Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
Fontaine noch durch die törichte Eitelkeit auf ihre vornehme Geburt und ihre Schönheit gesteigert war, diese, eine Erklärung herauszufordern, wozu ihre wachsende Leidenschaft sie manchmal drängen wollte. So hatten die beiden Liebenden instinktiv ihre Situation verstanden, ohne sich über ihre geheimen Beweggründe klarzuwerden. Es gibt im Leben Augenblicke, da jungen Seelen das Ungewisse lieb ist. Gerade weil jeder schon allzulange mit der Aussprache gezögert hatte, schienen sich alle beide ein grausames Vergnügen mit ihrem Abwarten zu machen. Der eine suchte zu erforschen, ob er wirklich bis zur Überwindung, die ein Geständnis seine stolze Geliebte kosten würde, geliebt werde, die andere hoffte jeden Augenblick, daß das allzu zurückhaltende Schweigen gebrochen werden würde.
Auf einer Gartenbank sitzend, überdachte Emilie alles, was sich während dieser herrlichen drei Monate ereignet hatte. Der Verdacht ihres Vaters war das letzte Bedenken, das sie noch hindern konnte, und sie machte etliche Gegengründe dagegen geltend, wie solche einem jungen unerfahrenen Mädchen durchschlagend erschienen. Vor allem war sie mit sich einig darüber, daß sie sich unmöglich täuschen könne. Während der ganzen Saison hatte sie bei Maximilian keine einzige Geste, kein einziges Wort bemerken können, die eine niedrige Herkunft oder einen gewöhnlichen Beruf verrieten; im Gegenteil, seine Art zu diskutieren ließ einen Mann erkennen, der sich mit hohen Staatsangelegenheiten beschäftigte. »Übrigens hätte ein Bureaumensch,« sagte sie sich, »ein Finanzier oder ein Kaufmann nicht die Muße gehabt, hier eine ganze Saison hindurch zu verweilen, um mir auf dem Lande den Hof zu machen und so frei über seine Zeit zu verfügen wie ein Edelmann, der ein ganzes sorgloses Leben vor sich hat.« Dann überließ sie sich andern Gedanken, die ihr viel interessanter waren, als die früheren; da verriet ihr ein leichtes Rauschen der Blätter, daß Maximilian sie schon eine Zeitlang, gewiß mit Sehnsucht, beobachtete.
»Wissen Sie, daß das sehr schlecht ist, ein junges Mädchen so zu überraschen?« sagte sie lächelnd.
»Besonders wenn es mit seinen Geheimnissen beschäftigt ist«, erwiderte Maximilian listig.
»Warum sollte ich keine Geheimnisse haben? Sie haben ja sicher auch welche.«
»Dachten Sie wirklich über Ihre Geheimnisse nach?« entgegnete er lachend.
»Nein, ich dachte an die Ihrigen. Meine kenne ich.«
»Aber,« rief der junge Mann zärtlich aus und bot Fräulein von Fontaine den Arm, »vielleicht sind meine Geheimnisse die Ihrigen und Ihre die meinen.«
Nach einigen Schritten befanden sie sich unter einer Baumgruppe, die die Farben der untergehenden Sonne wie mit einer rötlichbraunen Wolke umhüllten. Diese wunderbare Naturerscheinung verlieh dem Momente eine gewisse Feierlichkeit. Die lebhafte freie Bewegung des jungen Mannes und vor allem der Aufruhr seines pochenden Herzens, dessen hastige Schläge zu Emiliens Arm redeten, versetzten sie in eine um so tiefergehende Erregung, als diese durch die einfachsten und harmlosesten Umstände veranlaßt worden war. Die Zurückhaltung, in der die jungen Mädchen der vornehmen Gesellschaftskreise sonst zu leben gewohnt sind, gibt ihren Gefühlsausbrüchen eine unglaubliche Gewalt, und sie geraten in die größte Gefahr, wenn sie mit einem leidenschaftlichen Geliebten zusammentreffen. Noch niemals hatten die Augen Emilies und Maximilians sich so vieles, was man nicht auszusprechen wagt, gesagt. Hingerissen von dieser Trunkenheit, vergaßen sie leicht die kleinen Bedenken ihres Stolzes und die kühlen Erwägungen ihres Mißtrauens. Sie konnten zuerst ihrem seligen Gefühl nur durch einen heißen Druck ihrer Hände Ausdruck geben.
