Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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zu­schan­den ge­rit­ten. Ver­ge­ben Sie mir mein Ge­schwätz, gnä­di­ges Fräu­lein, aber ich kom­me eben aus Deutsch­land. Seit ei­nem Jah­re habe ich nicht rich­tig Fran­zö­sisch spre­chen hö­ren, ich hun­ge­re nach fran­zö­si­schen Ge­sich­tern und bin über­satt von deut­schen, so sehr, daß ich in mei­nem wü­ten­den Pa­trio­tis­mus so­gar, wie ich glau­be, mit den Fa­bel­fi­gu­ren ei­nes Pa­ri­ser Kan­de­la­bers mich un­ter­hal­ten wür­de. Wenn ich au­ßer­dem mit ei­ner für einen Di­plo­ma­ten we­nig pas­sen­den Of­fen­heit rede, so liegt die Schuld an Ih­nen, mein gnä­di­ges Fräu­lein. Ha­ben Sie mir nicht mei­nen Bru­der ge­zeigt? Wenn von ihm die Rede ist, dann bin ich un­er­schöpf­lich. Ich möch­te der gan­zen Welt er­zäh­len, wie gut und edel­mü­tig er ist. Bei den Ein­künf­ten des Gu­tes Lon­gue­ville han­delt es sich um nicht we­ni­ger als um hun­dert­tau­send Fran­ken.«

      Wenn Fräu­lein von Fon­taine die­se Auf­klä­run­gen er­hielt, so ver­dank­te sie das zum Teil der Ge­schick­lich­keit, mit der sie ih­ren ver­trau­ens­vol­len Ka­va­lier aus­zu­fra­gen ver­stand, nach­dem sie er­fah­ren hat­te, daß er der Bru­der ih­res ver­schmäh­ten Lieb­ha­bers war.

      »War es Ih­nen nicht pein­lich, zu se­hen, wie Ihr Bru­der Mus­se­lin und Schir­ting ver­kauf­te?« frag­te Emi­lie nach der drit­ten Fi­gur des Kon­ter­tan­zes.

      »Wo­her wis­sen Sie das?« frag­te der Di­plo­mat. »So sehr ich mich mei­nem Re­de­fluß über­las­sen habe, so bin doch, Gott sei Dank, eben­so­gut wie alle An­fän­ger in der di­plo­ma­ti­schen Kar­rie­re, die ich ken­ne, noch im­stan­de, nicht mehr zu sa­gen, als ich will.«

      »Doch, Sie ha­ben es mir ge­sagt, ich ver­si­che­re es Ih­nen.«

      Herr von Lon­gue­ville be­trach­te­te Fräu­lein von Fon­taine vol­ler Er­stau­nen mit ei­nem durch­drin­gen­den Bli­cke. Ein Ver­dacht tauch­te bei ihm auf. Nachein­an­der be­frag­te er die Au­gen sei­nes Bru­ders und sei­ner Tän­ze­rin, ahn­te den gan­zen Zu­sam­men­hang, preß­te sei­ne Hand­flä­chen ge­gen­ein­an­der, er­hob sei­ne Au­gen zur De­cke, fing an zu la­chen und sag­te: »Was bin ich für ein Dumm­kopf! Sie sind die schöns­te Dame auf dem Bal­le, mein Bru­der blickt ver­stoh­len nach Ih­nen, er tanzt trotz sei­nes Fie­bers, und Sie tun, als ob Sie ihn nicht sä­hen. Ma­chen Sie ihn glück­lich,« sag­te er, wäh­rend er sie zu ih­rem al­ten On­kel zu­rück­führ­te, »ich wer­de nicht ei­fer­süch­tig auf ihn sein; aber ich wer­de mich im­mer ein biß­chen fürch­ten, wenn ich Sie mei­ne Schwes­ter nen­nen soll …«

      In­des­sen schie­nen die bei­den Lie­ben­den sich un­er­bitt­lich ge­gen­ein­an­der zu ver­hal­ten. Ge­gen zwei Uhr mor­gens wur­de ein kal­tes Bü­fett in ei­ner rie­si­gen Ga­le­rie auf­ge­tra­gen; da­mit sich die Per­so­nen des­sel­ben Krei­ses un­ge­hin­dert zu­sam­men­set­zen konn­ten, wa­ren ein­zel­ne Ti­sche, wie in ei­nem Re­stau­rant, auf­ge­stellt wor­den. Durch einen Zu­fall, wie er im­mer Lie­ben­den be­geg­net, fand Fräu­lein von Fon­taine ih­ren Platz an ei­nem Ti­sche, der sich ne­ben dem be­fand, an den sich die vor­nehms­te Ge­sell­schaft ge­setzt hat­te. Zu ihr ge­hör­te auch Ma­xi­mi­li­an. Emi­lie, die auf­merk­sam der Un­ter­hal­tung ih­rer Nach­barn folg­te, konn­te ein Ge­spräch mit an­hö­ren, wie es so häu­fig zwi­schen jun­gen Frau­en und jun­gen Män­nern, die die An­mut und die For­men Ma­xi­mi­li­an Lon­gue­vil­les be­sit­zen, ge­führt wird. Die Dame, die sich mit dem jun­gen Ban­kier un­ter­hielt, war eine nea­po­li­ta­ni­sche Her­zo­gin, de­ren Au­gen Blit­ze sprüh­ten und de­ren wei­ße Haut wie Sei­de schim­mer­te. Die Ver­trau­lich­keit, die der jun­ge Lon­gue­ville ihr ge­gen­über an den Tag zu le­gen such­te, ver­letz­te Fräu­lein von Fon­taine um so mehr, als sie sich eben mit noch zehn­mal stär­ke­rer Zärt­lich­keit als frü­her ih­rem Ge­lieb­ten wie­der zu­ge­wandt hat­te.

