William Lovell. Ludwig Tieck
groß, das hab ich nun auch gesehn, denn wie wollten sie sonst auch alle Platz darauf finden, wenn nicht neue Einrichtungen gemacht würden. Bis dahin bin ich
Dein getreuer Bruder Willy.
Weil sich hier gerade das so vortrefflich paßte: bis dahin bin ich u.s.w. so hatte ich mich dadurch verführen lassen, daß der Brief hier aufhören sollte, ich hatte Dir aber noch manches sagen wollen, unter andern, daß wir nächstens abreisen; es komme, wie es geh, ich schreibe Dir manchmal, der gute Herr William hat mir erlaubt, sooft ich Dir etwas zu sagen habe, meine Sachen in seinen Brief mit einzulegen, so kostet es mir und Dir nichts und ich habe nicht die Mühe, Deine Aufschrift zu machen, und Du brauchst sie auch nicht zu lesen, sondern Du weißt dann gleich auswendig, daß jeder Brief, den Du von mir geschickt kriegst, an Dich gerichtet ist. – Ferner Dein ewiger Bruder
Willy
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William Lovell an Eduard Burton
Dover.
London liegt hinter mir mit allem seinem Glücke, Frankreich vor mir! – Ich komme soeben von den erhabenen Klippen zurück, deren Schilderung wir beide so oft in dem gigantesken Werke des unsterblichen Shakespeare bewundert haben. – Mir war's, als könnt ich in die Zukunft hineinsehn, als wären die Schleier eben im Begriffe herunterzufallen, die sonst vor diesem Schauplatze hängen – die See rauschte tief unter mir und wogte und schlug ohnmächtig an die unerschütterlichen Klippengestade, Wolken standen aus dem Meere auf und schritten durch das ruhige Blau der unübersehbaren Wölbung – ohne fröhlich zu sein, ohne Traurigkeit sah ich in die unendliche Natur hinaus – der Wind blies über die See hin, die Dornblumen am Felsen zitterten, ich stand ruhig. Das Wogen der Flut rauschte leise herauf – tausend Sonnen tanzten in dem wiegenden Meeresspiegel – ja Freund, der Mensch hält gewiß selbst die Zügel seines Schicksals, er regiere sie weise, und er ist glücklich; läßt er sie aber mutlos fahren, so ergreift sie ein ergrimmter Dämon und jagt ihn wutfrohlockend in das furchtbare, schwarze Tal hinab wo alle Geburten des Unglücks auf ihn lauern. – Darum wollen wir Männer sein, Eduard, und ohne Zagen unser Schicksal regieren, auch wenn tausendfaches Unglück den Wagen in den Abgrund zu schleudern droht.
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William Lovell an Amalie Wilmont
Dover.
Mit Tränen sieht mein Auge rückwärts, das Ihrige blickt mir weinend nach. – Aber nein, kein Zweifel, kein Zagen soll in unsrer Brust entstehn, ich will mutig hoffen. – O ja, Amalie, Ordnung, Harmonie ist das große Grundgesetz aller unendlichen Naturen, sie ist das Wesen, der Urstoff des Glücks, die erste bewegende Kraft – auch wir werden von den Speichen des großen Rades ergriffen, wir sind Kinder der Natur und haben Anspruch an ihre Gesetze. Und gäb es für mich ein Glück ohne Amalien? – Leben Sie wohl – die Segel schwellen, die Winde rufen zur Abfahrt – leben Sie wohl! – Ihr Bild soll der Schutzgeist sein, der mich begleitet, in dem Augenblicke, da Sie mich vergessen, bin ich allen Gefahren preisgegeben, bis dahin fühle ich die Stärke eines Gottes in meinem Herzen.
Zweites Buch
1
Mortimer an Karl Wilmont
Paris.
