Der Trotzkopf. Emmy von Rhoden
nähen, von grauer Stoff und rote Band, sieh, wie dies da," und sie zeigte ihre Kammtasche, "siehst du, so ist’s fein."
Ilse machte nicht viel Umstände mit ihrem Haar. Sie kämmte und bürstete es, damit war alles abgemacht, die natürlichen Locken ringelten sich von selbst ohne weitere Bemühung. Ein hellblaues Band schlang ihr Nellie durch dieselben und band es mit einer Schleife seitwärts zu.
"Nun noch die Schürze," sagte sie, als Ilse soweit fertig war, "sie darf nicht fehlen." Sie lachte, als Ilse sich dagegen sträubte.
"Du bist ein klein, albern Ding," schalt sie und band ihr die Schürze vor, trotz Ilses heftigem Widerstande. "Gleich hältst du still! Ohn’ ein Schürzen giebt es kein Kaffee."
Die lustige Nellie setzte es wirklich durch, daß Ilse sich ihrem Willen fügte.
"So," sagte sie, "nun bist du schön! Die blau gestickter Schürze ist sehr nett und du bekommst einer süßer Kuß."
An langen Tafeln saßen die Mädchen bereits, Nellie und Ilse waren die letzten. Fräulein Raimar war des Morgens niemals zugegen, nur Fräulein Güssow führte die Aufsicht. Ilse mußte sich zu ihr setzen. Als ihr der Kaffee gereicht wurde, nahm sie die Tasse ganz manierlich beim Henkel in die Hand, aß auch wie es sich gehört nicht mit großen Bissen, wie am Abend zuvor; aber sie hatte eine andre Unart, die ebenfalls zu tadeln war, sie schlürfte den Kaffee so laut, daß sie allgemeine Heiterkeit erregte.
Ilse hatte keine Ahnung, daß ihr das Gelächter galt, Orla machte sie damit bekannt.
"Du führst ja ein wahres Konzert auf," sagte sie. "Machst du das immer so? Schön hört sich diese Tafelmusik nicht an, das kann ich dich versichern."
Ilse fühlte sich schwer beleidigt über diese Zurechtweisung. Hastig setzte sie die Tasse nieder, erhob sich und eilte hinaus.
"Du durftest sie nicht vor all’ den übrigen so beschämen, Orla," tadelte Fräulein Güssow, indem sie ebenfalls aufstand, um Ilse zu folgen, "das kränkt sehr."
Ilse war gerade im Begriff in den Garten zu gehen, als die junge Lehrerin sie zurückrief.
"Wo willst du hin, Ilse?" fragte sie. "Was fällt dir ein, mein Kind, daß du nach deinem Gefallen davonläufst? Es ist nicht Sitte bei uns, daß jemand eine Mahlzeit verläßt, bevor dieselbe beendet ist. Komm gleich zurück und verzehre dein Frühstück."
"Ich mag nicht mehr frühstücken," entgegnete Ilse, "und ich gehe nicht wieder hinein! Sie haben mich alle ausgelacht und Orla war ungezogen gegen mich. Es geht niemand etwas an, wie ich esse und trinke, ich mache es, wie ich will! Vorschriften lasse ich mir nicht machen, nein!"
"Ehe ich weiter mit dir spreche, bitte ich dich erst ruhig und vernünftig zu sein, liebe Ilse. Ich kann nicht dulden, daß du in einem so unartigen Tone zu mir sprichst."
Sehr ernst und nachdrücklich hatte Fräulein Güssow gesprochen, aber es klang doch ein Ton der Liebe hindurch. Ihr schönes, weiches Organ verfehlte selten den Weg zum Herzen, das lernte auch Ilse in diesem Augenblicke kennen. Sie blickte zu Boden, und etwas wie Beschämung stieg in ihr auf.
Die Lehrerin las in Ilses beweglichen Zügen und wußte, was in ihr vorging.
"Gieb mir deine Hand, du kleiner Brausekopf!" sagte sie freundlich, "und versprich mir, nicht wieder so stürmisch zu sein und deiner augenblicklichen Laune zu folgen, selbst wenn du glaubst, im Rechte zu sein. Heute warst du es nicht einmal, du trankest wirklich etwas unappetitlich. Orla hat es gut gemeint, daß sie dich darauf aufmerksam machte, du darfst ihr darum nicht böse sein. So eine kleine wohlverdiente Lehre muß sich jede von euch gelegentlich gefallen lassen. Es ist doch besser, jetzt als Kind zurechtgewiesen zu werden, als wenn deine Fehler und Angewohnheiten späterhin zum Spott der Gesellschaft würden."
Daheim hatte Ilse niemals hören wollen, daß sie eine junge Dame sei, und jetzt berührte es sie gar nicht angenehm, daß man sie gewissermaßen noch zu den Kindern rechnete.
