System des transzendentalen Idealismus. Friedrich Wilhelm Schelling

System des transzendentalen Idealismus - Friedrich Wilhelm Schelling


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ebenso geistreiche wie vielseitige Natur und ein klassischer Schriftsteller, hat S. auf den verschiedensten Gebieten, der Naturwissenschaft, der Medizin, der Kunsttheorie, der Rechts- und Staatswissenschaft und der Theologie, tiefe Spuren zurückgelassen. Gegen den ihm früher eng befreundeten Hegel nahm er allmählich, als dieser in seinen Schriften ihm entgegentrat, eine feindselige Stellung ein. Seine Philosophie hat infolge seiner Anregbarkeit so viele Wandlungen durchgemacht, dass man ihn nicht unpassend den »Proteus der Philosophie« genannt hat. Nacheinander hat er sich angelehnt an Fichte, als dessen genialster Schüler und bester Erklärer er schon früh galt, an Spinoza, an Platon, an Giordano Bruno, an die Neuplatoniker, an Jakob Böhme, an die Gnostiker u.a. Man hat deshalb drei, ja fünf oder sechs Perioden in seiner philosophischen Entwickelung angenommen. Doch zerfällt sie, im ganzen betrachtet, in zwei Hauptperioden, die voneinander durch die 1809 erschienene Abhandlung »Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und der damit zusammenhängenden Gegenstände« getrennt werden und von ihm selbst als negative und positive, von andern (richtiger) als pantheistische und theistische bezeichnet worden sind. In der ersten erscheint er, wie Fichte, von dem Bestreben beherrscht, die Philosophie als eine Vernunftwissenschaft, in der zweiten, in der er seinen eignen Worten nach wieder zu Kant zurückgekehrt ist, dagegen bemüht er sich, sie als eine »die bloße Vernunfterkenntnis überschreitende positive Wissenschaft« darzustellen. Beiden Perioden gemein ist das Bemühen, das Ganze der Wissenschaft aus einem einzigen Prinzip systematisch abzuleiten, jedoch mit dem Unterschied, dass dieses letztere in der ersten Periode (Philosophie = Vernunftwissenschaft) als innerhalb der Vernunft selbst gelegenes (immanentes, rationales), in der zweiten Periode (Philosophie = positive Wissenschaft) dagegen als jenseits und über der Vernunft gelegenes (transzendentes, übervernünftiges, »unvordenkliches«) angesehen wird, dessen Folgen »freie« (d.h. vom Wollen oder Nichtwollen abhängige) und daher nur durch »Erfahrung« (Geschichte und Offenbarung) erkennbar sind. Prinzip der Philosophie in der ersten Periode ist im Anschluss an Fichtes (s. d.) ursprüngliche Wissenschaftslehre das schöpferische Ich als das einzige Reale, durch dessen ruhelos setzende und wieder aufhebende Tätigkeit die Totalität des Wissens als des einzig Realen zustande kommt, daher sein System Idealismus (s. d.) ist. Während jedoch Fichte das Ich nur als menschliches auffasste (was er selbst freilich bestritt), fasste es S. vom Anbeginn an als allgemeines oder absolutes auf, dessen bewusstlos (in der Naturform) schöpferische Produktion die reale Naturwelt, dessen bewusst (in der Geistesform) schöpferische Produktion die ideale Geisteswelt, beide, das Ideale wie das Reale, aber als »Seiten« desselben (absoluten) Ich in ihrer Wurzel identisch seien. Jene, die Deduktion des gesamten Naturseins (natura naturata) aus dem Absoluten als unbewusst schaffendem Realprinzip (natura naturans), ist Gegenstand der Naturphilosophie (1797–99), derjenigen Gestalt seiner Philosophie, durch die er, wie er sich rühmte, »ein neues Blatt in der Geschichte der Philosophie aufgeschlagen haben« will. Die Deduktion des gesamten geistigen Bewusstseinsinhalts in den drei aufeinander folgenden Sphären der Kunst, Religion und Philosophie (= Wissenschaft) aus dem Absoluten als (nach dem Erwachen des Bewusstseins) schöpferischem Idealprinzip macht die Philosophie des Geistes oder des Systems des transzendentalen Idealismus (1800) aus. Die durch das Studium Spinozas und Brunos befruchtete Lehre von der wesenhaften Identität beider Sphären, der realen und idealen, als nur verschiedener Ansichten ein und desselben Absoluten, bildete den Inhalt der sogen. Identitätsphilosophie, die S. zuerst in der (mit Hegel gemeinsam herausgegebenen) »Zeitschrift für spekulative Physik« (1801), dann, mit der Platonischen Ideenlehre vermischt, in dem Gespräch: »Bruno« und in den »Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums« (1802) entwickelte. Von diesen hat die Naturphilosophie die ausgebreitetsten, wenn auch nicht die wohltätigsten Folgen auf die Naturwissenschaft, auch auf die Medizin, geübt. Indem ihr Urheber die Natur als »unbewusst« (= in Naturform) schöpferischen Geist, die Tätigkeiten der Natur also als »unbewusste« Geistestätigkeiten auffasste, leuchtete er in das Dunkel der schaffenden Natur mit der Fackel der Fichteschen Wissenschaftslehre hinein. Wie das Wissen nichts Totes ist, und wie vielmehr durch das immer tätige rhythmische Spiel entgegengesetzter Geisteskräfte jedes Wissensprodukt entsteht und bald wieder durch ein andres ersetzt wird, so ist die Natur kein starres Sein, sondern ununterbrochenes Leben, indem durch das rhythmische Spiel entgegengesetzter Naturkräfte, einer schrankenlos setzenden (positiven, stoffgebenden) und einer unausgesetzt beschränkenden (negativen, formgebenden), jedes einzelne Naturprodukt erzeugt und zugleich über dasselbe zu weitern hinausgegangen wird. Als ursprünglichste Kräfte der Natur wirken nun das unendliche Expansions- und das unausgesetzt wirksame Kontraktionsstreben, aus deren gegenseitiger Spannung die Materie (als erstes Produkt des Naturprinzips) entspringt. Beide werden von S. mit den analogen Bewußtseinstätigkeiten des (leeren) Schauens und des (bestimmten) Empfindens verglichen, aus deren gegenseitiger Spannung das erste Geistesprodukt, die Anschauung, entspringt. Wie aus der letzteren durch fortgesetzte Geistestätigkeit alle höheren Produkte des Bewußtseinslebens (Begriff, Urteil, Schluss) als Potenzierungen des Anschauens, so gehen nun durch fortgesetzte Naturtätigkeit alle höheren Naturprodukte, unorganischer Naturprozeß, organisches Naturleben, Bewusstsein, als Potenzierungen der Materie aus dem realen Leben des universalen oder absoluten Ich (Welt-Ich) hervor. Schluss und Abschluss bildet das auf der höchsten Naturstufe, im Menschen, erwachende Bewusstsein. Damit aber beginnt von Seiten des sich (als Mensch im Universum) selbst erschauenden Absoluten ein neuer, dem Naturprozeß, in dem das Absolute von Stufe zu Stufe bis zum vollkommensten Naturprodukt (zum Menschen) sich erhebt, analoger Geistesprozeß, in dem das im Menschen verkörperte, also selbst zu einem Teile der Natur gewordene (verendlichte) Absolute sich zum Bewusstsein seiner als des Absoluten (seiner eignen Unendlichkeit und Freiheit) erhebt. Wie der Verlauf des ersteren Prozesses die Geschichte der Natur, die Menschwerdung, so stellt der des letzteren die Weltgeschichte, die Gottwerdung, dar, an deren Ende, wie S. damals (1802) sich ausdrückte, »Gott sein wird«. Die Phasen dieses Prozesses (analog den Stufen des Naturprozesses: unorganische, organische, menschliche Stufe) verlaufen so, dass das Absolute anfänglich (objektiv) unter der Form der sichtbaren Natur (real; sichtbare Götter; Heidentum) angeschaut, darauf (subjektiv) unter der Form des unsichtbaren Geistes (ideal; unsichtbarer Gott; Christentum) gefühlt, schließlich als ein und dasselbe mit dem Erkennenden (als Subjekt-Objekt) gewusst wird, wodurch zugleich die drei Formen der Offenbarung des Absoluten: Kunst, Religion und Philosophie, und die drei Hauptperioden der Weltgeschichte: Altertum, Mittelalter und Neuzeit, welch letztere mit dem Auftreten seiner Philosophie beginnen sollte, charakterisiert werden sollten.

