Geschichte Österreichs. Walter Pohl L.
Möglicherweise führt es zu einem besseren Verständnis der Falsifikate, wenn diese an ihren Zeitbedingungen gemessen werden. Das im europäischen Vergleich späte Entstehungsdatum der rudolfinischen Fälschungen hängt jedenfalls, wie zuletzt bemerkt wurde, aufs engste mit der »geringen Dichte« der Staatlichkeit im spätmittelalterlichen Reich zusammen.
Was bezweckte Rudolf mit den Fälschungen? Nach Peter Moraw war das Ziel, »sich nach oben zu fälschen«, die Stellung des Hauses Österreich innerhalb des Reiches aufzuwerten, gleichsam nebenbei sei dann noch der eine oder andere kleine aktuelle Vorteil »mitgenommen« worden. Dem umfassenden Charakter des rudolfinischen Programms, wie es in den Fälschungen zusammengefasst erscheint, dürfte eine derartige Einschätzung nicht ganz gerecht werden. Zeremonielle Forderungen Rudolfs, wie jene, die Belehnung in Österreich zu empfangen oder bei königlichen Hoftagen gleich nach den Kurfürsten zur Rechten des Kaisers zu sitzen, ordnen sich zwanglos in die gemäß den Spielregeln der aristokratischen Gesellschaft ausgetragene Rangkonkurrenz im spätmittelalterlichen Reichsgefüge ein. Und hierher gehören auch die in den Fälschungen von Rudolf reklamierten Titel (Pfalzerzherzog, palatinus archidux), Würden und Insignien (Zackenkrone mit Kreuz). Keineswegs nebensächlich sind indessen all jene Rechtspositionen des Fälschungskomplexes, die die habsburgischen Länder betrafen und auf eine weitere Intensivierung der Landesherrschaft abzielten: Das Reich darf in Österreich keine Lehen haben, und alle weltlichen Gerichte im Land gehen vom Herzog zu Lehen. Gleich wie für die Kurfürstentümer gelten ein Teilungsverbot und die Primogeniturerbfolge. Von zentraler Bedeutung ist schließlich der im Fälschungskomplex arrogierte Anspruch, alle Rechte des Herzogtums Österreich auf die übrigen habsburgischen Länder zu transferieren. Deutlich zeichnet sich hier Rudolfs Vorstellung von einem unteilbaren Großterritorium ab, in welchem dem Herzogtum Österreich die tragende Rolle zugedacht war und die übrigen habsburgischen Länder eine Art Erweiterung dieses Kernlandes bilden sollten. Es war ein maximaler Forderungskatalog, den Rudolf mit den gefälschten Urkunden vorlegte, und als solchen scheint ihn der direkt herausgeforderte Schwiegervater Karl IV. auch begriffen zu haben. Denn obwohl der vom Kaiser 1361 mit einer Prüfung der Urkunden betraute Humanist Francesco Petrarca ein vernichtendes Urteil über die pseudoantiken Texte des Fälschungskomplexes abgab, verwarf Karl die Falsifikate nicht rundweg, sondern ließ ein begrenztes Verhandeln über einzelne Punkte zu.
Das meiste von den im Maius-Fälschungskomplex ausgebreiteten politischen Ideen kehrt in Rudolfs Regierungspraxis wieder. Den in den gefälschten Urkunden geschaffenen Titel eines Pfalzerzherzogs hat er tatsächlich geführt, und zwar so lange, bis ihm Kaiser Karl dies scharf untersagte, befürchtend, dass Rudolf die Pfalzwürde zu einem Reichsvikariat in den habsburgischen Ländern ausbauen könnte. Behalten durfte der Habsburger allein den politisch harmlosen Erzherzogstitel. Auch die im Fälschungskomplex beanspruchte Krone hat ihren Platz in der politischen Realität; auf Siegelstempeln und dem berühmten Porträtbildnis, das über Rudolfs Hochgrab im Stephansdom hing, trägt der Fürst ein kronenartiges Insigne samt Bügel. Wahrscheinlich hat Rudolf sich ein solches Diadem auch anfertigen lassen. Die in den Falsifikaten postulierte Lehenshoheit über alle Gerichte in seinen Ländern brachte Rudolf unter anderem gegenüber den Grafen von Schaunberg in Oberösterreich machtvoll zur Geltung. Nur das in den gefälschten Urkunden angepeilte Primogeniturprinzip vermochte er seinen beiden jüngeren Brüdern gegenüber nicht durchzusetzen. Die Hausordnung von 1364 räumte, der tatsächlichen Vormachtstellung Rudolfs Rechnung tragend, dem Ältesten zwar eine klare Vorrangstellung in der Regierung der Länder ein, hielt aber an der grundsätzlichen Teilhabe aller Familienmitglieder an der Herrschaft fest.
Von den wirtschaftspolitischen Maßnahmen Rudolfs hat nur eine langfristig Bedeutung erlangt, die Einführung des sogenannten Ungeldes, einer zehnprozentigen Getränkesteuer. Vom Herzog gegen den Verzicht auf den jährlichen Münzverruf (eine in regelmäßigen Abständen vorgenommene Münzverschlechterung) seit 1359 im Herzogtum Österreich eingehoben, wurde diese Steuer dank einer dynamischen Aufkommensentwicklung bald schon zum wichtigsten Finanzträger des Landesfürstentums.
