Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
Hat er nicht zu Frau Roguin gesagt, daß er mir niemals untreu gewesen ist, nicht einmal in Gedanken? Er ist doch die Ehrenhaftigkeit selber, dieser Mann. Wenn Einer ins Paradies zu kommen verdient, dann ist er es. Was hat er seinem Beichtvater zu bekennen? Lappalien. Für einen Royalisten zum Beispiel, der er ist, ohne recht zu wissen warum, trägt er seine Religion nicht gerade sehr zur Schau. Der gute Kerl geht um acht Uhr morgens heimlich zur Messe, als ob er in ein zweifelhaftes Haus schliche. Er fürchtet Gott, aber um Gottes, nicht um der Hölle willen; die geht ihn nichts an. Wie sollte er auch eine Geliebte haben? Er hängt mir so am Rock, daß er mich schon damit langweilt. Er liebt mich wie seinen Augapfel, er würde sich seine Augen für mich ausreißen lassen. Neunzehn Jahre lang hat er nie ein Wort lauter als das andere betont, wenn er zu mir sprach. Selbst seine Tochter kommt für ihn erst in zweiter Reihe. Aber Cäsarine ist ja dort … (Cäsarine! Cäsarine!) Niemals hat Birotteau einen Gedanken gehabt, den er mir nicht mitgeteilt hätte. Damals, als er noch in den Petit-Matelot kam, da hat er mit Recht behauptet, daß ich ihn erst richtig erkennen würde, wenn ich ihn erprobt hätte. Und nun kommt’s so! … Das ist doch merkwürdig.«
Mühsam drehte sie jetzt den Kopf und sah verstohlen durch das Zimmer, noch ganz erfüllt von den phantastischen Nachtgesichten, an deren Wiedergabe die Feder verzweifelt und die allein dem Pinsel des Genremalers vorbehalten zu sein scheinen. Wie soll man mit Worten das schreckliche Hin und Her schildern, das die tiefen Schatten, die phantastischen Formen der vom Zugwind aufgeblähten Vorhänge, das Spiel des undeutlichen Lichtes der Nachtlampe auf den Falten des roten Kalikos, die Strahlen, die ein Gardinenhalter wirft, deren schimmernde Mitte dem Auge eines Diebes gleicht, die Erscheinung eines am Boden liegenden Rockes, kurz alle jene bizarren Dinge hervorbringen, die die Vorstellungskraft in dem Moment in Schrecken versetzen, wo sie nur fähig ist, Schmerzen zu empfinden und sie noch zu vergrößern? Frau Birotteau glaubte jetzt einen hellen Lichtschein in dem benachbarten Zimmer zu sehen und dachte sofort an Feuer; als sie aber ein rotes Halstuch bemerkte, das eine Blutlache zu sein schien, dachte sie ausschließlich an Diebe, vor allem, weil sie die Spuren eines Kampfes an der Art, wie die Möbel umgestellt waren, zu erkennen meinte. Als sie sich der Summe erinnerte, die in der Kasse war, vertrieb eine wohltätige Angst die heißkalten Nachtgebilde; außer sich sprang sie im Hemde mitten ins Zimmer, um ihrem Manne beizustehn, den sie im Handgemenge mit Mördern glaubte.
»Birotteau! Birotteau!« schrie sie endlich mit angstvoller Stimme.
Da fand sie ihren Mann in der Mitte des Nebenzimmers, eine Elle in der Hand und in der Luft messend, aber so mangelhaft in seinen Schlafrock aus grünem Kattun mit schokoladenbraunen Tüpfeln gehüllt, daß seine Beine von der Kälte gerötet waren, ohne daß er es empfand, so in Gedanken versunken war er. Als er sich umwandte und zu seiner Frau sagte: »Nun, was willst du denn, Konstanze?« machte er, wie die Leute, die von ihren Berechnungen absorbiert sind, ein so besonders albernes Gesicht, daß Frau Birotteau in ein Gelächter ausbrach.