      Diese zweifellos pantheistische Gestalt seiner Philosophie ist nun von S. in seiner zweiten Periode entschieden verleugnet und zu einem untergeordneten Gliede des Gesamtorganismus der Wissenschaft herabzusetzen gesucht worden. Denn da man sich Gott zwar als Ende und Resultat unsers Denkens, nicht aber als Resultat eines objektiven Prozesses denken könne, so folge, dass die ganze bisherige rationale Philosophie, auch die seinige, sich in einem Missverstand über sich selbst befunden habe, indem sie den ganzen von ihr nachgewiesenen (Gottwerdungs-) Prozess als einen realen sich vorgestellt, während er nur ein idealer sei. Das Resultat der rein rationalen Philosophie, die er ebendarum als negative bezeichnet, sei daher ein bloßes Gedankending, nicht der wirkliche Gott, sondern nur der Gottesgedanke; die wirkliche Welt könne nicht aus einem bloßen Gedanken, sondern nur aus einem objektiven Prinzip, aus dem wirklichen Gott, begriffen werden. Damit, lehrte S., kehre er wieder zu dem von Kant geäußerten Prinzip zurück, dass sich aus dem reinen Gedanken die Existenz Gottes nicht »herausklauben« lasse. Während die negative Philosophie Gott erst »am Ende« hat, als Prinzip, hat die positive Philosophie (der die erstere nur die Mittel zu bereiten hat) diesen vor allem Anfang, »zum Prinzip«. Gott ist das absolute Prius, dessen Existenz ebendarum auch weder bewiesen und das auch durch nichts gezwungen werden kann, eine Welt hervorzubringen. Letztere kann daher nur Folge einer freien Tat Gottes und als solche nur Gegenstand einer nicht rationalen, sondern Erfahrungserkenntnis sein. Die Aufgabe der positiven Philosophie wird dahin formuliert, dass sie »in einem freien Denken in urkundlicher Folge das in der Erfahrung Vorkommende nicht als das Mögliche, wie die negative Philosophie, sondern als das Wirkliche abzuleiten habe«. Der Anschluss der Philosophie an die »Urkunden« der Offenbarung ist ihr dadurch als Richtschnur vorgezeichnet und die Ableitung des in ihnen, also erfahrungsmäßig, Gegebenen aus Gott, dem Prius aller Erfahrung, ihr zur Aufgabe gemacht. Da nun von allen Tatsachen der offenbarungsgläubigen Geschichte keine mit der Existenz eines göttlichen Schöpfers


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