Ein Thron aus Knochen und Schatten. Laura Labas

Ein Thron aus Knochen und Schatten - Laura Labas


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gelangen. Die Tore dürfen nie wieder geöffnet werden. Es gibt bereits zu viele Monster hier. Wir können nicht noch mehr einlassen.« Ihre hellbraunen Augen bohrten sich eindringlich in meine. Ich erkannte, dass sie überzeugt war von dem, was sie da sagte. Aber wurde diese Geschichte dadurch wahr? Die Worte meiner Mutter kamen mir wieder in den Sinn. Lucy ist verrückt. Meine Schwester ist unfähig, Traum und Realität voneinander zu unterscheiden. Aber Lucy hatte recht gehabt. Im Gegensatz zum Rest der Welt hatte sie den Untergang der Welt, wie wir sie kannten, vorhergesehen.

      »Wer hat diesen Schlüssel erschaffen? Woher stammt er?«

      »Das konnte mir Minerva nicht sagen. Sie war die Trägerin vor mir und ihr war der Schlüssel von einer anderen Frau gegeben worden, die ihr ihre Identität nicht preisgegeben hatte.«

      »Klingt alles sehr …«

      »Es ist die Wahrheit, Alison. Solange der Schlüssel in mir existiert, kann er von niemandem gefunden werden. Ich beschütze ihn und er gibt mir Kraft und Stärke. Durch ihn bin ich zu einer besseren Kämpferin geworden. Und das Gleiche wird er für dich tun.«

      »Was?«, stieß ich atemlos hervor. Ich sank tiefer in den Sessel, wollte mit ihm verschmelzen.

      Lucy ließ sich auf keine unnötigen Erklärungen ein, sondern befahl mir, mich obenrum frei zu machen. Allein jahrelanges Training unter ihr ließ meinen Körper reagieren.

      Ich erhob mich, zog Jacke und Pulli aus und fuhr mir frierend über die Oberarme. Eine Gänsehaut hatte sich auf meinem Körper ausgebreitet.

      »Keine Angst«, versuchte mich meine Tante zu beschwichtigen, doch davon kam nichts bei mir an. Ich fühlte mich allein, hilflos, entblößt. »Gib mir deine Hand.« Es war mir unmöglich, mich ihr zu widersetzen und so streckte ich meine Hand aus, die sie über die Wölbung legte, die sich unnatürlich hart unter meinen Fingern anfühlte. »In naher Zukunft werde ich dir diesen Schlüssel überreichen, der dich genauso beschützen wird, wie er mich beschützt hat. Doch ich erlaube dir schon jetzt, ihn vorher einmal zu halten. Zu sehen. Ihn zu fühlen.«

      Ich spürte die Wärme unter meiner Hand, die fast unerträglich heiß wurde, ehe meine Finger von etwas zurückgestoßen wurden und sich danach reflexartig um den hervorkommenden Gegenstand schlossen. Es war der Griff eines goldenen, blutbesudelten Schlüssels, den ich Stück für Stück hervorzog. Mir wurde schlecht.

      »Weiter«, keuchte Lucy, als würde sie starke Schmerzen erleiden.

      Nachdem ich den Schlüssel aus ihrem Körper gezogen hatte, schloss sich die Wunde so schnell, dass ich fast glaubte, sie wäre niemals da gewesen.

      Ich wog ihn unsicher in meinen Händen, prägte mir seine Form ein und staunte darüber, dass Lucy doch nicht vollkommen wahnsinnig geworden war. Sie legte einen Finger unter meine Rippen.

      »Dort wirst du ihn später fühlen können. Glaub mir, es ist ein fantastisches Gefühl.«

      Damit war der Augenblick der Untersuchung abgeschlossen. Lucy führte meine Hände, während wir den groben Schlüssel, der fast so lang war wie meine Handfläche, gemeinsam zurück durch ihre Haut schoben.

      Zwei Jahre später würde es die meine sein. Es würde ein wenig ziehen, aber alles in allem nicht sonderlich wehtun, anders offenbar, als wenn man ihn herauszog. Ich würde spüren, wie sich etwas in meinem Körper veränderte, aber das Adrenalin, das durch meine Adern schoss, würde alles taub und verschwommen wirken lassen. Schließlich würde auch das Ende des Schlüssels verschwinden und die Wunde sich schließen. Etwas Blut würde zurückbleiben, zusammen mit der Wölbung, die ich Jahre zuvor das erste Mal bei Lucy gesehen hatte.

      »Du bist nun die Hüterin, Alison. Der Schlüssel wird dir die Kraft geben, deine Rolle als Rache einzunehmen. Wenn du dein Ziel erreicht hast, gib den Schlüssel weiter«, würde sie sagen, als wüsste sie bereits, dass sie mit der Weitergabe ihren eigenen Tod besiegelte. Ein paar Monate später würde sie im Kampf gegen einen Schattendämon, den ich daraufhin für sie tötete, sterben.

