William Lovell. Ludwig Tieck

William Lovell - Ludwig Tieck


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Sie von mir nicht erwarten; ich bin wohl, soweit man es beim Bewußtsein sein kann, daß ein geliebter Vater leidet. In einigen Wochen werd ich Paris verlassen; – ich habe hier einen Freund gefunden, einen Jüngling von vortrefflichem Herzen, Balder, einen Deutschen. Er wird mit mir die Reise nach Italien machen. Sein Sie unbesorgt, diesem darf ich trauen, auch Mortimer schätzt ihn. – Ein Italiener, Rosa, wird uns auch begleiten; seine Bekanntschaft wird mir in Italien manche Vorteile verschaffen, er hat viel Verstand und feine Welt, aber mein Freund wird er nicht leicht werden können. – Ich hoffe in Ihrem nächsten Briefe zu erfahren, daß Sie gänzlich wiederhergestellt sind; bis dahin werde ich in beständiger Furcht leben.

      Nachschrift. Der alte Willy ist über Ihre Krankheit sehr traurig, er hat durchaus ein Blatt an Sie einlegen wollen, und ich habe es dem alten ehrlichen Manne nicht abschlagen mögen.

      14

      Willy an den Herrn Walter Lovell

      Paris.

      Daß Sie noch auf Ihre alten Tage Krankheiten auszustehen haben, hat mich wahrlich herzlich gejammert; doch freilich kommen sie dann am liebsten, denn dann hat der Mensch nicht mehr so viele Kräfte sich gesund zu machen. Ich möchte Sie gar gerne trösten und Ihnen noch viel lieber helfen; aber wenn Gott bei solchen Gelegenheiten nicht das Beste tut, so will die menschliche Hülfe wenig sagen. Es ist aber schade, daß ein so guter christlicher Herr, wie Ihre Gnaden doch in dem vollsten Maße sind; was auch Ihre Feinde nicht von Ihnen ableugnen können, so viel Unglück und Leiden in dieser Welt erdulden soll; wenn das nicht nachher, wenn das Leben hier ausgegangen ist, wieder gutgemacht wird, so ist das nicht ganz recht und billig. Ich wollte, ich könnte Ihnen nur etwas von meiner überflüssigen Gesundheit abgeben, denn ich bin hier immer, seit ich auf die Reisen gehe, ganz frisch und gesund, und das ist mein Herr William, Ihren Sohn mein ich, auch immer. – Trösten Sie sich aber nur, es wird gewiß bald besser werden; so alt ich bin, so möcht ich doch zu Fuße bis nach London gehn, um Sie einmal wiederzusehn; nur sind mir die Füße schwach, und es ist der See dazwischen, den die Franzosen aus Spaß, (wie sie denn bei allen Sachen dummes Zeug machen) einen Kanal nennen; wenn viel solche Kanäle bei uns in England wären, so würde von dem Lande eben nicht außerordentlich viel übrigbleiben. – Bleiben Sie ja gesund, mein liebster, gnädiger Herr, daß ich Sie mit meinen alten, schwachen Augen noch einmal wiedersehn kann. Ich würde viel weinen, wenn ich einmal wieder die Türme von London sähe und Sie wären dann in der ganzen weiten Gegend umher nicht zu finden, als auf dem Kirchhofe, und auch da nur tot – es wäre ein Jammer für mich und jeden andern ehrlichen Mann, besonders aber auch außerdem für meinen Herrn; wenn Sie können, so bleiben Sie gesund, wie ich.

      Ihr Willy.

      15

      Die Comtesse Blainville an Rosa

      Paris.

      Da Sie mich itzt nur so selten besuchen, so seh ich mich genötigt, mich schriftlich mit Ihnen zu unterhalten, so ungern ich es auch tue, denn ganz Ihrem Umgange zu entsagen, wäre eine zu harte Buße für mich.

      Seit Ihrem neulichen Besuche haben sich einige nicht unwichtige Vorfälle ereignet. Der Graf wird immer freundlicher und höflicher, er ist schon zehnmal im Begriffe gewesen, mir durch Umwege einen Heiratsvorschlag zu tun, aber immer ist ihm noch sein böser Genius wieder in den Zügel gefallen. Solche Leute werden sehr langweilig, wenn sie nachher in einer Art von Verlegenheit einen andern Weg einlenken; sie sind gestolpert und haben im Schrecken die Steigbügel verloren.

      Doch, Sie kennen ja den Grafen, daß er sich pikiert gerade dann am geistreichsten zu sein, wenn er die Gegenwart des Geistes am meisten vermißt. Ein Hinkender wird aber erst am meisten lächerlich, wenn er seinen Fehler verbergen will; dies Stottern, dies Jagen nach Wortspielen und Verdrehungen des Sinnes – oh, es gibt nichts Häßlicheres, wenn man soeben etwas Vernünftiges gesprochen hat.