"Nun siehst du das ein, Ilse?" fragte die Lehrerin.
Vielleicht that sie es, aber sie würde ein Ja nicht über die Lippen gebracht haben. Fräulein Güssow begnügte sich mit ihrem Stillschweigen und nahm dasselbe für eine Zustimmung. Sie meinte, daß eine Natur wie Ilses nicht mit Gewalt zum Nachgeben gezwungen werden dürfe.
"Nun wollen wir zurück in den Speisesaal gehen," sagte sie, und Ilse wagte keine Widerrede. Sie folgte dem Fräulein mit niedergeschlagenen Augen, sie hatte Furcht vor den vielen peinlichen Blicken, die sich alle auf sie richten würden.
Als sie eintraten, war das Zimmer leer und die Frühstückszeit vorüber. Niemand war froher als Ilse, die sich wie erlöst vorkam.
"Ich habe noch einen Auftrag für dich, Ilse," sagte die Lehrerin. "Fräulein Raimar wünscht deine Arbeitshefte zu sehen, auch sollst du zugleich mündlich geprüft werden. In einer Stunde finde dich in dem Konferenzzimmer ein, du wirst dort zugleich deine zukünftigen Lehrer und Lehrerinnen zum Teil kennen lernen."
"Wollen sie mich alle prüfen?" fragte Ilse etwas besorgt.
"Nein," entgegnete das Fräulein, "aber sie werden zuhören, wenn Fräulein Raimar dich examiniert. Später wirst du dann erfahren, in welche Klasse du gesetzt bist, und morgen nimmst du zum erstenmal an dem Unterricht teil."
Ilse ging in ihr Zimmer und suchte ihre Hefte zusammen. Sie waren nicht in der besten Verfassung. Das deutsche Aufsatzheft machte besonders keinen Staat. Verschiedene Tintenflecke zierten es, und sogar einige naseweise Fettflecke machten sich darauf breit. Das französische Heft wurde ganz beiseite gelegt. Sie hatte versucht, einige Seiten, die gar zu verschmiert aussahen, herauszureißen und durch diesen Gewaltstreich waren alle andern Blätter gelockert – unmöglich konnte sie das Buch in dieser Verfassung vorzeigen.
Nellie, die gerade eine freie Stunde hatte, sah erstaunt Ilses Treiben zu. "Was thust du?" fragte sie. "Willst du dein Bücher so an Fräulein Raimar vorzeigen? das darfst du nicht. Hat deiner Herr Pastor dir dies erlaubt? Gieb schnell, ich will dich blaues Umschläge drum wickeln, das ist nett und man sieht die alte Flecken nicht."
"Gieb her!" rief Ilse gereizt. "Sie sind gut so! Es ist mir ganz egal, ob Fräulein Raimar die Flecken sieht oder nicht!"
"Nicht so zornig, Fräulein Ilse! Sie sind eine kleine, unordentliche junge Dame! Würde es dir vielleicht spaßig sein, wenn Fräulein Raimar deine Buch mit spitze Finger hoch hielt und sie alle Lehrer zeigte? O nein, das wär dich nicht egal und nicht spaßig. Besonders wenn Herr Doktor Althoff, unser deutscher Lehrer, mit seine bekannte, höhnische Lachen dir so von die Seiten ansieht und fragt: Wie alt sind Sie, mein Fräulein?"
Trotzdem Ilse ungeduldig wurde, trotzdem sie entschieden erklärte, es wäre höchst unnütz, daß so viele Umstände wegen der dummen Bücher gemacht würden, setzte Nellie ihren Willen durch.
"So, nun kannst du gehen," sagte sie, als sie auch dem letzten Hefte ein blaues Kleid gegeben hatte, "nun bedanke dir für mein Mühe."
"Du bist doch sehr gut, Nellie," meinte Ilse. "Wie ist es dir nur möglich, stets so sanft und geduldig zu sein? Ich kann das nicht!"
"O, du lernst schon, Kind. Wirst noch eine ganz zahme, kleine Vogel sein!" entgegnete Nellie.
Um elf Uhr ging Ilse hinunter in das Konferenzzimmer. Als sie eintrat, fand sie mehrere Lehrer und einige Lehrerinnen anwesend. Sie saßen um einen Tisch, Fräulein Raimar nahm den Platz obenan ein.
"Tritt näher, Ilse," sagte sie und machte mit einigen freundlichen Worten die neue Schülerin mit ihren zukünftigen Lehrern bekannt. Darauf ließ sie sich die Schreibhefte reichen. Das Aufsatzbuch fiel ihr zuerst in die Hand. Sie blätterte und las darin, und einigemal schüttelte sie den Kopf.
"Oft