Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac


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Wal­des her­um­ge­irrt war. An sei­ner Sei­te sa­hen vier jap­pen­de Hun­de eben­so wie er die Per­son, an die er sich wand­te, an. Um zu ver­ste­hen, wie spöt­tisch die­se An­re­den, die mit Pau­sen wie­der­holt wur­den, ge­meint wa­ren, muß er­wähnt wer­den, daß der Jä­ger ein di­cker kur­z­er Mann war, des­sen her­vor­ste­hen­der Bauch eine wahr­haft mi­nis­te­ri­el­le Fett­lei­big­keit ver­riet. Müh­se­lig über­sprang er die Fur­chen ei­nes großen, frisch ab­ge­ern­te­ten Fel­des, des­sen Stop­peln sicht­lich sein Vor­wärts­kom­men hin­der­ten; um sein Un­be­ha­gen noch zu stei­gern, trie­ben die Son­nen­strah­len, die sein Ge­sicht schräg tra­fen, di­cke Schweiß­trop­fen dar­auf her­vor. Be­müht, sein Gleich­ge­wicht zu be­wah­ren, wank­te er bald nach vorn, bald nach rück­wärts und ahm­te so die Sprün­ge ei­nes stark ge­schüt­tel­ten Wa­gens nach. Es war ei­ner der Sep­tem­ber­ta­ge, wo die Wein­trau­ben bei süd­li­cher Glut rei­fen. Die Luft kün­dig­te ein Ge­wit­ter an. Ob­gleich sich mehr­fach große Stre­cken blau­en Him­mels noch am Ho­ri­zont von di­cken schwar­zen Wol­ken ab­ho­ben, sah man doch einen blas­sen Dunst mit er­schre­cken­der Schnel­lig­keit vor­drin­gen, der sich von Wes­ten nach Os­ten aus­brei­te­te wie ein leich­ter grau­er Vor­hang. Der Wind be­weg­te sich nur in den obe­ren Re­gio­nen der Luft, die At­mo­sphä­re drück­te nach un­ten hin die glü­hen­den Aus­dün­nun­gen der Erde zu­sam­men. Heiß und schwei­gend schi­en der Wald zu dürs­ten. Die Vö­gel und In­sek­ten wa­ren ver­stummt, die Wip­fel der Bäu­me rühr­ten sich kaum. Die­je­ni­gen, die noch eine Erin­ne­rung an den Som­mer 1819 ha­ben, müs­sen also Mit­leid emp­fin­den mit den Lei­den des ar­men De­pu­tier­ten, der Blut und Was­ser schwitz­te, um sei­nen bos­haf­ten Ge­fähr­ten wie­der zu er­rei­chen. Wäh­rend er sei­ne Zi­gar­re rauch­te, hat­te die­ser aus der Stel­lung der Son­ne be­rech­net, daß es etwa fünf Uhr nach­mit­tags sein müs­se.

      »Wo zum Teu­fel sind wir denn? sag­te der di­cke Jä­ger, wäh­rend er sich die Stirn ab­trock­ne­te und sich an einen Baum­stamm, fast ge­gen­über sei­nem Ge­fähr­ten, stütz­te, denn er ver­spür­te nicht mehr die Kraft in sich, den brei­ten Gra­ben, der ihn von ihm trenn­te, zu über­sprin­gen.

      »Und das fragst du mich? ant­wor­te­te la­chend der Jä­ger, der sich in dem ho­hen gel­ben Gra­se ge­la­gert hat­te, das den Ab­hang be­krön­te. Er warf den Rest sei­ner Zi­gar­re in den Gra­ben und rief: »Ich schwö­re bei Sankt Hu­ber­tus, daß man mich nicht wie­der da­bei er­wi­schen wird, wie ich mich in un­be­kann­ter Ge­gend mit ei­ner Amts­per­son her­um­trei­be, und wärst du es selbst, mein lie­ber d’Al­bon, ein al­ter Schul­ka­me­rad!«

      »Aber Phil­ipp, ver­stehst du denn nicht mehr Fran­zö­sisch? Du hast je­den­falls dei­nen Geist in Si­bi­ri­en ge­las­sen«, ent­geg­ne­te der di­cke Mann und warf einen ko­mi­schen Schmer­zens­blick auf einen Pfos­ten, der hun­dert Schrit­te da­von sich er­hob.

      »Ich ver­ste­he«, er­wi­der­te Phil­ipp, nahm sei­ne Flin­te, er­hob sich plötz­lich, sprang mit ei­nem ein­zi­gen Satz in das Feld hin­über und eil­te zu dem Pfos­ten hin. »Hier­her, d’Al­bon, hier­her! Halb­links!« rief er sei­nem Ge­fähr­ten zu und zeig­te ihm mit ei­ner Hand­be­we­gung einen brei­ten ge­pflas­ter­ten Weg. »Von Bail­let nach Ile-Adam« fuhr er fort; »dann wer­den wir also in die­ser Rich­tung den Weg nach Cassan fin­den, der sich von dem nach Ile-Adam ab­zwei­gen muß.

      »Das stimmt, mein lie­ber Oberst , sag­te Herr d’Al­bon und setz­te sei­ne Müt­ze, mit der er sich Luft zu­ge­fä­chelt hat­te, wie­der auf den Kopf.

      »Also vor­wärts, mein ver­eh­rungs­wür­di­ger Rat, er­wi­der­te der Oberst Phil­ipp und pfiff den Hun­den, die ihm schon bes­ser zu ge­hor­chen schie­nen als dem Be­am­ten, dem sie ge­hör­ten.

