William Lovell. Ludwig Tieck
Nachschrift. Schreibe mir sooft Du kannst, Willy; nur muß ich Dir noch sagen, daß Deine Art zu schreiben gerade nicht die schönste ist, alles ist immer so dunkel, wenn man nicht selbst etwas Verstand hätte, so würde man Dich nimmermehr verstehn. – Demohnerachtet bin ich
Dein zärtlicher Bruder, Thomas.
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Eduard Burton an William Lovell
Bondly.
Deine Briefe erfreuen mich um so mehr, um so heiterer und lebensmutiger sie sind. Ich teile Deine Sehnsucht nach einer entflohenen schönen alten Zeit; aber soll in dieser Sehnsucht nicht selbst ein Gewinn für uns liegen? Jener Lebensmut des Altertums ist uns wohl entwichen, aber es ist uns vielleicht vergönnt, Natur und Kunst mit mehr Inbrunst zu lieben und zu erfassen; denn gewiß muß der Geist der Menschheit, das Verständnis der Dinge, ebenfalls eine Geschichte haben, und in keiner Geschichte ist ein ununterbrochenes Rückschreiten möglich: jene Völker, die uns als Beispiel dienen könnten, haben eben auch ihre Geschichte verloren. Der Zustand tierischer Wildheit ist kein menschlicher Zustand mehr. Darum sind uns alle großen Erinnerungen alter Zeiten so wert, weil sie an sich selbst schon unser Gemüt erheben, und zugleich in uns den Vor- und Rückblick, die Ahndung einer wundersamen aber notwendigen Verkettung der Dinge, kurz, eine wahre Geistergeschichte zum Licht erheben. Darum wirst Du auch, wie die meisten Reisenden tun, den Erinnerungen und Denkmalen des sogenannten Mittel-Alters nicht gleichgültig aus dem Wege gehen, denn alles was die Neueren echte Kunst und Poesie nennen dürfen, scheint mir doch nur als die letzte Verwandelung dieser noch ziemlich unbekannten und unerkannten Jahrhunderte uns anzuglänzen. Den Griechen und Römern haben die Künste schwerlich so viel zu danken, als sie sich selbst immer schmeicheln möchten, und vielleicht ist in diese mehr Mißverständnis als Verständnis aus den klassischen Autoren gekommen. Mit der Philosophie und Wissenschaft ist es freilich ein ganz anderer Fall, und insoferne keine Zeit eine Kunst besitzen kann, die von der Wissenschaft keinen Einfluß erführe, haben Poesie und ihre Geschwister auch gewiß viel Gutes, aber aus der zweiten Hand, von jenen Alten bekommen.
Ich lebe hier im einsamen Bondly einförmig und ohne Freund. Am schlimmsten ist es, daß ich mich oft innerlich härme und quäle, wenn ich die menschenfeindliche Stimmung meines Vaters und jene traurige Verzweiflung in ihm wahrnehme, welche er Menschenkenntnis nennt.
Deine Tante in Waterhall ist gestorben, ihr Gut ist an Dich gefallen – William – darf ich mir eine schöne Zukunft denken, in welcher Du dort wohnst, so nahe bei mir? Ich verweise alle meine Wünsche in jene Zeit, aber eine boshafte Ahndung will es mir manchmal ableugnen, daß sie sich je erfüllen werden. –
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William Lovell an Amalie Wilmont
Paris.
Oh, Amalie, dürft ich mit diesem Briefe zugleich nach meinem Vaterlande eilen, in Ihre Arme fliegen, o könnt ich Tage zurückzaubern und alle Seligkeiten von der Vergangenheit wiederfordern! Ich sitze nun hier und wünsche und sinne, und fühle so innig die Schmerzen der Trennung. Oh, wie dank ich dir, glücklicher Genius, der du zuerst das Mittel erfandest, Gedanken und Gefühle einer toten Masse mitzuteilen und so bis in ferne Länder zu sprechen; gewiß war es ein Liebender, ein Geliebter, der zuerst diese Zeichen zusammensetzte und so die Trennung hinterging. Aber doch, was kann ich Ihnen sagen? daß nur Sie mein Gedanke im Wachen, meine Traumgestalt im Schlafe sind? Daß sich meine Phantasie oft so sehr täuscht, daß ich Sie in fremden Gestalten wahrzunehmen glaube? daß ich zittre, wenn auch das fremdeste Wesen von ohngefähr den Namen: »Amalie« nennt? Mit welchen Worten soll ich die Gefühle ausdrücken, die mein Herz erweitern und zusammenziehn? Kein Zeichen entspricht der lebendigen Glut in meinem Innern; oh, der hat nur halb empfunden, der noch Worte suchte und Worte fand – ich kann, ich mag Ihnen nichts vorschwatzen – nur ein Wunsch, nur eine Bitte: vergessen Sie nicht Ihren aufrichtigen, zärtlichen William, der Sie ewig nicht vergessen kann.
