Mami Staffel 12 – Familienroman. Sina Holl
du darfst nicht zulassen, daß Papa mich mitnimmt!«
Bestürzt nahm Silvia ihren aufgebrachten Sohn in die Arme. »Das werde ich niemals zulassen.«
»Versprochen?« Unter Tränen sah Alex zu seiner Mutter hoch.
»Versprochen.« Sie schloß die Augen und betete, daß sie dieses Versprechen halten konnte.
*
Der Termin der Scheidung stand mittlerweile fest, und Silvia erwartete ihn mit Bangen. Sonja hatte nicht herausbekommen, wie sich der Richter wegen des Sorgerechts entschieden hatte. Bei einer Kaffeepause in der Gerichtskantine sagte sie: »Löhrmann müßte ein Ungeheuer sein, wenn er Robert das Sorgerecht geben würde.«
»Das denke ich ja auch immer, aber dann kommen mir wieder Zweifel. Was soll ich denn tun, wenn man mir Alex wirklich wegnimmt?«
»Dann legen wir Einspruch ein. Aber so weit wird es nicht kommen.«
»Dein Wort in Gottes Ohr«, sagte Silvia ironisch. »Ich weiß gar nicht, wie ich die Zeit bis zum Scheidungstermin überleben soll.«
»Es ist ja nicht mehr lange bis dahin. Was hast du danach eigentlich vor?«
»Was sollte ich denn vorhaben?«
»Ich meine, wegen Stefan. Hast du schon bemerkt, daß er kein Wort mehr über Anke verliert?« Sonja sah die Freundin eindringlich an. »Ich wette, er ist gar nicht mehr mit ihr zusammen.«
»Was du immer so denkst. Ich habe dir doch gesagt, daß ich mit meinen Kindern allein leben will, wenn dies alles vorüber ist.«
»Das sagst du doch nur so. Ich sehe doch, daß dir Stefan noch längst nicht egal ist.«
»Ich habe meinen Kindern versprechen müssen, daß wir für uns allein bleiben«, beharrte Silvia auf ihrer Meinung.
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß Jana und Alex so egoistisch sind, daß sie dir ein zweites Glück nicht gönnen. Ich glaube eher, daß du Angst hast, Stefan die Wahrheit zu sagen.«
Silvia sah sich hastig um. »Mußt du denn so schreien?«
»Ich habe nicht geschrien, aber du erscheinst mir etwas gereizt.«
»Entschuldige, ich weiß im Moment manchmal selber nicht, wie ich mich benehme. Einige meiner Klienten haben mich auch schon eigenartig angesehen, wenn ich ihnen anscheinend etwas ganz anderes erzähle, als sie hören wollten.«
»Wenn du so weitermachst, wirst du noch deine Klienten verlieren«, witzelte Sonja. »Jana fragte mich letztens, ob ich es für möglich halte, daß Robert Alex zugesprochen bekommt. Du hast mit ihr darüber geredet? Findest du es sinnvoll, daß sie es weiß?«
Silvia hob ratlos die Hand. »Was sollte ich denn tun? Ich bin mir auch nicht mehr sicher, ob es richtig war, sie einzuweihen. Sie läuft neuerdings oft mit sorgenvoller Miene herum.«
»Hast du ihr auch gesagt, wer ihr wahrer Vater ist?« fragte Sonja leise.
»Natürlich nicht! Ich wünschte, ich hätte überhaupt niemandem davon erzählt.«
»Also, ich bin froh, daß du mich eingeweiht hast.«
Silvia warf der anderen einen warnenden Blick zu. »Ich hoffe, du wirst mein Vertrauen nicht mißbrauchen.«
»Niemals. Du mußt selber wissen, was du tust. Aber wenn du mich fragst…«
»Ich frage dich aber nicht«, gab Silvia schnell zurück. »Und jetzt wechsele bitte das Thema, da hinten kommt die Kollegin Wagner, du weißt doch, wie neugierig sie ist und bei allem, was sie hört, die Ohren spitzt.«
*
Silvia schlug die Augen auf und wußte im ersten Moment gar nicht, wo sie sich befand. Sie hatte sich bis in die frühen Morgenstunden ruhelos im Bett herumgewälzt, und als sie schließlich doch einschlief, hatte sie geträumt, daß Robert ihr Alex aus den Armen riß und mit ihm lachend in der Dunkelheit verschwand.
