breuer. »Damals war ich noch Oberarzt. Meine Güte, wie die Zeit vergeht.« Dann kam er wieder zur Sache. »Nennen Sie mir den Namen der Patientin, dann werde ich sehen, ob ich etwas herausbekomme.«

      »Margarethe Baumgartner«, antwortete Dr. Daniel. »Ihr erstes Kind war ein Junge namens Franz, das zweite müßte ein Mädchen gewesen sein.«

      »Gut, Herr Kollege, ich kümmere mich um die Sache«, versprach Dr. Breuer. »Spätestens Anfang nächster Woche werde ich zurückrufen.«

      Doch der Rückruf des Chefarztes erfolgte noch am selben Abend. Dr. Daniel war gerade im Begriff, zu Bett zu gehen, als das Telefon klingelte.

      »Die Geschichte hat mir keine Ruhe gelassen«, meinte Dr. Breuer. »Im übrigen wäre ich heute sowieso Strohwitwer gewesen, also hatte ich Zeit, unser Klinikarchiv zu durchforschen, und ich bin tatsächlich fündig geworden. Margarethe Baumgartner hat beide Babys hier zur Welt gebracht. Franz war fünfzig Zentimeter groß, hatte ein Geburtsgewicht von sieben Pfund und erreichte beim Apgar-Test zehn Punkte – also ein ganz normal entwickeltes Neugeborenes. Cornelia – so hieß das Mädchen – wurde sechs Jahre später geboren. Auch hier verlief die Geburt ohne Probleme, die Kleine war ebenfalls fünfzig Zentimeter groß und hatte sogar ein Geburtsgewicht von fast acht Pfund. Beim Apgar-Test erreichte sie auch zehn Punkte.«

      »Das Mädchen soll wenige Wochen nach der Geburt gestorben sein«, wandte Dr. Daniel nun ein.

      Dr. Breuer schwieg eine Weile. »Nun ja, Sie sind selbst Arzt und wissen, daß so etwas auch bei einem normal entwickelten Baby passieren kann. Denken Sie nur an den Plötzlichen Kindstod.«

      »Ja, ich weiß«, räumte Dr. Daniel ein. »Aber irgend etwas sträubt sich, an diese Version zu glauben.«

      »Die Sorge um Ihre Patientin und den jungen, leukämiekranken Mann«, vermutete Dr. Breuer. »Wobei ich einräumen will, daß es nach den hiesigen Aufzeichnungen bis zum Entlassungstag keine Probleme gegeben hat. Mutter und Kind waren wohlauf, und ich persönlich würde nach allem, was ich hier sehe, die Möglichkeit, daß das Kind dann gestorben ist, eher als gering einschätzen. Es gibt tausend Möglichkeiten, wie das Baby zu Tode gekommen sein könnte.«

      Das wußte natürlich auch Dr. Daniel. Franz war zu diesem Zeitpunkt schon beinahe schulpflichtig gewesen. Er könnte beispielsweise Keuchhusten bekommen und seine kleine Schwester angesteckt haben. Sie wäre nicht das erste Baby, das an einer Kinderkrankheit gestorben wäre.

      »Jedenfalls danke ich Ihnen recht herzlich für Ihre Bemühungen, Herr Kollege«, meinte Dr. Daniel, verabschiedete sich und legte auf.

      »Was ist denn, Liebling?«

      Von hinten trat seine Frau Manon zu ihm, und als er sich zu ihr umdrehte, legte sie ihre Arme um seinen Nacken.

      »Worüber machst du dir denn schon wieder so große Sorgen?« fragte Manon behutsam weiter.

      Dr. Daniel seufzte und vergrub das Gesicht in ihrem weichen, duftenden Haar.

      »Ich kann den Tod eben nicht akzeptieren«, gab er unumwunden zu. »Vor allem dann nicht, wenn er einen Fünfundzwanzig-jährigen treffen soll.«

      »Das ist aber nicht die ganze Geschichte«, vermutete Manon.