      Lovell ist mit seiner Naivität allerliebst, der Galimathias, den er zuweilen spricht, kleidet ihn recht gut, und ich habe itzt die Manier gefunden, ihn zu attachieren. Er ist eigensinnig genug, nicht durch gewöhnliche Aufmerksamkeit gefesselt zu werden; ein Franzose würde über die Art der Rolle lachen, die ich itzt spiele. Freilich sind die Weiber verdammt, immer nur Rollen auswendig herzusagen, vielleicht auch viele Männer; aber meine itzige liegt mir so entfernt, daß ich auf meine Merkworte sehr aufmerksam sein muß, wenn ich nicht zuweilen das ganze Stück verderben will. Ich bin so empfindsam, wie Rousseaus Julie, ein wenig melancholisch, eine kleine Teinture aus Young und eine so langweilige Vernunft- und Moralschwätzerin, als die Heldinnen der englischen Romane. Sie würden mich hassen, wenn Sie mich in dieser Tragödienlaune sähen; aber Lovell ist davon bezaubert; er hält mich in Gedanken für ein Ideal Richardsons, für ein himmlisches und überirdisches Geschöpf. Wir empfinden so sehr ins Feine hinein, daß mir schon oft ein Gähnen angewandelt ist, das ich nur mit Mühe verbissen habe; durch hundert Vorfälle ist es nun endlich dahin gekommen, daß er wirklich verliebt ist; er will sich zwar dies Gefühl selbst nicht gestehn, aber ich mache mich jeden Tag auf eine sehr pathetische Erklärung gefaßt; er ist schon oft auf dem Wege gewesen, aber jedesmal muß ihn noch das Bild seiner Geliebten zurückgehalten haben. –

      Gestern ging er melancholisch im Garten auf und nieder, ich begegnete ihm, wie von ohngefähr. Er freute sich und erschrak zu gleicher Zeit, meine Gegenwart war ihm lieb, aber es war ihm unangenehm, selbst durch mich in seinen Träumen gestört zu werden; er geriet in eine Art von Verlegenheit. Es war ein schöner Abend, wir waren allein, ich hörte wenig von dem, was er sagte, seine Bildung, sein schöner Wuchs, sein feuriges Auge zerstreuten meine Aufmerksamkeit: er ist einer der schönsten Männer, die ich bis itzt gesehn habe. Wir kamen zu einer Laube und setzten uns. Der Abend und die Einsamkeit luden zu mancherlei Träumen ein; ich sah es, wie Lovell schwer seufzte und ein Geheimnis auf dem Herzen hatte.

      »An diese Abende«, fing er endlich an, »ich ahnde es, werd ich in der Zukunft oft mit Schmerzen zurückdenken.«

      »Mit Schmerzen? – Sie verlassen uns also ungern?«

      »Und Sie können noch fragen?«

      »Sie werden neue Freunde und schönere Gegenden finden, und über die letzteren die ersteren vergessen.«

      »Sie quälen mich«, rief er nach einer kleinen Pause etwas unwillig.

      »Ich habe Ursache zu klagen«; fuhr ich leise fort, um nicht in eine Art von Zank zu fallen, der so leicht langweilig und widrig, selbst für beide Parteien, werden kann, wenn man einer sehr zärtlichen Aussöhnung nicht äußerst gewiß ist; und dies war hier nicht der Fall: – »Ich habe Ursache zu klagen«, sagt ich, »denn ich bleibe hier in dieser öden langweiligen Welt zurück, ich verliere einen Freund, der mir in so kurzer Zeit sehr viel wert geworden ist.«

      Er küßte mir sehr feurig die Hand. – »Comtesse!« rief er aus – »wollen Sie mich nicht vergessen?«

      »Vergessen?« seufzt ich ganz leise. – Meine Rolle ward mir hier äußerst natürlich, und ich spielte sie mit einer täuschenden Leichtigkeit. Er rührte mich, denn, wahrlich, er ist mir nicht gleichgültig. – Meine Hand lag in der seinigen, ich drückte sie ganz leise, er erwiderte es mit Heftigkeit, unsre Lippen begegneten sich –

      Ich stand auf, wie erzürnt, er suchte mich zu versöhnen. – Wir fingen bald wieder ein melancholisch empfindsames Gespräch an, und so ward der Streit darüber vergessen. – Als wir zur Gesellschaft zurückkamen, stand er oft in Gedanken. –

      Beim Abschiede drückte er auf meine Hand einen sehr feurigen Kuß. Itzt ist in seinem Herzen die entscheidende Epoche; indes versprech ich mir über meine unbekannte Nebenbuhlerin den Sieg. –

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