      Mein Ziel. Ich durfte mein Ziel nie aus den Augen verlieren. Meine Rache würde über allem stehen.

      Nun legte sie die Hände auf meine Schultern und wartete, bis ich ihren durchdringenden, fast schon fanatischen Blick erwiderte. »Aber was auch immer du tust, öffne niemals das Portal.«

      »Niemals«, wiederholte ich leise.

      Rache.

      Ich bin Rache, hallte es in mir nach und das erste Mal spürte ich bei dem Gedanken so etwas wie Angst in mir aufflackern.

      Kapitel Zwei

       Der Rebell

       Jetzt – Plowth, in den Rayons

      Colin hob seine Hand auffordernd zum Barkeeper und deutete, nachdem er den Blickkontakt hergestellt hatte, auf sein leer gewordenes Glas. Es war nicht sonderlich klug, noch mehr Alkohol zu trinken, aber das hatte er auch nicht vor. Es galt lediglich, seine Beobachter in dem Glauben zu lassen, er würde sich wohl genug fühlen, sich zu betrinken. Colin erwartete keine direkte Bedrohung, aber wenn er fern von Zuhause einen Auftrag erledigte, galt für ihn stets höchste Wachsamkeit. In dieser Bar, die mit rund einem Dutzend Tunichtguten gefüllt war, rechnete er allerdings nicht mit Ärger.

      »Und Matthew Teagan hat dich hergesandt, um uns zu rekrutieren?«, wiederholte ein bärtiger Mann mit langen braunen Zöpfen zum gefühlt hundertsten Mal. Colin sollte besser nicht die Geduld verlieren, aber beim Herrn im Himmel, dieser Kerl stellte ihn eindeutig auf die Probe.

      »Ganz genau. Wir müssen unsere Reihen weiter aufstocken. Es gibt keinen Grund für euch, euch hier hinter den Röcken eurer Frauen zu verstecken«, stieß Colin gereizt hervor. Er war der Vertreter von Matthew Teagan, dem Anführer der Rebellen. Sobald die Worte seinen Mund verlassen hatten, ahnte er jedoch, dass es die falschen gewesen waren. Warum lief heute nur alles schief?

      Vor seiner Abreise hatte er sich bestens vorbereitet und Plowth für seinen ersten Stopp ausgewählt, da sie in dieser Menschenstadt im südlichen Teil der Rayons bisher gute Erfahrungen gemacht hatten. Schon vier Rekruten hatte Keera bei ihren zwei Besuchen nach Hause gebracht. Vier!

      Kopfschüttelnd überlegte er sich einen Weg aus der Misere. Vielleicht wäre sein Vorhaben besser verlaufen, wenn er Brüste und ein charmantes Lächeln gehabt hätte. Was für eine Ironie! Er wollte Kämpfer und willensstarke Männer und Frauen, wieso sollte er sich dafür verstellen müssen? Reichte es ihnen nicht, dass er muskulös, gut ausgebildet und gesund aussah? Zudem besaß er die besten Waffen weit und breit und er hatte gesehen, wie diese bei seinem Eintritt von den Barbesuchern bewundert worden waren. Nein, anscheinend hatte er einen falschen Tag und die falsche Meute an Leuten erwischt. Möglicherweise war es das Beste, den Tag – oder eher die Nacht – auf sich beruhen zu lassen und morgen einen neuen Versuch zu starten.

      »Was hast du da gerade gesagt?«, schnaufte ein Glatzkopf, der neben dem Bärtigen saß, und ballte bereits die Fäuste.

      Colin bemühte sich, nicht die Augen zu verdrehen. Wem machte er eigentlich etwas vor? Natürlich wollte er diese griesgrämigen Männer nicht in seinem Trupp haben.

      »Tut mir leid, war nicht so gemeint«, entschuldigte er sich möglichst aufrichtig und hob dann mit einer Hand sein neu gefülltes Glas an. »Zu viel getrunken, wisst ihr?«

      Das schien die Runde für den Moment zu beruhigen, doch die unterschwellige Anspannung blieb. Colin wusste, dass er schnellstmöglich abhauen musste, um keine unwiderrufliche Katastrophe herbeizuführen. So war er manchmal. Der Hitzkopf ging mit ihm durch und verschlang seinen kompletten Menschenverstand, um ihn zwei Stunden später auszukotzen. Darauf konnte er heute getrost verzichten.

      »So, ich …«, begann er, kam aber nicht weiter, da er von einem ohrenbetäubenden Knall unterbrochen wurde. Die Erde erzitterte unter ihm.

      Schreie


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