»Herr Longueville, ich muß eine Frage an Sie richten«, sagte Fräulein von Fontaine zitternd und erregt. »Aber ich bitte Sie dringend, zu bedenken, daß ich zu dieser Frage gewissermaßen durch die ziemlich eigenartige Lage gezwungen bin, in der ich mich meiner Familie gegenüber befinde.«
Eine für Emilie schreckliche Pause trat nach diesen fast gestammelten Sätzen ein. Während dieser Stille wagte das stolze junge Mädchen nicht, dem leuchtenden Blicke dessen, den sie liebte, zu begegnen, denn sie hatte im geheimen die Empfindung, daß das, was sie jetzt sagen würde, erniedrigend war: »Sind Sie adelig?«
Als diese Worte ausgesprochen waren, hätte sie sich am liebsten auf dem Meeresgrunde versteckt.
»Mein Fräulein,« erwiderte Longueville, während sein erregtes Gesicht den Ausdruck würdevollen Ernstes annahm, »ich verspreche Ihnen, diese Frage ohne Umschweife zu beantworten, wenn Sie mir aufrichtig auf die antworten wollen, die ich an Sie zu richten habe.« Er ließ den Arm des jungen Mädchens los, das plötzlich die Empfindung hatte, daß es allein in der Welt stünde, und sagte: »Was bezwecken Sie mit dieser Frage nach meiner Herkunft?« Unbeweglich, kalt und stumm blieb sie stehen. »Mein Fräulein,« fuhr Maximilian fort, »gehen wir nicht weiter, wenn wir uns nicht verstehen. – Ich liebe Sie«, sagte er, und seine Stimme klang warm und herzlich. »Und nun sagen Sie mir,« fügte er mit glücklichem Gesicht hinzu, als er einen Ausruf des Entzückens vernahm, den das junge Mädchen nicht hatte zurückhalten können, »weshalb fragen Sie mich, ob ich adelig bin?«
»Könnte er so sprechen, wenn er es nicht wäre?« rief eine innere Stimme, die Emilie aus der Tiefe ihres Herzens zu vernehmen glaubte. Sie erhob dankbar den Kopf, schien neue Kraft aus dem Blicke des jungen Mannes zu schöpfen und reichte ihm den Arm, als ob sie einen neuen Bund mit ihm schließen wollte.
»Haben Sie geglaubt, daß ich so sehr auf den Rang sehe?« fragte sie mit feinem Spotte.
»Ich habe meiner Frau keinen Titel anzubieten«, entgegnete er, halb scherzhaft, halb ernst. »Aber wenn ich sie von hohem Range und aus einem Kreise wähle, wo sie das väterliche Vermögen an Luxus und an die Annehmlichkeiten des Reichtums gewöhnt hat, so weiß ich, wozu mich eine solche Wahl verpflichtet. Die Liebe entschädigt zwar für alles, aber nur die Liebenden. Für die Ehe ist doch ein wenig mehr nötig als das Dach des Himmelszeltes und der Teppich der Wiesen.«
Er ist reich, dachte sie. Und was er von den Titeln sagte, damit will er mich vielleicht prüfen! Man wird ihm hinterbracht haben, daß ich in den Adel vernarrt sei, und daß ich einen Pair von Frankreich heiraten wolle. Meine scheinheiligen Schwestern werden mir diesen Streich gespielt haben. – »Ich versichere Ihnen, mein Herr,« sagte sie laut, »daß ich früher über das Leben und die Gesellschaft recht übertriebene Ansichten gehabt habe; heute aber,« fuhr sie mit Nachdruck fort und warf ihm einen