Silvia griff nach ihrem Wecker. Es war Zeit zum Aufstehen! Normalerweise machte es ihr nichts aus, früh aus den Federn zu steigen, aber an diesem Tag war alles anders – es war der Tag der Scheidung!
In ein paar Stunden wußte Silvia, ob sie ihren Sohn verlieren würde. Sie hatte den Kindern absichtlich nichts gesagt, damit sie unbefangen zur Schule gehen konnten.
Silvia hatte erklärt, daß sie zur Mittagszeit nicht nach Hause kommen würde, was hin und wieder tatsächlich vorkam.
Susi würde mittags kommen und für die Kinder eine Kleinigkeit kochen.
»Du siehst so blaß aus, Mami«, sagte Alex prompt am Frühstückstisch. »Geht es dir nicht gut?«
»Nur ein bißchen Kopfschmerzen. Du weißt doch, daß ich öfter mal welche habe bei diesem trüben Wetter.«
»Dann nimm doch eine Tablette«, schlug er vor.
Jana blickte ihre Mutter skeptisch an, und sofort setzte Silvia eine heitere Miene auf. »Also, tanzt Susi nachher nicht auf der Nase herum, verstanden? Und vergeßt nicht, mit Tobi Gassi zu gehen; ihr wißt ja, daß man ihn bei diesem Wetter direkt hinauszerren muß.«
»Wird gemacht«, sagte Jana. »Los, Alex, wir müssen uns jetzt auf den Weg machen. Viel Spaß bei der Arbeit, Mama.«
»Den werde ich heute bestimmt haben«, sagte sie leichthin und drückte jedem Kind einen Kuß auf die Wange. Nachdenklich sah sie ihnen nach, als sie das Haus verließen.
Was würde dieser Tag wohl bringen?
*
Die Tür des Gerichtssaales II wurde wütend aufgestoßen. Heraus stürmte Robert Kirstein, gefolgt von seinem Anwalt Dr. Clausen.
»Das können die doch nicht einfach machen!« rief er so laut, daß sich mehrere Leute neugierig nach ihm umdrehten. »Das lasse ich mir nicht gefallen.«
»So beruhigen Sie sich doch, um Gottes willen«, redete Dr. Clausen auf Robert ein. »Ich hatte Ihnen doch vorher schon gesagt, daß Sie keine große Chance haben, das Sorgerecht für den Jungen zu bekommen.«
Robert erwiderte wütend: »Wofür bezahle ich Sie eigentlich, wenn Sie nicht fähig sind, mir zu meinem Recht zu verhelfen?«
Dr. Clausen rückte empört seine Goldrandbrille zurecht. »Also, erlauben Sie mal…«
»Ich erlaube gar nichts!« rief er unwirsch aus. »Ein anderer Anwalt hätte es bestimmt geschafft, daß ich Alex mitnehmen kann.«
»Das hätte kein Anwalt geschafft«, verteidigte sich Dr. Clausen. »In diesem Fall hat der Familienrichter bestimmt, was das Beste für Ihren Sohn ist.«
»Pah, das Beste! Woher will der das denn wissen?«
»Vielleicht aus Erfahrung?«
»Immerhin bin ich Alex’ Vater! Habe ich denn überhaupt nichts zu sagen?«
Der Anwalt schwieg. Er wußte, daß kein noch so vernünftig ausgeführtes Argument den rasenden Mann vor sich zur Raison bringen konnte.
Im Gerichtssaal umarmten sich Silvia und Sonja abwechselnd weinend und lachend. Richter Löhrmann sah schmunzelnd zu.
»Ich danke Ihnen vielmals«, sagte Silvia schließlich, und es war ihr vollkommen egal, daß ihr Make-up verschmiert war.
»Vielleicht revanchieren Sie sich damit in Zukunft, daß Sie es mir bei Ihren Mandanten nicht mehr so schwer mit den Urteilen machen, Frau Anwältin.«
»Ich werde mein Bestes tun«, erwiderte sie strahlend. »Muß ich eigentlich Angst haben, daß mein Ex-Mann Berufung gegen das Urteil einlegt?«
Der Richter wiegte sein schweres Haupt. »Theoretisch könnte er dies wohl tun, aber er hätte keine Aussicht auf Änderung des Urteils. Ich hoffe, Dr. Clausen wird ihn darüber aufklären. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, der nächste Fall wartet.«
»Robert