»Mein Gott, Cäsar, wie komisch bist du so!« sagte sie. »Warum läßt du mich denn allein, ohne mir etwas zu sagen? Ich bin vor Angst beinahe gestorben, ich wußte gar nicht, was ich mir denken sollte. Was machst du denn da, so allem Zug ausgesetzt? Du wirst dich auf den Tod erkälten. Aber hörst du mich denn, Birotteau?«
»Ja, liebe Frau, und hier bin ich«, antwortete der Parfümhändler und trat in das Zimmer.
»Vorwärts, komm und erwärme dich und sag mir, was dir im Kopfe spukt«, begann Frau Birotteau wieder, schob die Asche des Kamins beiseite und beeilte sich, das Feuer wieder anzuzünden. »Mir ist eiskalt. Ich war so töricht, im Hemde herauszuspringen. Aber ich habe wirklich geglaubt, man ermordet dich.«
Der Kaufmann stellte den Leuchter auf den Kamin, zog seinen Schlafrock zusammen und holte mechanisch seiner Frau ihren flanellenen Unterrock.
»Hier, mein Herz, zieh ihn an«, sagte er. »Zweiundzwanzig zu achtzehn,« fuhr er in seinem Monologe fort, »wir können einen prachtvollen Salon haben.«
»Aber, Birotteau, bist du denn verrückt geworden? Träumst du?«
»Nein, mein Kind, ich rechne.«
»Wenn du Dummheiten machen willst, dann warte wenigstens, bis es Tag ist«, rief sie aus, befestigte ihren Unterrock unter der Nachtjacke und ging die Tür des Zimmers öffnen, in dem ihre Tochter schlief.
»Cäsarine schläft,« sagte sie, »sie wird uns nicht hören. Und nun, Birotteau, rede endlich. Was hast du denn?«
»Wir können den Ball geben.«
»Einen Ball geben? Wir? So wahr ich eine anständige Frau bin, du träumst, mein Lieber.«
»Ich träume nicht, mein Herzchen. Höre, es ist nötig, so zu handeln, wie man es der Stellung, die man einnimmt, schuldig ist. Die Regierung hat mich ans Licht gezogen, ich gehöre zur Regierung; wir sind verpflichtet, ihre Grundsätze zu studieren und ihre Absichten zu unterstützen, indem wir sie deutlich machen. Der Herzog von Richelieu hat es jetzt erreicht, daß die fremden Truppen Frankreich räumen. Herr von la Billardière wünscht, daß die Beamten, die die Stadt Paris repräsentieren, ein jeder in der Sphäre seiner Beziehungen, die Befreiung des Landes feiern sollen. Wir wollen den wahren Patriotismus zeigen, über den der der sogenannten Liberalen, dieser verdammten Intriganten, erröten soll, was? Denkst du, daß ich mein Vaterland nicht liebe? Ich will den Liberalen, meinen Feinden, zeigen, daß den König lieben, Frankreich lieben heißt!«
»Du glaubst also, daß du Feinde hast, mein Lieber?«
»Aber gewiß, liebe Frau, wir haben Feinde. Und auch die Hälfte unsrer Freunde in diesem Stadtviertel ist uns feindlich gesinnt. Alle sagen sie: Birotteau hat Glück, Birotteau ist ein Mann von niedriger Herkunft, und gleichwohl ist er jetzt Beigeordneter; alles gelingt ihm. Nun, sie werden sich noch mehr aufregen. Du aber sollst jetzt als erste erfahren, daß ich Ritter der Ehrenlegion geworden bin: der König hat gestern die Ernennung unterzeichnet.«
»Oh,« sagte Frau Birotteau ganz gerührt, »dann müssen wir allerdings einen Ball geben, mein Lieber. Aber weswegen hat man dir denn das Kreuz verliehen?«
»Als mir gestern Herr von la Billardière die Neuigkeit mitteilte,« erwiderte Birotteau verlegen, »da habe ich, wie du, mich auch gefragt, welches Anrecht ich denn darauf hätte; als ich aber heimging, ist es mir schließlich doch klar geworden und ich habe der Regierung zugestimmt. Erstens bin ich Royalist und bin vor Saint-Roch verwundet worden; bedeutet es nicht schon etwas, wenn man sieht, daß einer in jenen Zeiten für die gute Sache mit den Waffen eingetreten ist? Dann habe ich, nach der Meinung verschiedener Kaufleute,