7
Amalie Wilmont an William Lovell
London.
Mit einer innigen Wehmut setz ich mich nieder, um Ihnen zu schreiben; ich hätte Ihnen so manches zu sagen, so manche Antwort von Ihnen zu erbitten, und doch bin ich in Verlegenheit, wie ich es Ihnen sagen soll. So unerwartet ich Sie in London wiedersah, ebenso plötzlich sind Sie nun wieder abgereist; alle meine Empfindungen, frohe und traurige, wiegen mich in einen Traum, in welchem ich keinen Begriff, kein Gefühl fesseln, nachdenken und empfinden kann. Ach, William, in der kurzen Zeit, in welcher ich Sie kannte, hatt ich mich so frei, so kühn, und (ich weiß nicht, wie ich es nennen soll) so groß gefühlt, daß ich der Zukunft froh und ohne Scheu entgegensah – aber itzt beklemmt eine unnennbare Bangigkeit meine Brust, mein Mut verläßt mich, ich fühle mich einsam und verlassen, ich bin wieder ein Kind, wie ich vorher war. Ich weiß selbst nicht, was ich von mir will, die Zukunft und die ganze Welt liegt in einer finstern Ausdehnung vor mir, ich ahnde, daß die Freuden dieses Lebens vielleicht die zartesten Blumen sind; wehe dem Herzen, in welchem der Frühling zu früh aufgeht, ein einziger wiederkehrender Wintertag läßt alle Blüten ersterben, dann ruft sie kein Sonnenschein ins Leben zurück, keine herabfallende Träne erquickt sie wieder. William, wenn dieser ewige Winter meiner wartete? – Doch, lassen Sie uns abbrechen, wir können dem Schicksale nicht gebieten, aber Wünsche sind verzeihlich.
Ihr Vater ist von neuem unpäßlich geworden, er sieht sehr bleich aus, ich habe ihn neulich in London gesehn; doch sein Sie nicht betrübt darüber, etwas ist er indes schon besser geworden. Mit welcher Freude sprach er von Ihnen! Oh, wie liebt ich ihn um dieser Liebe willen! Ich fühlte mich in Ihrem Lobe so geehrt – und – ich weiß nicht, ob ich weiterschreiben soll – ach, William – und da sprach er von seinen Planen mit Ihnen, von gewissen Verbindungen, die so gut wie geschlossen wären, er nannte mehrmals den Namen der jungen Bentink – ich konnt ihn nicht mehr lieben, alle Freundlichkeit seines Gesichts ward für mich plötzlich ein furchtbarer Ernst.
Leben Sie wohl. Weiß ich doch, daß ich in Bondly mein schönstes Leben gefühlt und gelebt habe; diese Erinnerung bleibt mir ewig, und sie wird mein Glück sein, wenn ich in Zukunft vielleicht einmal alles verloren habe.
8
Der alte Lovell an seinen Sohn
London.
Ich schreibe Dir, indem ich mich eben von einer neuen Krankheit erholt habe, die nicht ohne Gefahren war. Itzt ist mir besser, nur leid ich von einer Schwermut, in welcher ich oft den trüben Gedanken nicht loswerden kann, daß ich Dich bei Deiner Abreise zum letzten Male gesehn habe. Ich rufe mir dann lebhaft Dein Bild zurück, und gäbe alles hin, um Dich in einem solchen Augenblicke zu sehn; ich bin schon oft im Begriffe gewesen, Dir zu schreiben, daß Du in der möglichsten Eile zurückkommen möchtest; aber nein, bleibe dort, wo Du Dich vergnügst und unterrichtest, lerne Menschen kennen und bilde Dich aus; ich will meine ganze Kraft aufbieten, dem Tode zu trotzen, dann will ich den geliebten Sohn desto inniger an mein Herz drücken, dann will ich mich am Anblicke seines Glückes laben und ruhig sterben. – Alle Freuden sind mir abtrünnig geworden, aber die Vaterfreuden werden bei mir aushalten. Dein Glück ist itzt die einzige Hoffnung, die mich an diese Welt fesselt, in ihrer Erfüllung will ich am Abende meiner Tage von allen Beschwerden und Mühseligkeiten der Reise ruhen. Ich habe viel erlitten, oh, William; lerne die Menschen kennen, wenn sie Dich nicht elend machen sollen: begegne nicht jedem mit Deiner heißesten Liebe, um nicht einst das ganze Geschlecht zu hassen; sei sparsam mit Deinem Vertrauen, um nicht einst in einem ewigen Mißtrauen zu verschmachten. Solltest Du in der itzigen Glut Deiner Phantasie solche Erfahrungen machen, wie ich aushalten mußte – wo wolltest Du itzt die Stärke hernehmen, um Deine Moralität, Deine Menschheit nicht untergehn zu lassen? Das Auflodernde in Deinen Gefühlen