      Dr. Daniel sah sie an und mußte nun sogar ein bißchen lächeln. »Du kennst mich viel zu gut.« Er wurde sofort wieder ernst. »Nein, es ist nicht die ganze Geschichte. Der junge Mann hat Leukämie, und seine Verlobte reibt sich in der Sorge um ihn so sehr auf, daß nicht nur sie selbst in Gefahr gerät zusammenzubrechen – sie hat auch das Baby, das sie erwartet, schon an den Rand des Todes gebracht. Und ich stehe hilflos daneben. Wie soll diese junge Frau zu einem geordneten Lebensrhythmus finden, wenn ihr Verlobter im Sterben liegt?«

      Manon konnte gut nachvollziehen, was in ihrem Mann vorging. Er selbst hatte diese extreme psychische Belastung zweimal durchgestanden – das erste Mal bei seiner Frau, die wenige Wochen nach Diagnosestellung gestorben war, das zweite Mal bei ihr – Manon. Sie war damals nur durch eine Knochenmarktransplantation gerettet worden.

      »Robert.« Manons Stimme klang besorgt, und in ihren Augen konnte er lesen, was sie dachte.

      Er schüttelte den Kopf. »Ich denke dabei nicht an das, was ich selbst…« Er stockte, dann seufzte er tief auf. »Doch, natürlich denke ich auch daran. Was soll ich nur tun, um…« Er unterbrach sich mitten im Satz, weil ihm plötzlich ein Gedanke kam.

      Margarethe Baumgartner hatte bis zu ihrem Tod in Steinhausen gelebt, und der einzige Allgemeinmediziner hier war zu jener Zeit der alte Dr. Gärtner gewesen, dessen Praxis Manon vor etlichen Jahren übernommen hatte. Wäre die kleine Cornelia ernsthaft krank gewesen, hätte sich ihre Mutter mit Sicherheit an den einzigen Arzt des Ortes gewandt.

      »Manon, hast du noch die alten Karteikarten von Dr. Gärtner?« wollte er wissen.

      Seine Frau nickte. »Selbstverständlich. Ich habe ja alle seine Patienten übernommen, und seit ich die Praxis führe, ist kaum jemand abgesprungen, es sei denn durch Umzug in einen anderen Ort. Auch die abgelegten Karteikarten habe ich aufbewahrt. Sie sind unten im Keller, in dem alten Eisenschrank.« Sie hielt Dr. Daniel zurück, als er sich sofort der Tür zuwandte. »Moment mal, Robert, du willst doch wohl nicht heute noch dort unten herumsuchen. Es geht bereits auf Mitternacht zu.«

      »Ich könnte jetzt sowieso nicht schlafen«, wandte Dr. Daniel ein und küßte Manon flüchtig. »Geh ruhig ins Bett, Liebes. Ich komme dann nach.«

      »Robert…«, begann Manon noch einmal, doch da war er schon draußen, und sie wußte, es würde keinen Sinn haben, ihm zu folgen. Die Sorge um seine Patienten, oft auch um Menschen, die nicht zu seinen Patienten gehörten, war stärker als alles andere. Dr. Daniel tat grundsätzlich alles mit ganzem Herzen, und das war auch ein Grund, weshalb Manon ihn so sehr liebte.

      *

      Die nächtliche Suche im Keller hatte für Dr. Daniel keinen Erfolg gebracht. Unter den Karteikarten des alten Dr. Gärtner war keine gewesen, die auf den Namen Cornelia Baumgartner lautete, während die Karte von Margarethe Baumgartner ordnungsgemäß abgelegt war, doch die Eintragungen beschränkten sich auf die vielfältigen kleineren Erkrankungen der Patientin: grippale Infekte, ein verstauchtes Handgelenk und ähnliches. Die letzte Eintragung war die Auswertung einer Blutprobe und der Vermerk, daß die Patientin wegen Verdachts auf Leukämie in einer Münchner Klinik überwiesen worden war. In der Praxis seiner Frau fand Dr. Daniel dann auch die Karte über Franz, doch sie gab natürlich kei-nerlei Aufschluß darüber, ob dieser auch eine Schwester gehabt hatte.

      Alles in allem war Dr. Daniel mit den Ergebnissen seiner Suche nicht zufrieden. Doch dann kam ihm ein Gedanke, und er fragte sich, weshalb er nicht gleich darauf gekommen


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