Breiten Raum nahm in den Plänen Rudolfs die Stadt Wien ein, deren Entwicklung zur Residenzstadt in den Jahren von 1358 bis 1365 eine unerhörte Dynamik und einen ersten vorläufigen Höhepunkt erlebte. Das Bild der Königsstadt Prag vor Augen, ging Rudolf planmäßig an den Ausbau Wiens zum ideellen und wirtschaftlichen Zentrum des habsburgischen Länderkomplexes. Im März 1359 legte der Herzog den feierlichen Grundstein zu einem domartigen Erweiterungsbau der Pfarrkirche St. Stephan, eine demonstrative bauliche Vorwegnahme der am Widerstand des Passauer Diözesanbischofs scheiternden Erhebung Wiens zum Bistum. In diese Kirche, die Rudolf zur habsburgischen Familiengrablege erkor und die er zu einem sakral-symbolischen Mittelpunkt Österreichs, zu einer capella regia Austriaca, machen wollte, ließ er weitum zusammengetragene Reliquien transferieren, ein Reliquienschatz, der dem Heil von Land und Dynastie dienen sollte. Nachdem ursprünglich die Wiener Hofburg als Standort vorgesehen war, erhielt in der Wiener Stephanskirche dann auch das von Rudolf IV. nach Prager Vorbild gestiftete vornehme Allerheiligenkapitel mit einem gefürsteten Propst und 24 Chorherren seinen Sitz. Erst knapp vor seinem Tod gelang es Rudolf, sein Residenz-Programm für Wien mit einem aus der Sicht der Zeitgenossen wahrhaft königlichen Projekt, der Gründung einer Universität, zu krönen. Der feierliche Stiftbrief der Wiener Alma mater datiert vom 12. März 1365, die päpstliche Genehmigung, die nur ohne theologische Fakultät gewährt wurde, vom 18. Juni dieses Jahres. Rudolf orientierte sich am Modell der Pariser Universität, von wo auch der Wiener Gründungsrektor Albert von Sachsen kam. Mit der Bestellung des Propstes von St. Stephan zum Universitätskanzler unterstrich der Herzog den Wunsch nach einer engen und dauerhaften Verbindung seiner beiden bedeutendsten Stiftungen. Großzügige Vorsorge traf Rudolf für ein weiträumiges an die Burg anschließendes Studentenviertel, dessen Realisierung der vorzeitige Tod des Herzogs indes verhinderte.
Der größte territorialpolitische Erfolg Rudolfs IV., die Erwerbung Tirols für die Habsburger, stellte sich im Jahre 1363 ein. Langjährige, geduldige Vermittlungsarbeit von Herzog Albrecht II. an der Kurie hatte das Tiroler Fürstenpaar Ludwig und Margarethe ganz ins habsburgische Fahrwasser gebracht, und noch ehe der päpstliche Bann, der auf den beiden wegen ihrer kirchenrechtswidrigen Ehe lag, 1359 endlich gelöst wurde, kam eine Heirat zwischen Meinhard III., dem einzigen Sohn und präsumtiven Erben des Tiroler Fürstenpaares, und der Habsburgerin Margarethe, einer Tochter Albrechts II. und Schwester Rudolfs, zustande. Doch als Markgraf Ludwig von Brandenburg 1361 überraschend starb und der junge Erbe Meinhard sich tief in innerfamiliäre Interessenkonflikte des wittelsbachischen Hauses verstrickte, drohte Tirol den Habsburgern wieder gänzlich zu entgleiten. In dieser Situation gelang es Tiroler Adels- und Städtevertretern, Meinhard III. mit einem drängenden Schreiben dazu zu bringen, aus München nach Tirol zu kommen. Herzog Rudolf könnte bei dieser Aktion seine Hände im Spiel gehabt haben – sie kam dem Habsburger jedenfalls gelegen. Freilich schon drei Monate später, Mitte Jänner 1363, war Meinhard tot, und seine Mutter Margarethe geriet in eine Art Kuratelverhältnis zum Tiroler Adel, der die Macht im Lande an sich riss und sich im großen Stil Güter und Privilegien zuschanzte. Nun griff der österreichische Herzog zu. Bereits auf dem Wege nach Tirol, als sein Schwager Meinhard starb, bewog er Margarethe in Bozen am 26. Jänner 1363, Tirol unter Vorbehalt der Regentschaft ihm und seinen Brüdern als nächsten Verwandten zu übertragen. Das Einverständnis des Tiroler Adels zu dieser folgenschweren Entscheidung gewann Rudolf durch entsprechende Zugeständnisse, möglicherweise auch unter Einsatz gefälschter Urkunden. Noch drohte der habsburgischen Herrschaft in Tirol indes Gefahr, insbesondere durch die Wittelsbacher. Eine Erhebung des heimischen Adels, bei welcher Rudolf offenbar persönlich in Lebensgefahr geriet, scheiterte im Sommer 1363 an der Entschlossenheit der Bürger von Innsbruck und Hall. Nun erst verzichtete Margarethe endgültig auf alle ihre Rechte. Sie zog sich nach Wien zurück, wo sie 1369 starb. Vonseiten der Wittelsbacher sollten noch mehrere militärische Vorstöße nach Tirol erfolgen, der massivste im Jahre 1368, der Übergang des Landes an die Habsburger war jedoch irreversibel geworden. Dies lag nicht zuletzt daran, dass Rudolf die beiden Hochstifte Trient und Brixen eng an das Haus Österreich zu binden vermochte. Im Falle Trients geschah dies durch ein Abkommen, das den Habsburgern als Tiroler Landesfürsten ein weitgehendes Durchgreifen im Gebiet dieses Hochstifts erlaubte. Der Brixner Bischofsstuhl entwickelte sich in den folgenden Jahrzehnten überhaupt zu einem »Hausbistum« der Habsburger, das diese als Versorgungspfründe für