Ich bin nun wieder in der Stadt, die die Franzosen die Hauptstadt von Europa nennen, wo man in einer beständigen Verwirrung von Besuchen und Vergnügungen lebt, wo man sehr lange leben kann, ohne zu sich selbst zu kommen, und wo man sich, wie William Lovell täglich behauptet, zu Tode langeweilt und ärgert, wenn die gesunde Vernunft nur auf einen einzigen Tag aus ihrer Betäubung erwacht. Sonst sind wir alle wohl und gesund, und die Reise hieher war recht angenehm; auch William gewöhnt sich an meine Gesellschaft; wir kommen uns näher, so wie ich es vorhergesehn habe, ich muß mich nur hüten, daß ich nicht auf einen gewissen Eigensinn gerate, ihm zuviel zu widersprechen, so paradox er auch manchmal aus seinen dunkeln Gefühlen philosophieren will, dies würde uns von neuem entfernen und bei ihm die Sucht veranlassen, mir in keiner meiner Behauptungen recht zu geben: so würden alle unsre Gespräche Gezänke werden, und dies führt zu einer Bitterkeit, die am Ende in eine völlige Unverträglichkeit ausartet. –
Könnt ich ihn doch fast beneiden – ja, lächle nur über den Menschen und seine Schwäche! – ich fühle in manchen Stunden eine Art von unbegreiflicher Eifersucht. Er ist trunken im Glücke der ersten Liebe, dies Gefühl hat ihm Paradiese aufgeschlossen, und wahrlich, erst jetzt, beim Anblick so mannigfaltiger Schönheiten, weiß ich, wie schön Deine Schwester ist, von ihrem Geist, von ihrer Liebenswürdigkeit will ich nicht einmal sprechen, die ich hier nur zu sehr vermisse in dieser Überfülle von Witz und glänzend kalter Koketterie. – Dann tut es mir aber wieder weh, ihn oft so tief in Träumen verloren zu sehn – mir dünkt dann wieder, er segelt über einen Strom, der ihm eine göttliche Aussicht bietet, er fühlt sich selig, indem er sein Auge an der Schönheit der Landschaft weidet; aber das Fährgeld hinüber ist zu teuer, und er wird es gewiß selbst bemerken, wenn die Fahrt geendigt ist und er den Fuß ans Ufer setzt. –
Der alte Willy ist gegen ihn der seltsamste Kontrast, er ist mehr unser Freund, als Diener, und William hat ihn nur aus Vorliebe mitgenommen. Ein Wesen, so natürlich und ungekünstelt, als wenn es die mütterliche Natur nur so eben hätte in die Welt hineinlaufen lassen. Er gafft und staunt alles an, und teilt mir dann oft in langen Gesprächen seine Bemerkungen mit.
William will sich mit dem Eigensinne seiner Empfindung durchaus nicht in den schnell wandelbaren Charakter des Volks finden, auf den Gassen ist er betäubt, in Gesellschaft wird er zu Tode geschwatzt, im Trauerspiel ärgert er sich, im Lustspiel gähnt er, in der Oper hat er einigemal sogar geschlafen. Er ist unvorsichtig genug, seine Bemerkungen Franzosen mitzuteilen, und diese finden dann, daß er den Sonderling spielt, daß sein Geschmack noch nicht gebildet ist – mit einem Worte: daß er kein Franzose ist. Diese Disputen sind mir immer sehr langweilig, ein jeder hält die Gründe des andern für trivial und keiner versteht den andern ganz, und beide haben recht und beide unrecht. –
Unter der Menge von Bekanntschaften haben wir einige sehr interessante gemacht, einige habe ich von meiner vorigen Reise aufgefrischt. Es ist oft unendlich leichter, in einer ganz fremden Familie zu einer Art von Vertraulichkeit zu kommen, als in einem Zirkel, in welchem man ehemals sehr bekannt war, wenn die Zeit die Erinnerung daran und ihre Farben ausgebleicht hat. Alles ist verwittert, die neu aufgetragenen Farben wollen nicht stehn, nichts ist in einem gewissen notwendigen Gleichmaß: man fürchtet in jedem Augenblicke zu sehr den Vertrauten, oder den kalt gewordenen Fremden zu spielen, man hat die Fugen der Seele indes vergessen und greift auf dem Instrumente unaufhörlich falsch. Den alten Grafen Melun hab ich wieder aufgesucht, seine Nichte, die damals ein hübsches Kind war, ist ein sehr schönes Weib geworden, ihr Verstand hat sich nicht weniger ausgebildet. Sie hat im vorigen Jahre einen gewissen Grafen Blainville geheiratet, der seit einigen Monaten gestorben ist; sie hat als Witwe das Ansehn des liebenswürdigsten Mädchens, und sie würde noch gefährlicher sein, wenn sich die Kokette in ihr nicht bald verriete. Der alte Graf ist noch ganz der Mann, der er ehedem war, er gehört zu denen Leuten, die, wenn sie sich ändern sollen, notwendig verlieren müssen, das heißt: sie sind auf einen gewissen Punkt der Ausbildung gekommen, über den sie ihre ganze Lebenszeit hindurch nicht wegschreiten, sie sind mit ihrem Verstande und allen ihren Begriffen glücklich in den Hafen eingelaufen und wagen nun um alles keine zweite Fahrt. Sein Haus ist noch immer so angenehm, wie vormals, er versammelt gern witzige Köpfe, schöne Geister, Gelehrte und Politiker um sich her: aus mehreren Strahlen wird doch endlich ein Schein, und dadurch würde ihn mancher von unsern Doktoren auf ein ganzes Vierteljahr für einen sehr gescheiten Mann halten. Dort hab ich auch einen Italiener, Rosa, kennen lernen, dessen genauere Bekanntschaft ich suchen werde. Ich habe noch wenige so feine Gesichter gesehn, in welchem mir vorzüglich die sprechenden Lippen auffallen, die sich