      »Ja, mein Herr, in mei­nem Lan­de ver­mag die ech­te Lie­be je­des Op­fer zu brin­gen«, sag­te die Her­zo­gin.

      »Ihr emp­fin­det eben eine an­de­re Lei­den­schaft als die Fran­zö­sin­nen«, sag­te Ma­xi­mi­li­an und warf einen flam­men­den Blick auf Emi­lie. »Die be­ste­hen nur aus Ei­tel­keit.«

      »Mein Herr,« ent­geg­ne­te das jun­ge Mäd­chen leb­haft, »ist es nicht schlecht, sein Va­ter­land zu ver­leum­den? Hin­ge­bung ist in al­len Län­dern zu fin­den.«

      »Glau­ben Sie, mein Fräu­lein,« er­wi­der­te die Ita­li­e­ne­rin mit spöt­ti­schem Lä­cheln, »daß eine Pa­ri­se­rin be­reit wäre, ih­rem Ge­lieb­ten über­all­hin zu fol­gen?«

      »Oh, ver­stän­di­gen wir uns, gnä­di­ge Frau. Man geht wohl mit ihm in die Wüs­te und wohnt in ei­nem Zel­te, aber man setzt sich nicht in einen La­den.«

      Sie schloß ih­ren Satz mit ei­ner Ge­bär­de der Ver­ach­tung, die ihr ent­schlüpf­te. Und da­mit ver­nich­te­te Emi­lie, un­ter dem Ein­fluß ih­rer ver­derb­li­chen Er­zie­hung, zum zwei­ten­mal ihr auf­kei­men­des Glück. Die zur Schau ge­tra­ge­ne Käl­te Ma­xi­mi­lians und das Lä­cheln ei­ner Frau hat­ten sie zu ei­ner ih­rer sar­kas­ti­schen Be­mer­kun­gen ver­lei­tet, zu de­nen das bos­haf­te Ver­gnü­gen, das sie da­bei emp­fand, sie im­mer wie­der ver­lock­te.

      »Mein Fräu­lein«, sag­te Lon­gue­ville lei­se, wäh­rend das Geräusch der sich vom Ti­sche er­he­ben­den Da­men sei­ne Wor­te vor den an­dern über­tön­te, »nie­mand wird hei­ßer für Ihr Glück be­ten als ich; ge­stat­ten Sie mir, Ih­nen das zu ver­si­chern, be­vor ich fort­rei­se. In ei­ni­gen Ta­gen gehe ich nach Ita­li­en.«

      »Wohl mit der Her­zo­gin?«

      »Nein, mein Fräu­lein, aber mit ei­ner viel­leicht töd­li­chen Krank­heit.«

      »Ist das nicht eine Ein­bil­dung?« frag­te Emi­lie und warf ihm einen be­un­ru­hig­ten Blick zu.

      »Nein,« sag­te er, »es gibt Wun­den, die nie­mals ver­nar­ben.«

      »Sie wer­den nicht ab­rei­sen«, sag­te das stol­ze Mäd­chen lä­chelnd.

      »Ich wer­de rei­sen«, ent­geg­ne­te Ma­xi­mi­li­an ernst.

      »Dann wer­den Sie mich, wenn Sie wie­der­kom­men, ver­hei­ra­tet fin­den, ich war­ne Sie«, sag­te sie mit ko­ket­tem Aus­druck.

      »Ich wün­sche es.«

      »Ab­scheu­li­cher!« rief sie aus, »wie grau­sam rächt er sich!«

      Vier­zehn Tage spä­ter reis­te Ma­xi­mi­li­an Lon­gue­ville mit sei­ner Schwes­ter nach den war­men, poe­ti­schen Ge­fil­den des schö­nen Ita­li­ens ab und ließ Fräu­lein von Fon­taine als Beu­te der hef­tigs­ten Ge­wis­sens­bis­se zu­rück. Der jun­ge Ge­sandt­schafts­se­kre­tär mach­te die An­kla­ge sei­nes Bru­ders zu der sei­ni­gen und wuß­te sich für das ver­ach­tungs­vol­le Ver­hal­ten Emi­li­ens ekla­tant zu rä­chen, in­dem er die Grün­de für den Bruch der bei­den Lie­ben­den öf­fent­lich mit­teil­te. Er gab sei­ner Tän­ze­rin die bos­haf­ten Be­mer­kun­gen, mit de­nen sie vor­her Ma­xi­mi­li­an über­häuft hat­te, mit Zin­sen zu­rück und brach­te häu­fig mehr als eine Ex­zel­lenz zum Lä­cheln, wenn er die schö­ne Fein­din der Kon­to­re schil­der­te, die Ama­zo­ne, die zu ei­nem Kreuz­zug ge­gen die Ban­kiers auf­rief, das jun­ge Mäd­chen, de­ren Lie­be sich vor ei­nem Stück­chen Mus­se­lin ver­flüch­tig­te. Der Graf von Fon­taine war ge­nö­tigt, sei­nen Ein­fluß auf­zu­bie­ten,


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