      »Wis­sen Sie, mein Herr Mar­quis,« be­gann der Of­fi­zier spot­tend, »daß wir noch mehr als zwei Mei­len vor uns ha­ben? Das Dorf, das wir dort un­ten se­hen, muß Bail­let sein.

      »Gro­ßer Gott!« rief der Mar­quis d’Al­bon aus, »ge­hen Sie nach Cassan, wenn Ih­nen das Ver­gnü­gen macht, aber Sie wer­den dann ganz al­lein ge­hen. Ich zie­he vor, hier trotz des Ge­wit­ters ein Pferd ab­zu­war­ten, das Sie mir aus dem Schloß schi­cken wer­den. Sie ha­ben sich über mich mo­kiert, Sucy. Wir hät­ten einen net­ten klei­nen Jagd­aus­flug ma­chen, uns nicht von Cassan ent­fer­nen, die Ter­rains, die ich ken­ne, ab­su­chen sol­len. Na, an­statt daß wir un­sern Spaß da­bei ha­ben, las­sen Sie mich wie einen Jagd­hund seit vier Uhr mor­gens lau­fen, und wir ha­ben als gan­zes Früh­stück nur zwei Tas­sen Milch ge­habt! Ach, wenn Sie je­mals einen Pro­zeß bei Ge­richt ha­ben soll­ten, dann wer­de ich Sie ihn ver­lie­ren las­sen, wenn Sie auch hun­dert­mal Recht hät­ten!«

      Und mut­los setz­te sich der Jä­ger auf einen der Stei­ne am Fuße des Pfos­tens, leg­te sei­ne Flin­te und sei­ne lee­re Jagd­ta­sche ab und stieß einen lan­gen Seuf­zer aus.

      »So sind dei­ne De­pu­tier­ten, Frank­reich!« rief der Oberst von Sucy la­chend. »Ach, mein ar­mer Al­bon, wenn Sie, wie ich, sechs Jah­re tief in Si­bi­ri­en ge­we­sen wä­ren! …

      Er vollen­de­te den Satz nicht und blick­te zum Him­mel auf, als ob sei­ne Lei­den ein Ge­heim­nis zwi­schen Gott und ihm wä­ren.

      »Vor­wärts! Wei­ter!« füg­te er hin­zu. »Wenn Sie hier sit­zen blei­ben, sind Sie ver­lo­ren.«

      »Was wol­len Sie, Phil­ipp? Das ist so eine alte Ge­wohn­heit bei ei­nem Be­am­ten! Auf Ehre, ich bin voll­kom­men er­schöpft! Wenn ich we­nigs­tens noch einen Ha­sen ge­schos­sen hät­te!«

      Die bei­den Jä­ger bo­ten einen sel­te­nen Ge­gen­satz dar. Der De­pu­tier­te war ein Mann von zwei­und­vier­zig Jah­ren und schi­en nicht äl­ter als drei­ßig zu sein, wäh­rend der drei­ßig­jäh­ri­ge Of­fi­zier we­nigs­tens vier­zig alt zu sein schi­en. Bei­de tru­gen die rote Ro­set­te, das Ab­zei­chen der Of­fi­zie­re der Ehren­le­gi­on. Et­li­che Lo­cken, schwarz und weiß wie der Flü­gel ei­ner Els­ter, stahlen sich un­ter der Jagd­müt­ze des Obers­ten her­vor; schö­ne blon­de Haar­wel­len schmück­ten die Schlä­fen des Rich­ters. Der eine war von ho­hem Wuchs, ma­ger, schlank, ner­vös, und die Run­zeln sei­nes wei­ßen Ge­sichts deu­te­ten auf furcht­ba­re Lei­den­schaf­ten oder schreck­li­che Lei­den; der an­de­re be­saß ein von Ge­sund­heit strah­len­des Ge­sicht mit dem jo­via­len, ei­nes Epi­kurä­ers wür­di­gen Aus­druck. Bei­de wa­ren stark von der Son­ne ver­brannt, und ihre ho­hen Wild­le­der­ga­ma­schen tru­gen die Merk­ma­le al­ler Grä­ben und Sümp­fe, die sie pas­siert hat­ten, an sich.

      »Los!« rief Herr de Sucy, »vor­wärts! In ei­ner klei­nen Stun­de wer­den wir an ei­nem gut be­setz­ten Tisch sit­zen.«

      »Sie kön­nen nie­mals ge­liebt ha­ben,« er­wi­der­te der Rat mit ei­nem ko­mi­schen Aus­druck von Mit­leid, »denn Sie sind so un­er­bitt­lich wie der Ar­ti­kel 304 des Straf­ge­setz­buchs!«

      Ein hef­ti­ges Zit­tern über­fiel Phil­ipp; sei­ne brei­te Stirn run­zel­te sich; sein Ge­sicht wur­de eben­so düs­ter, wie es der Him­mel jetzt ge­wor­den war. Ob­gleich die Erin­ne­rung an ein furcht­bar bit­te­res Er­leb­nis alle sei­ne Züge ver­zerr­te, ver­goß er kei­ne Trä­ne. Wie alle star­ken Män­ner ver­moch­te er sei­ne Auf­re­gun­gen tief im Her­zen zu be­gra­ben und emp­fand viel­leicht, wie vie­le rei­ne See­len, eine Art Scham­lo­sig­keit da­bei, sei­ne Schmer­zen blos­zu­le­gen, wenn kein mensch­li­ches Wort ihre Tie­fe aus­drücken kann und man den Spott der Leu­te


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